Manchmal muss man sich mit den Tatsachen einfach abfinden. Alles eine Sache der Einstellung und der richtigen Lektüre, findet die StZ-Redakteurin Julia Schröder.

Stuttgart - „Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Geläute . . .“ – von wegen. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche . . .“ – schön wär’s. „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte . . .“ – geh mir weg. Geht mir doch alle weg, ihr Propagandisten springender Knospen, zwitschernder Vöglein, allergenen Pollenflugs! Es hat einfach keinen Sinn, Frühlingsgefühle zu entwickeln und was von „Winter ade“ zu summen, wenn die Tatsachen draußen – rieselnde Flocken, gefrierende Pfützen, das Geräusch von Eiskratzern und Winterdienstfahrzeugen – so eindeutig vom Gegenteil künden. Finden wir uns damit ab: das bleibt jetzt so.

 

Man kann das. Wer sich das nicht vorstellen mag, greife nicht zu den einschlägig delirierenden deutschen Dichtern der klassisch-romantischen Epoche, sondern zu einem Werk des US-Romanciers Jonathan Lethem: „In diesem August hat es bislang nur zweimal geschneit. Die Zeitungen nennen es Sommer, und nach meinem Eindruck sind die Menschen zufrieden damit, es ihnen gleichzutun.“ Sein Roman „Chronic City“ spielt nicht etwa in Hammerfest, sondern in New York City. Na gut, es ist kein ganz realistischer Roman. Dennoch kann man sich vom die Witterung fatalistisch hinnehmenden Gemüt der handelnden Personen eine Scheibe abschneiden – wenn es sein muss.

Und jetzt, scheint’s, muss es sein. Denn, wie die Erfahrung des „Jahrs ohne Sommer“ – 1816 – lehrt, gibt es eh keine Alternative. Damals sind die frierenden Europäer über den Atlantik geschippert, um in der Neuen Welt neu anzufangen, aber da war es genauso unsommerlich wie daheim. Also heizen wir weiter, stapfen weiter durch den Matsch, denn, wie Lethem schreibt, „man kann sich ja auch nicht ewig selber über den Schnee schimpfen hören“.