Philipp Stölzl hat das Leben des deutschen Dichterfürsten verfilmt – und damit ein Ausrufezeichen gesetzt.

Stuttgart - Aber das geht doch nicht! Die Rollen waren bisher doch anders verteilt! Der Schiller war der aufsässige Feuerkopf und junge Schwärmer, Goethe dagegen immer alt und Geheimrat, nie in das richtige Leben verwickelt, sondern denkmalhaft-weise über ihm stehend. Und nun holt ihn Philipp Stölzl in seinem Film einfach vom Sockel, schubst ihn zurück in die Jugend, sieht ihn - man beachte das Ausrufezeichen des Titels! - als aufsässig-ungestümen Stürmer und Dränger.

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"Goethe ist 23, er redet viel und trinkt nicht wenig", so stellt die Erzählerstimme den Mann vor, der hier noch überhaupt keine Lust hat, zum Klassiker zu werden. Dieser große, junge, frische Goethe (Alexander Fehling) sprintet sofort los durch die Gassen und katapultiert sich auf eine fahrende Kutsche, um sein "Götz"-Manuskript auf den Weg zu bringen. Gleich danach stellt er sich ("Goethe mit oe!") keck der Jura-Prüfungskommission vor, hat keine Selbstzweifel, aber leider auch keine Ahnung, fällt durch und tanzt danach wie wild im schneebedeckten Hof herum.

Wenn die Kamera von oben herabschaut, ergeben seine Spuren eine Aufforderung, die er so ähnlich in seinem Stück niedergeschrieben hat: "Lecket mich". Goethes "Götz" aber wird vom Verlag abgelehnt, und der verkannte Dichter findet sich in einer muffigen Schreibstube in Wetzlar wieder.

"Goethe in Love" - Lotte und die Natur


In dieser Stadt rumst bei einer Feier die erhitzt-beschwipste Lotte (Miriam Stein) in ihn hinein. Sie schauen sich an, sie giften sich an, und doch ist es passiert: Jetzt könnte der Film "Goethe in Love" heißen. Tatsächlich geht Philipp Stölzl mit seinem Helden zunächst ähnlich schwungvoll-unbekümmert um wie John Madden 1998 in seiner romantischen Komödie mit Shakespeare. Der Regisseur dichtet Goethe also etwas an, führt ihn und die Angebetete zum Beispiel vor die Ruine eines gotischen Sakralbaus, lässt Lotte fragen "Wär da nicht jetzt der Augenblick?" und ihren Mund zu seinem hinbewegen, und dann ... Aber ja, dann tun es Goethe und Lotte auf dem Waldboden, sehr naturverbunden, mit Erdklümpchen auf der nackten Haut.

Stölzl nimmt sich also die Freiheit heraus, Goethes erstes Mal um ein paar Jahre vorzuverlegen. Aber er löst sich dann doch nie ganz von der Biografie des Dichters, spielt eher mit ihr, arbeitet sozusagen die Möglichkeitsform in sie hinein. Und er löst sich auch nicht ganz vom Genre des Kostümfilms, wählt allerdings nicht die sterile Historien-Rekonstruktion, sondern die schmutzige Variante mit angemakeltem Fachwerk, schlammigem Pflaster, verfallendem Putz und oft abgetragener Kleidung. Und er drückt dem späten 18. Jahrhundert ein modernes Erzähltempo auf: Goethe lebt hier ein ziemlich bewegtes Leben.

Zeit und Raum für Goethes Schmachten und Sehnen


In der zweiten Hälfte aber, wenn sich der spießige Kanzleichef Kestner (Moritz Bleibtreu) als Goethes Konkurrent in Liebesdingen herausgestellt hat, nimmt Stölzl ein wenig Tempo heraus. Dieser Kestner wirbt zwar sehr unbeholfen um Lotte, und auf ihre Frage, ob er "die Galotti" kenne, antwortet er steif: "Nicht persönlich." Aber er kann Lottes Familie vor der Armut retten, er wird, und da will auch Stölzl nichts dran ändern, diese Frau, wenn schon nicht für sich gewinnen, so doch heiraten. So wird nun Goethes Sehnen, Schmachten und Unglücklichsein Zeit und Raum gegeben. Und nachdem sich schon sein Freund wegen einer unglücklichen Liebe erschossen hat, droht nun dem Film die Tragödie.

Auch Goethe setzt hier nämlich einen Pistolenlauf an die Schläfe. Aber dann dringt doch keine Kugel in seinen Kopf ein, dann drängen vielmehr die "Leiden des jungen Werther" aus diesem heraus. Anders gesagt: Goethe sublimiert, er macht aus seiner Verzweiflung Literatur. Und was hat Stölzl am Ende aus Goethe gemacht? Nun ja, einen modernen Jüngling, der im Drogenpilzrausch durch einen Jahrmarkt taumelt, einen Popstar auch, der seine Werke signiert, und vielleicht einen massentauglichen Helden für heutige Kinozeiten.

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Für so eine Abkehr vom tradierten Goethe-Bild ist freilich ein Preis zu zahlen: das allzu Komplexe hat in dieser Erzählung keinen Platz. Aber Esprit und Leichtigkeit hat dieser Film schon. Und wenn er augenzwinkernd auf spätere Werke seines Helden hinweist, ist das auch ein netter Spaß für Goethe-Kenner. Den letzten Satz, der sich auf den "Werther" bezieht, darf übrigens Lotte sagen: "Das ist mehr als die Wahrheit. Das ist Dichtung."

PS: Im Abspann dankt der Regisseur seinem Deutschlehrer.

Goethe! Deutschland 2010. Regie: Philipp Stölzl. Mit: Alexander Fehling, Miriam Stein, Moritz Bleibtreu. 100 Minuten. Ohne Altersbeschränkung. Cinemaxx Mitte, Metropol, Ufa