Der Deutschland-Chef des US-Konzerns Google buhlt um die Gunst des Mittelstands. Für ihn hat Google in Deutschland ein besonders positives Image.

Stuttgart - Weniger als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland haben laut Google eine Internetpräsenz. Das ist zu wenig, meint Stefan Tweraser.

 

Herr Tweraser, bemitleiden Sie die Ihre Kollegen eigentlich wegen Ihres Job hier in Deutschland?
Nein, ich glaube, die beneiden mich eher. Deutschland ist das drittgrößte Land für Google. Es ist ein Markt, der trotz seiner beträchtlichen Größe enorm stark wächst. Außerdem hat Google in Deutschland ein besonders positives Image. Und in Deutschland sind Datenschutz und Privatsphäre wichtige Themen, so dass wir die Datenschutzmaßnahmen für Produkte wie zum Beispiel Google Street View hier vor Ort weiterentwickeln.

Dass Google ganze Straßenzüge abfotografiert hat, ist in Deutschland auf großen Widerstand gestoßen, und es gab Zugeständnisse im Sinne des Datenschutzes.
Dass wir Häuserfassaden verpixeln mussten, ist für uns kein Zugeständnis, sondern eine logische Weiterentwicklung unseres Produkts. Deutschland hat zu Recht ein sehr hohes Augenmerk darauf gelegt, dass ein Produkt wie Street View den Anforderungen der deutschen Datenschutzbehörden genügt. De facto haben aber weniger als drei Prozent der Verbraucher das Angebot in Anspruch genommen, ihre Häuser unkenntlich zu machen. Auf der anderen Seite ist die Nutzung unseres Kartendienstes Google Maps, bei dem Verbraucher sich die Fotos ansehen können, in Deutschland um mehr als 300 Prozent gestiegen.

Es gab Gerüchte, dass Google in Deutschland trotz allem entnervt aufgegeben hat und hier bis auf weiteres keine Street-View-Aufnahmen mehr machen möchte.
Wir brauchen derzeit schlichtweg keine neuen Fotos. Das hat nichts mit Aufgeben zu tun. Street View wurde von den Verbrauchern in Deutschland sehr positiv aufgenommen. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen können die Aufnahmen zudem nutzen, um über den Kartendienst Maps auf sich aufmerksam zu machen. Und über Anzeigen auf den Suchergebnisseiten von Google können sie Kunden auf ihre Internetseite holen.

In dieser Woche macht Google mit dem "Online Motor Deutschland" im Römerkastell in Bad Cannstatt halt, um den Mittelstand von den Vorzügen des Internets zu überzeugen. Ist diese Initiative angesichts der Debatte über die jüngste Datenübermittlung von Google-Handys auch ein Versuch, das Vertrauen der Deutschen zurückzugewinnen?
Natürlich ist alles, was wir tun, eine ausgestreckte Hand, um unseren Partnern, unseren Werbekunden und unseren Nutzern zu zeigen, dass wir ein Unternehmen sind, das Datenschutz ernst nimmt. Da ist die Initiative keine Ausnahme, aber wenn wir glauben würden, dass es ein Wahrnehmungsthema bei Google gibt, würden wir uns nicht nur an Partner und Kunden, sondern auch gezielt an die Nutzer wenden.

Ist der Mittelstand zu wenig im Netz?
In Deutschland gibt es eine Internetreichweite von mehr als 80 Prozent. In manchen Zielgruppen wie zum Beispiel bei den unter 20-Jährigen sind es sogar 98 Prozent. Andererseits haben weniger als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland eine Internetpräsenz, und bei weniger als zwanzig Prozent können Verbraucher etwas bestellen oder kaufen. Das heißt, es gibt ein riesiges Potenzial für kleine und mittelständische Unternehmen, Kunden, die online sind, auch online abzuholen. 

"Ein Fünftel aller Suchanfragen ist regional"

Welches Potenzial gibt es für Google?
Die eine Hälfte des gesamten Google-Geschäfts machen wir mit den großen Werbetreibenden, die andere mit den kleinen mittelständischen Unternehmen. Beide Bereiche wachsen sehr stark. Es geht bei der aktuellen Initiative nicht darum, Anteile zu verschieben. Doch wir sehen gerade im Mittelstand ein riesiges Potenzial. Ein Fünftel aller Suchanfragen hat mittlerweile einen regionalen Bezug. Das heißt, es wird nach "Schreiner Stuttgart" oder "Installateur München" gesucht. Diese regionale Suche nimmt zu.

Der Bäcker um die Ecke lebt aber doch in erster Linie von Mundpropaganda.
Na ja, für welches Unternehmen wird sich ein Verbraucher entscheiden, der nach einem Fahrradladen sucht? Für das Geschäft, das ihm im Internet bereits eine Anfahrtsskizze gibt, die Öffnungszeiten präsentiert, vielleicht eine Telefonnummer einblendet und sagt, welche Marken es dort gibt? Oder für ein Geschäft ohne Internetpräsenz?

Wie wäre es mit dem Handwerker, den ihm sein Nachbar oder Freund empfohlen hat.
Natürlich auch für den. Aber das ist ja kein Problem. Das Internet ist eine der größten Empfehlungsmaschinen, die es gibt. Wenn man bei einem Lokal heute keine Onlinebewertung findet, dann hat der Verbraucher ein Element weniger, um sich eine Meinung zu bilden. Und das Lokal wird es vermutlich schwerer haben, die Aufmerksamkeit des Kunden zu bekommen.

Unternehmen wie der Gutscheindienst Groupon oder die Internetplattform Facebook haben das System der Mundpropaganda ins Internet übertragen. Eine Anzeige im Internet zu schalten ist da ja fast altbacken.
Die Anzeigen neben den Suchergebnissen sind ursprünglich für jene Unternehmen gedacht gewesen, für die klassische Werbung im Fernsehen und in Printmedien zu teuer war und die genau die Zielgruppe ansprechen wollten, die ihr Produkt sucht. Insofern ist das Bedienen von mittelständischen Unternehmen, die einen regionalen Bezug haben wollen, Kern unseres Geschäfts. Außerdem kann sich die Reichweite unserer Onlinewerbung durchaus sehen lassen. Jeden Tag gibt es bei Google insgesamt eine Milliarde Suchanfragen. Das sind auch eine Milliarde Möglichkeiten für Unternehmen, mit ihren Kunden in Kontakt zu treten.

Aber Empfehlungen von Freunden haben einen anderen Informationswert als automatisch generierte Suchergebnisse.
Ja, für bestimmte Produkte und Marken bietet es sich sicherlich an, auf Empfehlungen zu setzen. Auch wir integrieren ja soziale Komponenten in unsere Angebote und ergänzen unsere Suchergebnisse mit einem Empfehlungsbutton. Das ist eine andere Form von Werbung. Aber - und das ist das Wichtige - es ist Onlinewerbung.

Hintergrund: Der Marketingexperte

Deutschlandchef
Stefan Tweraser steht seit Mai 2008 an der Spitze von Google Deutschland. Zuvor sammelte der studierte und promovierte Betriebswirt Erfahrungen bei McKinsey & Company in Wien und in verschiedenen Marketing- und Vertriebsprojekten bei Telekom-, Handels- und Konsumgüterunternehmen. Bei der Telekom Austria arbeitete der gebürtige Österreicher ebenfalls im Marketing und verantwortete dort unter anderem das Produktmanagement und die Internetaktivitäten. Tweraser ist 42 Jahre alt.