Ihre Großmütter wollten alles richtig machen. Ihre Mütter wollten alles anders machen. Und die Frauen um die dreißig selbst? Machen, was sie wollen. Filme wie „Frances Ha“ und Serien wie „Girls“geben eine Ahnung davon, schreibt Eva-Maria Manz.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

New York - Wie schwer ist es eigentlich, erwachsen zu werden? Und wie schwer ist es für eine Frau, erwachsen zu werden? Bisher war es Woody Allen, der in seinen Filmen – zugleich schmerzhaft treffend und komisch – diese ganz großen Identitätsfragen auf den lächerlichen Alltag prallen ließ, bisher. Zwei junge Amerikanerinnen Ende zwanzig haben dieses Thema jetzt zu ihrem eigenen gemacht: Lena Dunham mit ihrer Fernsehserie „Girls“ und Greta Gerwig jüngst mit dem Kinofilm „Frances Ha“. In beiden Stücken geht es um junge Frauen von bald dreißig Jahren, die immer noch ohne festen Job sind, unterwegs in der Hipster-Szene New Yorks, mit chaotischen Liebes- und Sexbeziehungen und dem großen Traum vom Künstlerleben, von der Selbstverwirklichung.

 

Film und Serie zeichnen ein überraschend realistisches Generationsporträt – an dessen Entwicklung die Frauen als Autorenfilmerinnen maßgeblich mitgewirkt haben. Lena Dunham schreibt für „Girls“ die Drehbücher, führt in vielen Folgen Regie und spielt selbst die Hauptrolle. Auch Greta Gerwig ist in „Frances Ha“ nicht nur Darstellerin der Titelrolle, sondern ist auch Co-Autorin des Drehbuchs. Serie und Film leben weniger von feministischen Ambitionen, sondern vor allem vom – ebenso tragischen wie komischen – Versuch dieser jungen Frauen, im Leben anzukommen, ohne ihre Ideale über den Haufen zu werfen. So etwas ist selten, zumal in Hollywood: dass man einer Frau beim Erwachsenwerden zuschaut, und zwar ernsthaft.

„Girls“ und „Frances Ha“ haben einen Nerv getroffen

Die Medien in den USA, aber auch in Europa berichten seit anderthalb Jahren unentwegt über „Girls“. Und auch „Frances Ha“, vor wenigen Wochen in Deutschland angelaufen, hat ungewöhnlich große Aufmerksamkeit erfahren. In Online-Netzwerken und Internetforen nehmen, genau wie schon bei „Girls“, viele Anteil. Überregionale Zeitungen druckten Interviews mit Greta Gerwig und deklarierten die 30-Jährige zum „genialen“ („Süddeutsche Zeitung“) „Superstar“ („epd Film“). Die Filmkritikerin der „Zeit“ stellt fest: „Auch Frauen wollen nicht erwachsen werden.“

Da scheint ein Nerv getroffen. Erwachsen werden die weiblichen Charaktere in Hollywoodfilmen bisher nämlich so gut wie nie. „Manic Pixie Dream Girl“ hat der Kritiker Nathan Rabin die typischen Darstellerinnen in vielen Coming-of-Age-Geschichten genannt: temperamentvolle, oberflächliche junge Frauen, deren Funktion im Film ist, dem männlichen Hauptdarsteller beim Reifen zu helfen. Selbst im französischen Nouvelle-Vague-Kino, an das sich in „Frances Ha“ so viele Reminiszenzen finden lassen, sind junge Frauen oft nur in ihrer Bedeutung für die Entwicklung junger Männer interessant – man denke nur an die kapriziöse Catherine aus François Truffauts „Jules und Jim“. Welche junge Frau, die gerade ihren ersten Job antritt, soll sich mit solchen Figuren identifizieren?

Frühere Freundinnen-Serien erscheinen plötzlich unfassbar veraltet. „Sex and the City“ etwa drehte sich um Carrie, Charlotte, Miranda und Samantha, vier junge Damen, die offenbar so übermäßig gut bezahlte Jobs haben, dass sie sich ständig Designermode kaufen, in großen Wohnungen in Manhattan leben und überall mit dem Taxi hinfahren können. Ihre Themen: Männer, Mode, Sex, Gerüchte. Die Serie war unterhaltsam, teilweise sehr witzig. Eines war sie nie: authentisch. „Girls“ hingegen ist ehrlich, schockierend – und zugleich unglaublich amüsant. Die „Girls“ haben ihr Studium erfolgreich abgeschlossen, seit Jahren absolvieren sie Praktikum um Praktikum, und noch immer müssen sie ihre Eltern um Geld bitten.

Hannah – sie will Schriftstellerin werden – sagt einmal zu ihren Eltern: „Ich will euch nicht erschrecken, aber ich glaube, ich könnte die Stimme meiner Generation sein – oder zumindest eine Stimme. Von einer Generation.“ Auch Greta Gerwigs „Frances Ha“ hat Ideale: sie will Tänzerin werden. Wie lange darf man sich an solchen Träumen festhalten, bevor man aufgibt und Kompromisse eingeht? Muss man das überhaupt? Fragen wie diese werfen der Film wie die Serie ständig auf.

