Graphic Novels sind aufwendig in der Produktion und anspruchsvoll im Inhalt. Das Blaue Haus zeigt die Ausstellung „Drei Steine“ von Nils Oskamp. Der Autor wurde als Kind von Populisten fast tot geprügelt.
Böblingen - Dunkle Gestalten prügeln auf einen Mann ein, mit Lederstiefeln treten sie ihn ins Gesicht. So beginnt das Buch „Drei Steine“ von Nils Oskamp. Es ist eine düstere Welt, die der Autor und Grafiker erschaffen hat. Die Tritte und Schläge hat er selbst erlebt. Als 13-Jähriger legte er sich mit Neonazis an – und bezahlte es beinahe mit dem Leben. 35 Jahre später verarbeitete Oskamp die Erlebnisse in einer Graphic Novel, also einem Comic mit anspruchsvollem Inhalt. Nun zeigt der Böblinger Kulturverein Blaues Haus bis Ende März Ausschnitte des vor drei Jahren erschienenen Werkes und thematisiert in der dazugehörigen Wanderausstellung auch das Ausmaß rechtspolitischer Gewalt.
Die großformatigen Tafeln der Ausstellung, die Bilder und Erklärungen sind in drei Themen, sozusagen drei Steine, aufgeteilt, die auch die Comic-Geschichte vorantreiben: Auf einem jüdischen Friedhof in Dortmund entdeckt der Protagonist Nils mit Hakenkreuzen verschmierte Gräber. Er findet auch Steine, von denen er drei einsteckt. Einen schleudert Nils gegen Jugendliche in Springerstiefeln und entfacht so eine Welle der Gewalt. Oskamp erzählt, wie Anfang der 1980er Jahre die Anhänger der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD) wiedererstarken. Damals bricht im Ruhrgebiet die Kohle- und Stahlindustrie zusammen, jeder Dritte wird arbeitslos. Nicht wenige sympathisieren mit den Parolen der Populisten.
Der Eindruck eines Filmes
Mit Details aus dem Schulalltag der 80er Jahre, wie Frisuren und Collegejacken, und in bedrückenden Schattenfarben gehalten, zeichnet und erzählt Oskamp, wie ausländerfeindliche Sprüche alltäglich werden; wie Eltern und Lehrer Schlägereien und Verletzungen verharmlosen, die von Rechten ausgehen. „Ich möchte Schüler und Jugendliche aufklären“, sagte Nils Oskamp bei seiner Lesung in Böblingen. Einige Tage zuvor hatte er auch einen Workshop im Albert-Einstein-Gymnasium der Stadt angeboten. Er habe den Eindruck, dass seine Erlebnisse nach den Wahlerfolgen von Donald Trump und der AfD sehr aktuell seien, sagte der 51-Jährige bei der Gelegenheit.
Um die Schüler zu erreichen, scheint das Medium der Graphic Novel ideal. Die komplexe Verbindung von aufwendigen Bildern und klugen Texten hinterlässt beim Leser eher den Eindruck eines Filmes als den eines Comics. „Mit dicken Romanen von Thomas Mann ist es heute schwer, junge Menschen anzusprechen“, sagt Steffen Volkmer vom Stuttgarter Panini-Verlag, der Bücher wie „Drei Steine“ veröffentlicht. Comics hingegen würden einen eher niederschwelligen Zugang zum Thema bieten.
Volkmer moderiert regelmäßig im Blauen Haus die Veranstaltung „Comics und Bier“ und kennt sich in der Branche aus. „Immer mehr Bücherläden und Verlage versuchen die Graphic Novels zu fördern“, sagt er. Auch weil Kunden die schön gestalteten Bände gerne weiterschenkten. Schon lange zielen die Veröffentlichungen nicht mehr allein auf Jugendliche ab.
Ein Image der Schundliteratur
Wie bei Videospielen oder Filmen reicht das Angebot heute von Horror bis Science-Fiction und richtet sich eher an Erwachsene. Trotzdem wünscht sich Volkmer eine größere Akzeptanz für die neunte Kunst. Als solche sehen die Anhänger die Comics neben Film und Musik. Vereinzelten Verkaufserfolgen zum Trotz, wie beispielsweise der Marvel-Superheldengeschichten oder Kritikererfolgen wie Sabrina von Nick Drnaso, leidet das Genre innerhalb der Kulturbranche in Deutschland nach wie vor eher unter dem Image, „Schundliteratur“ zu sein. Kaum ein Erzähler kann von seinen Erzeugnissen leben, der Markt ist zu klein. Dazu kommen fast 90 Prozent aller Werke, die verkauft werden, aus dem Ausland. In den USA und Frankreich gibt es nicht wenige, deren Namen sich in den Kulturblättern etabliert haben. Das strahlt auch nach Deutschland aus: „Wer hier erfolgreich sein will, muss im Ausland veröffentlichen“, sagt Nils Oskamp.
Im Moment überarbeitet er die „Drei Steine“ für den französischen Markt. Dort will er das Buch in einer verlängerten Version verkaufen. „Bei Comics habe ich eine größere künstlerische Freiheit“, benennt er die Vorteile des Mediums. Lebten Romane von der Imagination des Lesers und Filme von eindrücklichen Bildern, so seien Comics „das Beste aus beidem“.