Bei einer zweitägigen Klausurtagung hat der Göppinger Gemeinderat inhaltlich arbeiten und nebenbei seine bekannten atmosphärischen Probleme beseitigen wollen. Doch die gut gemeinte Ausfahrt nach Bad Boll produziert nur neuen Streit.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Göppingen - Knapp zwei Wochen vor einer lange geplanten Klausurtagung des Göppinger Gemeinderats hat der Oberbürgermeister Guido Till (CDU) das Programm von zwei Tagen auf einen Tag halbiert. Verwaltungsintern sei man bei der Vorbereitung des für den zweiten Tag geplanten Themas, der strategischen Zielplanung, nicht weit genug vorgedrungen, erklärte Till den verdutzten Stadträten. Grund seien die zahlreichen Neubesetzungen an der Spitze des Baudezernats.

 

Im Gemeinderat sorgte er damit für Unverständnis. „Das ist ein Armutszeugnis“, sagte der SPD-Fraktionschef Armin Roos. Entspreche die Begründung der Wahrheit, bewege sie sich „am Rande der Erbärmlichkeit.“ Allerdings hält nicht nur er das Ganze für eine Ausrede. Denn in den vergangenen Wochen gab es Kritik am geplanten Veranstaltungsort, der Evangelischen Akademie in Bad Boll. Während der Pirat Michael Freche erklärt hatte, als bekennender Atheist lehne er es ab, im Angesicht von Kruzifixen zu tagen, stieß sich der Linke Christian Stähle an der geplanten Übernachtung in dem zehn Kilometer von Göppingen entfernten Tagungshotel. 7600,60 Euro koste dies die Stadt. Dabei verfüge Göppingen selbst über geeignete Tagungsstätten, in deren Vermarktung man den Rest des Jahres viel Mühe investiere.

Nicht einmal die Hälfte will übernachten

Dass Stähle gleich noch seinen Boykott ankündigte, dürfte im übrigen Gemeinderat wahlweise auf Bedauern, Erleichterung oder Desinteresse gestoßen sein. Allerdings hält sich auch in den anderen Fraktionen die Begeisterung für die Klausurtagung in Grenzen. 33 der 40 Stadträte hatten sich angemeldet, viele aber nur für einen Tag. Über Nacht bleiben wollten nur 19. Nicht einmal der OB als offizieller Gastgeber hatte ein Zimmer gebucht. Er müsse heim zu seiner jungen Familie, erklärte er. Tills Söhne sind zwei und vier Jahre alt, dürften allerdings schon im Bett liegen, wenn der Herr Papa zu Hause eintrifft. Der gemütlichen Nachsitzung werde er selbstverständlich beiwohnen, versicherte sein Sprecher Olaf Hinrichsen.

Allerdings haben viele darauf schon gar keine Lust mehr. Dabei sei dies doch ein wesentlicher Sinn der ganzen Tagung, findet der Grünen-Sprecher Christoph Weber. Die geplante Unterweisung zu den Rechten und Pflichten eines Stadtrates hätte er als langjähriger Stadtrat über sich ergehen lassen. Viel wichtiger sei ihm jedoch der gesellige Teil gewesen, als „gute Gelegenheit, den Gemeinderat zusammenzubringen.“

Und was wird aus der Nachsitzung?

Gerade in Göppingen wäre dies in Anbetracht der vielen Querelen bitter nötig. Er habe noch gut eine Klausurtagung in Freudenstadt vor 15 Jahren in Erinnerung, sekundiert der CDU-Fraktionschef Felix Gerber. Das habe damals für die ganze Wahlperiode Früchte getragen. Daher weiß er: „Je weiter weg es geht, desto besser.“ Und Stefan Horn, Vormann der Freien Wähler, bläst ins gleiche Horn. Die nun geplante Klausurtagung sei „für die Katz“. Was der Gemeinderat in Anbetracht seiner atmosphärischen Probleme brauche, sei etwas anderes. „Ein Wellness-Wochenende in Österreich wäre geil.“

Dass die Klassenfahrt nach Bad Boll, wie erhofft, den Gemeinschaftssinn stärkt, glaubt inzwischen niemand mehr. Nur der CDU-Stadtrat Klaus Fischer kündigte trotzig an, dennoch in der Akademie übernachten zu wollen. Für die übrigen wird eine Stornogebühr von 40 Prozent fällig. Derweil kommt auf den Gemeinderat neues Ungemach zu. Das Latinum, in dem sich bis zuletzt etliche Räte zur interfraktionellen Nachsitzung trafen, macht dicht. Die Suche nach einer Ausweichgaststätte dürfte die Kompromissfähigkeit erneut auf eine harte Probe stellen.