Im Schulamt gilt sie als Vorzeigeeinrichtung: Nun attestiert ein Gutachten der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen zahlreiche Mängel – und sorgt für neue Turbulenzen in der Schulpolitik.

Stuttgart - Ausgerechnet die Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen, die im Schulamt als eine Leuchtturmschule unter den Gemeinschaftsschulen gilt, wirft jetzt ein schlechtes Licht auf die neue Schulart. Durch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ wurde ein 40 Seiten starker Zwischenbericht der Universität Tübingen bekannt, der der Schule zahlreiche Mängel attestiert. Über das individuelle Lernen, einem der zentralen Felder der Schulart, heißt es in dem Bericht, der der StZ vorliegt, „alle Beteiligten waren sich darüber einig, dass die Lernzeiten nicht effektiv genutzt werden und zu wenig gearbeitet werden würde“. Die Lehrer beklagen den wissenschaftlichen Begleitern gegenüber, es sei schwer, einen Überblick zu bekommen, welche Schüler an welchem Thema arbeiteten und welche Materialien dafür notwendig seien.

 

Die Gemeinschaftsschulen sind in Baden-Württemberg als inklusive Schulen definiert. Doch auch beim gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung weist die Schule der Studie zufolge Mängel auf. Es gebe kein Leitbild, auch eine Konzeption existiere noch nicht, heißt es in dem Bericht. Die Schulleitung fordert demnach mehr Unterstützung durch den Gesetzgeber und sieht sich unter den bisherigen Bedingungen „tendenziell überfordert“.

Gymnasiallehrer wollen nicht an Gemeinschaftsschule

Als tragende Säule der Gemeinschaftsschule gilt das kooperative Lernen. Die Forscher konnten jedoch allenfalls „in ersten Ansätzen“ kooperatives Lernen erkennen, „welches deutlich über das bloße Arbeiten in Kleingruppe hinausgeht“. Echte Gruppenarbeit stellten die Bildungsforscher nicht fest. Häufig sei es auf dem Flur, den Schüler zum selbst organisierten Lernen nutzen könnten, so laut, dass nicht konzentriert gearbeitet werden könne.

Gemeinschaftsschulen sollen auf Noten verzichten. Die Systematik der Leistungsbeurteilung an der Geschwister-Scholl-Schule wurde den Evaluatoren aber nicht klar. die Leistungsbemessung sei sehr aufwendig, die Lernentwicklung der Schüler komme aber nicht zum Ausdruck. Ausdrücklich sind Gemeinschaftsschulen als Schulen definiert, die Schüler aller Leistungsniveaus von der fünften bis zur zehnten Klasse gemeinsam unterrichten. Für das höchste Niveau sollen auch Gymnasiallehrer beschäftigt werden. Die Geschwister-Scholl-Schule besteht aus Gymnasium und Gemeinschaftsschule. Doch zeigen die Gymnasiallehrer dem Bericht zufolge wenig Neigung, an der Gemeinschaftsschule zu unterrichten.

Die Opposition sieht sich bestätigt

Die oppositionelle CDU sieht sich in ihrer Skepsis gegenüber der neuen Schulart bestätigt. „Der Bericht deckt die schon lange befürchteten Qualitätsdefizite der Gemeinschaftsschule auf“, erklärt der Fraktionsvorsitzende Guido Wolf. Er fordert die Landesregierung auf, „dass sie das ideologisch geprägte Konzept der Gemeinschaftsschule zum Wohle der Kinder und Jugendlichen korrigiert“. Eltern und Schuleiter würden von der Regierung getäuscht, das Kultusministerium verheimliche die Defizite, weil es den Evaluationsbericht unter Verschluss halte. Auch die FDP spricht davon, das Ministerium halte die Studie geheim und verlangt, die Studie umgehend zu veröffentlichen. Die Expertise trägt tatsächlich den Stempel „nur intern verwenden“. Der Vermerk stammt aber von den Forschern, erfuhr die StZ.

Die Geschwister-Scholl-Schule ist eine von insgesamt zehn Gemeinschaftsschulen, die von der Universität Tübingen und den Pädagogischen Hochschulen Freiburg, Heidelberg und Weingarten seit dem Jahr 2013 begleitet werden. Der Abschlussbericht mit Grundsatzaussagen zu der neuen Schulart wird im Januar 2016 erwartet. Jede der zehn Starterschulen hat im November einen schulspezifischen Zwischenbericht erhalten. Bekannt wurde jetzt der Bericht der Geschwister-Scholl-Schule.

Das Kultusministerium weist jeden Vorwurf der Verheimlichung vehement zurück. „Hier wird bewusst skandalisiert“, kritisiert ein Sprecher von Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Das Gutachten liege dem Ministerium nicht vor und sei ihm auch nicht bekannt. Der Bericht sei für die interne Qualitätsentwicklung der Schule gedacht. Gegen Verallgemeinerungen wendet sich auch der Verein für Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg. Die Studie sei noch nicht abgeschlossen. Es sei unsäglich, wie versucht werde, ein erstes mögliches Teilergebnis für politische Zwecke auszunutzen, sagte der Vereinsvorsitzende Matthias Wagner-Uhl.