Erotik und Extravaganz ziehen. Das Friedrichsbau Varieté freut sich über den besten Vorverkauf seit Jahren. Bei der Premiere der heißblütigen Wintershow „Grande Revue“ waren Promis wie Unternehmer Hans Peter Stihl, Rennfahrer-Legende Hans Herrmann und Kammersängerin Helene Schneiderman begeistert.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Mitten in Stuttgart leuchten riesige Buchstaben mit pinkfarbener Kraft: „Ekstase“. Die hochgelobte Ausstellung des Kunstmuseums feiert den Ausbruch aus der Tristesse und der Norm. An zentraler City-Stelle zeigt die Signalschrift der Glasfassade weithin sichtbar an, dass sich die Stadt ihrem biederen Image widersetzt und auch mal die Kontrolle verliert. Im Kessel darf sich die Kunst rauschhaften Hochgefühlen ergeben – und an den höher gelegenen Rändern der Stadt geht es grad so bunt und aussschweifend weiter. Im neuen Winterprogramm „Grande Revue“ feiert das Friedrichsbau-Varieté mit Showgirls, funkelnden Pailletten, erotischen Nummern, Komik und Artistik meist heißblütig die Extravaganz und den Glamour.

 

Als „elegant, sexy und pulsierend“ beschreibt Varieté-Chef Timo Steinhauer die Show, die, wie er findet, sehr gut zu einer immer weiter auftrumpfenden Stadt passt. In diesen Tagen pulsiert Stuttgart fürwahr. Der rote Teppich wird zur Auslegware von Stuttgart. Premieren am Donnerstagabend im Palazzo mit Spitzenkoch Harald Wohlfahrt und gleichzeitig auf den Musicalhöhen mit „Anastasia“, am Freitagabend Landespresseball mit Boney M. in der Liederhalle und gleichzeitig drei Premieren: Glitzerglanz auf dem Pragsattel im Friedrichsbau, Schwäbisches in der Komödie im Marquardt (mundartlich übersetzter „Tratsch im Treppenhaus“ nach Heidi Kabel mit Publikumsliebling Monika Hirschle) sowie Brecht im Theater der Altstadt im Westen („Mutter Courage und ihre Kinder“ zum 60. Geburtstag des Theaters).

Schwäbische Zurückhaltung ist auf Dauer öde

Wenn wir uns mal nicht mehr wundern, dass in Stuttgart so viel los ist, sind wir kein Dorf mehr, sondern doch schon ein echtes Weltstädtle. Understatement ist gut, weil wahre Größe keine Angeberei braucht – aber schwäbische Zurückhaltung ist auf Dauer auch ziemlich öde.

Das Wort Extravaganz, findet Sebastian Weingarten, der Intendant des Renitenztheaters, passt zu Stuttgart allein schon wegen der Topografie. Aber nicht nur „die Kessellage mit den außergewöhnlichen Ausblicken“ sei hier einmalig, sondern ebenso die „kulturelle Vielfalt“. Sein Wunsch: „Wir sollten nicht ständig versuchen, unsere Stadt zu erklären, sondern sie selbstverständlich genießen mit all ihren individuellen Extravaganzen.“

Ähnlich sieht es Christina Lucia Semrau, die Botschafterin des Kinderhospizes, die wie Weingarten die Premiere der „Grande Revue“ im Friedrichsbau besuchte. Die Wahlstuttgarterin, die vor 20 Jahren aus Frankfurt kam, plädiert dafür, „die schwäbische Bescheidenheit in puncto Kunst und Kultur endlich mal abzulegen“. Bei fünf Premieren und Presseball an zwei Tagen sollten sich „die Intendanten künftig aber besser absprechen“, findet sie. „Die Lust am Chic und an der Eleganz vergangener Zeit“ gefällt ihr gut und auch, „dass es in dieser Stadt kein Entweder-oder von einzelnen Stilrichtungen gibt“, sondern dass die Freiheit bestehe, „alles auszuleben“.

„Die Vorverkaufszahlen sind fantastisch“

Modedesigner Tobias Siewert versucht, seinem Alltag „immer ein Stück Extravaganz“ zu geben. Extravaganz sei relativ, sagt er. Was für die einen gewagt sei, sei für andere langweilig. Mascha Hülsewig von der Erotikboutique Frau Blum findet es gut, wenn sich Menschen aus der Reserve locken lassen, sich außergewöhnlich kleiden und fern vom Alltag in eine andere Rolle schlüpfen. Ihr alter Arbeitsplatz, das Varieté, erstrahlt „kreativ und bohemien“, was sie begrüßt. Außerdem bei der Revue-Premiere gesehen: Unternehmer Hans Peter Stihl, Opernsängerin Helene Schneiderman, Moderator Jens Zimmermann, Sänger Damiano Maiolini ( „The Voice of Germany“), Filmproduzent Robin K. Bieber, Bloggerin Emma von Bergenspitz, Galeristin Saby Lazi, Rennfahrer-Legende Hans Hermann und viele andere. Die Begeisterung war groß, weil in der Show Nummern sind, wie sie selbst häufige Varieté-Besucher noch nicht gesehen haben. Ein erotischer Höhepunkt war der akrobatische Tanz eines Paares auf und in der Badewanne.

Friedrichsbau-Chef Timo Steinhauer ist im Glück. Mit der bunten Revue habe man „einen Nerv getroffen“, jubelt er: „Die Vorverkaufszahlen sind fantastisch und übertrumpfen die der letzten Jahre.“

Extravaganz steht unserer Stadt gut.