Der Identitätskonflikt ist heute ein Dauerzustand

„Reality Bites“, ein Erfolgsfilm der Neunziger, behandelte ähnliche Themen. Die von Winona Ryder gespielte Hauptfigur will Filmemacherin werden und erklärt: „Ich mache diesen Dokumentarfilm über meine Freunde, aber es ist eigentlich ein Film über junge Menschen, die versuchen, ihre Identität zu finden, ohne wirkliche Vorbilder zu haben.“ Das ist schön gesagt, stimmt aber nicht. Diese jungen Menschen haben sehr wohl Vorbilder, und der Film zeichnet ein klar schwarz-weißes Bild: Man kann entweder Künstler werden oder als normaler Angestellter Geld verdienen. Die Heldin bekommt diese zwei Modelle von Männern – einem genialen Künstler und einem Business-Typen – vorgeführt. Der Film sagt: Mit Mitte zwanzig ist man so weit, sich festzulegen, wohin man gehören will. Am Ende steht die Entscheidung, das Problem ist gelöst, das „erwachsene“ Leben kann beginnen.

Im Gegensatz zu „Sex and the City“ wollte „Reality Bites“ durchaus ein realistisches Porträt der Generation X zeichnen, die in den neunziger Jahren jung war. Heute passt dieses Bild nicht mehr, denn in den USA wie auch in Europa sind immer mehr Männer und Frauen um die dreißig längst nicht an einem Punkt, an dem sie ein erwachsenes Angestelltenleben führen könnten, selbst wenn sie es wollten. Viele versuchen, sich von Praktika über Traineestellen zu einem befristeten Arbeitsvertrag zu hangeln – ohne Erfolgsgarantie: in zwei Jahren könnten sie an genau demselben Punkt stehen wie heute. Jenen heiklen Zeitpunkt, an dem eine Richtungsentscheidung fürs Leben ansteht, gibt es für viele nicht mehr. Der in „Reality Bites“ dargestellte Konflikt ist heute ein Dauerzustand. Das gilt auch für das Privatleben: Wenn in Großstädten mittlerweile die Hälfte der Ehen geschieden wird, sind es nur mehr Lebensabschnitte, die man miteinander verbringt – bis wieder etwas Neues kommt.

Wo ist dieses Leben, das doch genau hier sein müsste?

„Girls“ greift diesen Zustand auf und persifliert in vielen Szenen die „Sex and the City“-Abenteuer. Während man Carrie und ihre Freundinnen ständig auf angesagten Partys Cosmopolitans schlürfen sah, durchkämmen Hannah und ihre Freundinnen ausgestorbene New Yorker Straßen, verzweifelt auf der Suche nach einem coolen Event, das in einer Lagerhalle stattfinden soll. Als sie endlich dort ankommen, fällt ihnen eine weitere Freundin um den Hals: „Oh, mein Gott, ich bin seit zwei Stunden da und habe noch mit niemandem ein Wort gewechselt, es ist fürchterlich!“ Die „Girls“ stehen dann herum und trinken und schauen und warten. Wo ist dieses aufregende Leben, das doch genau hier und jetzt sein müsste? – Wer kennt diese Erfahrung nicht?

Woran sich Hannah und ihre Freundinnen messen, das wird schnell klar, sind all die Bilder, die von Serien wie „Sex and the City“ in ihre Hirne katapultiert worden sind. Das Gefühl, immer fehl am Platz zu sein, drückt sich schon in Hannahs Hipster-Oma-Klamotten aus: In ihren „Shorteralls“, wie sie es selbst nennt, Overalls mit viel zu kurzen Hosenbeinen, hat die junge Frau die Anmutung eines mutierten Säuglings. Auch bei Greta Gerwig drängt sich die Frage auf, ob sie irgendwann nicht mehr aussehen wird wie ein kleines Mädchen; Ringe wirken an ihren knuffigen Händen wie von der Mutter geliehen, tollpatschig rennt sie durch die Stadt und stolpert dabei über den Bordstein, nichts läuft glatt. Bei einem Abendessen mit coolen New Yorker Künstlerfreunden wird Frances gefragt: „Was machst du eigentlich?“ Sie antwortet: „Es ist schwer zu erklären.“ – „Weil du etwas so Kompliziertes machst?“ – „Weil ich es streng genommen gar nicht mache.“ Denn Frances kann von ihrem Job als Tänzerin (noch) nicht leben.

Und da ist es wieder: dieses Bild von einer Person, die man sein möchte, aber vielleicht noch nicht ist, vielleicht auch nie werden wird. Eine Freundin sagt zu Frances, eigentlich könne es sich doch heute niemand ohne reiche und spendable Eltern mehr leisten, Künstler zu werden. Frances versucht es trotzdem – wie so viele in den Metropolen weltweit.

Wohin soll diese Suche führen?

