„Am Abend aller Tage“: Dominik Grafs ungewöhnliche Annäherung an den Fall Gurlitt erfreut durch eine kunstvolle Bildgestaltung und die umwerfende Hauptdarstellerin Victoria Sordo.

München - Der Titel legt ein ungutes Ende nahe, das der mindestens mehrdeutige Filmschluss vielleicht auch einlöst. Dominik Grafs in vielerlei Hinsicht reizvoller Film „Am Abend aller Tage“ ist an den sensationellen Schwabinger Kunstfund angelehnt, als Ermittler vor einigen Jahren in der über tausend Bilder umfassenden Kunstsammlung des Müncheners Cornelius Gurlitt viele als verschollen geltende Gemälde und auch diverse Raubkunstwerke entdeckten. Graf und sein Autor Markus Busch erzählen zunächst jedoch eine ganz andere Geschichte, die sich an dem Henry-James-Roman „Die Aspern-Schriften“ orientiert: Philipp Keyser (Friedrich Mücke) soll im Auftrag einer Gruppe von Frankfurter Geschäftsleuten aus Gründen, die nicht näher erläutert werden, ein Gemälde des (fiktiven) deutschen Expressionisten Ludwig Glaeden suchen und kaufen; Geld spielt keine Rolle. Allerdings ist fraglich, ob das Bild überhaupt existiert; einziges Zeugnis ist das Foto einer Wand, an der es mal gehangen haben soll.

 

Keyser hat unter anderem ein abgebrochenes Studium der Kunstgeschichte hinter sich und verehrt Glaeden. Er reist nach München und versucht vergeblich, Kontakt zu dem greisen Kunstsammler Magnus Dutt (Ernst Jacobi) aufzunehmen. Schließlich gelingt es ihm, zumindest die nicht minder scheue Großnichte des Mannes kennenzulernen. Alma Kufferer (Victoria Sordo) ist eine auf Anhieb faszinierende Künstlerin, deren Arbeiten ein Verfallsdatum haben, weil sie mit vergänglichen Materialien arbeitet. Der attraktive Keyser zieht alle Register, um Alma zu erobern und auf diese Weise Zutritt zur verwunschen wirkenden Villa ihres Großonkels zu bekommen. Der wiederum versteht sich als Hüter der Kunst und lässt keinen Zweifel daran, dass er das Gemälde nicht freiwillig hergeben will, denn „Bilder gehören niemandem, sie gehören nur sich selbst“.

Vieles bleibt im Dunklen

Die Handlung klingt nach romantischem Drama, zumal sich zwischen Keyser und Alma eine leidenschaftliche Beziehung entwickelt, aber Graf erzählt sie fast als Mystery-Krimi. Von Anfang an prägt Rätselhaftigkeit diesen Film, zumal die Musik (Sven Rossenbach und Florian van Volxem) nahelegt, dass sich was zusammenbraut; sie sorgt bis zum Schluss dafür, dass eine ominöse Atmosphäre über den Bildern schwebt. Pure Kunst ist auch die Bildgestaltung von Martin Farkas. Auf einem kleinen Bildschirm kann „Am Abend aller Tage“ unmöglich seine ganze Wirkung entfalten; im Grunde gehört der Film ins Kino. Ganz oft agieren die Figuren im Zwielicht, was natürlich perfekt zur Geschichte passt. Mitunter trägt sich die Handlung ganz klein in einem erleuchteten Winkel zu, der Rest des Bildes bleibt schwarz; auch das entspricht der Rolle Keysers, der das ganze Ausmaß der Ereignisse auch nicht versteht.

Schade nur, dass Graf, der nicht zuletzt dank der vielfach ausgezeichneten ARD-Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ den zweifelhaften Ruf genießt, seine Produktionen mitunter finanziell ausufern zu lassen, ausgerechnet bei diesem Film die Zeit ausgeht; am Schluss muss er die Geschichte gar aus dem Off zu Ende erzählen. Dass nicht alle Ebenen, die zu Beginn angedeutet werden – an dem Bild „klebt Leid dran“ –, restlos geklärt werden, lässt sich verschmerzen, die Geschichte ist ohnehin recht elliptisch erzählt, weil Graf viel mit Auslassungen arbeitet – weshalb sich Ästhetik und Inhalt auch perfekt ergänzen.

Ins Herz der Finsternis

Andererseits baut der Film eine Spannung auf, die an Alan Parkers Mystery-Thriller „Angel Heart“ (1987) erinnert: als ob Keysers Reise in sein eigenes Herz der Finsternis führen werde; dazu würden auch der Unheil verkündende Titel und eine der verschiedenen Schlussvarianten passen. Aber selbst wenn sonst nichts für diesen Film spräche, wäre da immer noch Victoria Sordo, die keinerlei Zweifel daran aufkommen lässt, warum der offenkundig mit ziemlich vielen Abwassern gewaschene Keyser der ebenso rätselhaften wie leidenschaftlichen Alma Kufferer schließlich gegen seinen Willen verfällt. Spätestens jetzt erinnert „Am Abend aller Tage“ an amerikanische Krimis, zumal der bei der Wahl seiner Mittel alles andere als wählerische Keyser bei seiner Vorgehensweise ohnehin dem klassischen Hollywood-Filmdetektiv nachempfunden scheint. Ein ungewöhnlicher Stoff, ein ungewöhnlicher Film.