Das Nichteffiziente bleibt im Alltag oft unerkannt. Doch darin liegt die Fülle und aberwitzige Pracht unseres Lebens.  

Stuttgart - Vor einer Reihe Motorroller mit Transportkisten auf dem Gepäckträger saß an der Hauswand ein Pizzabote im Sonnenlicht. Er schnitt sich Stücke aus einer kleinen Pizza. Alles schrie danach, ihm im Vorübergehen Guten Appetit zu wünschen; um die Spannung zu erhöhen, entschloss ich mich aber, still zu sein. Ich setzte mich gegenüber auf den Rand eines öffentlichen Blumenkübels.

 

Ich habe früher viel programmiert und viel Pizza gegessen und fühlte mich mit dem Mann verbunden. Join my network, dachte ich und war zugleich verstimmt darüber, dass ich so dachte. Es war wie damals, als ich von Helmut Kohl geträumt hatte und vor Ärger aufgewacht war und nicht wusste, wie dieser Mensch in mein Tiefenbewusstsein gelangt war. Ich programmiere schon lange nicht mehr, eigentlich schade, denn das Programmieren und die Arbeit des Schriftstellers haben viel gemeinsam.

Loops erzeugen einen Zauber

Beides wird gern in der Nacht getan. In Programmiersprachen gibt es reservierte Worte, wie auch die Poesie sie verwendet. Wenn ein Dichter "Rose" schreibt, heißt das viel mehr als rote Blume. Auch die Strukturen, mit denen Dichter und Programmierer umgehen, sind verwandt. Refrains, die schon in den ersten Epen der Menschheitsgeschichte erscheinen, heißen bei Programmierern Loops und tun etwa dasselbe: sie erzeugen, wenn sie gut sind, einen Zauber. Der Pizzabote klaubte ein Olivenstück von einem Pizzastück, und die verbliebene Pizza glänzte in der Sonne. Ich wusste, ich darf nicht zu lange warten, sonst hat er fertig gegessen und ich kann ihm nichts mehr wünschen.

Als ich vor genau zehn Jahren hier meine erste Kolumne geschrieben habe, ging es auch ums Warten. Eine schwedische Firma hatte ein System entwickelt, das einem per SMS eine Wartenummer schickt, wenn man sich irgendwo anstellen muss. Nun haben wir zehn Jahre miteinander gewartet, dass es vorangeht. Dass die Welt moderner wird und wir mit Computerhilfe nicht einfach nur immer schneller warten. Was hat sich verändert?

Damals bin ich zum Thermometer am Fenster gegangen, um nach der Außentemperatur zu schauen. Heute gehe ich dazu ins Netz. Natürlich ändern die Dinge sich nicht so geradlinig. Taxifahrern, die mich fragen, welche Strecke sie fahren sollen, sage ich manchmal: die Schönere. Effizienz führt in ihrer traurigen Form zu nichts als Ergebnissen. Da man in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft offenbar an nichts anderem interessiert ist, bleibt es dem unbekümmerten Rest der Menschheit (uns!) vorbehalten, das Nichteffiziente, also die Fülle und aberwitzige Pracht des Lebens, zu erkunden und durch die überraschenden Abzweigungen der Weltinformationsmasse zu taumeln. Der Pizzabote hatte fertig gegessen und riss eine Dose Limonade auf. Sehr zum Wohle, sagte ich. Dann wandte ich mich damit an die wunderbaren Leser.
 

E-Mail an den Autor: p.glaser@stz.zgs.de
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