Die Authentizität von „Girls“ und „Frances Ha“ hat damit zu tun, dass Gerwig und Dunham viel Ähnlichkeit mit den von ihnen dargestellten Frauen haben. Lena Dunham gibt auf der Internetplattform Twitter alle schönen, traurigen und peinlichen Details ihres Alltags preis. Sie schreibt für den „New Yorker“ über ihre Generation und dreht für diverse Sender Dokumentationen. Peinliche Auftritte legt Dunham auch im echten Leben hin, wenn sie beispielsweise bei einer Preisverleihungsgala die Schuhe auf der Bühne auszieht, weil sie nicht mehr mit den hohen Absätzen gehen kann. Greta Gerwig wiederum hat in der „Süddeutschen Zeitung“ kürzlich über ihr Privatleben zu Protokoll gegeben: „In den Zwanzigern hatte ich immer das Gefühl, nicht genug Spaß zu haben. Ich litt unter dem Druck, ich müsste viel wilder sein, mehr Drogen nehmen und Sex auf keinen Fall in der Missionarsstellung haben, jedenfalls nicht mit Männern.“

Man glaubt Gerwig gern, was sie in einem Interview mit der Zeitschrift „epd Film“ sagt: „Oft wünschte ich, dass ich zwischen mir und der Rolle besser trennen könnte. Ich verwandle mich immer mit den Rollen.“ Seit Jahren wirkt sie an Filmprojekten mit, die ihr eigenes Leben als (Möchtegern-)Künstlerin zum Thema haben. Lange Zeit zählte sie sich zur sogenannten Mumblecore-Bewegung: Filmemacher wie sie und ihr Lebensgefährte Noah Baumbach, Autor und Regisseur von „Frances Ha“ und dem Vorgängerfilm „Greenberg“, zeigen Berufsjugendliche und Neurotiker in prekären Lebenssituationen: Mit beweglicher Kamera und ohne Kunstlicht filmen sie in die WG-Zimmer ihrer Generation. Es ist unklar, wohin die – dargestellte und gelebte – Suche dieser Frauengeneration führen soll. Mit weiblichen Identifikationsfiguren ist es leider nicht weit her. Figuren wie die Mutter von Hannahs Freundin Marnie in „Girls“ sind gespaltene Persönlichkeiten. Die Müttergeneration will mit ihren Töchtern über Sex sprechen und „Freundinnen“ sein – so weit, so verkraftbar. Doch Marnies Mutter hat noch anderes auf Lager. Sie beklagt Marnies entstehende Falten und die Tatsache, dass man ihr die dreißig ganz schön ansehe.

Diese Mütter haben die Ratschläge ihrer eigenen Mütter aus den sechziger Jahren unausrottbar verinnerlicht. Eigentlich sind sie die „Sex and the City“-Frauen, im ständigen Konflikt, ob sie die supersexy Samantha, die taffe Miranda oder Charlotte mit der Sehnsucht nach heiler Familie sein wollen. Sie reiben sich auf an der Differenz zwischen gesellschaftlicher Erwartung und eigenen Bedürfnissen. Das Unangenehme für die Töchter: je nach Situation wird aus der jeweils passend erscheinenden Schublade ein Ratschlag gezogen. Diese Mütter scheinen selbst nicht so genau zu wissen, wer sie sind. Und auch die „Girls“-Frauengeneration wird diese Mütter nicht folgenlos verdauen.

Was bleibt, ist der Glaube ans eigene Glück

So lange nach dem Ende des unangezweifelten Patriarchats ist es immer noch schwierig für Frauen, Identifikationsfiguren zu finden – egal welcher Generation sie angehören. Wer will ich sein, wie will ich leben? Was ist mir wichtig? Weil beruflich und privat alles immer offen bleibt, sind diese Fragen fester Bestandteil der Tagebücher junger Frauen um die dreißig. Die Neurosen, die Persönlichkeiten wie Lena Dunham oder Greta Gerwig und ihre fiktiven Charaktere ausleben, wirken nicht, wie etwa bei Woody Allen, übertrieben oder stilisiert: sie sind echt. Andererseits geben die Angehörigen dieser Generation alles in allem ein auffallend optimistisches Bild ab. Ihnen ist oft wirklich egal, was andere erwarten. Das angeblich Peinliche ist Teil der eigenen Persönlichkeit – und wer am Ende nicht lacht, ist selbst schuld. Diese Frauen geben nicht auf, im Gegenteil, sie sind noch nicht einmal latent depressiv.

Was sie auszeichnet, ist der feste Glaube, dass es weitergeht, ein beispielloser Optimismus. Es ist der Glaube an die eigenen Träume, so unwahrscheinlich diese auch sein mögen, der Glaube ans Glück. Letztlich haben Greta Gerwig und Lena Dunham es ja geschafft: Sie verwirklichen sich selbst und erfahren dafür internationale Anerkennung. Ihr Scheitern und ihre Erfolge teilen sie mit der Welt – vielleicht können sie damit eines Tages selbst Vorbilder sein. „Ich mag Dinge, die wie Fehler aussehen“, sagt die Heldin in „Frances Ha“. Mit diesem Blick auf die Welt steht sie nicht allein.