Gutachter bei Gericht Lukratives Geschäft für große Büros
Zu große Nähe zwischen Richtern und Sachverständigen helfe der „Streitbewirtschaftungsindustrie“, sagt Hildegund Sünderhauf, Expertin für Familienrecht. Sie gefährde aber die Neutralität.
Zu große Nähe zwischen Richtern und Sachverständigen helfe der „Streitbewirtschaftungsindustrie“, sagt Hildegund Sünderhauf, Expertin für Familienrecht. Sie gefährde aber die Neutralität.
Frau Sünderhauf, warum will der Gesetzgeber, dass der vom Gericht benannte Gutachter die Arbeit nicht delegiert?
Man will sicherstellen, dass Exploration, Wahrnehmung und Bewertung in einer Hand liegen. Das spielt besonders bei familienpsychologischen Gutachten eine große Rolle, wo es keine objektive Wahrheit gibt. Der Sachverständige, der mit der Familie spricht und sich vor Ort ein Bild von der Lebenssituation macht, soll auch die Verantwortung für das Gutachten tragen. Sonst müsste er ja, wenn er vor Gericht geladen wird, bei weiteren Fragen zum Kind einräumen, dieses nie gesehen zu haben.
Wenn aber der Gesetzgeber darauf Wert legt, dass alles in einer Hand bleibt, warum gibt es dann große Büros, die mit freischaffenden Gutachtern zusammenarbeiten?
Das hat mehrere Gründe. Für die Freischaffenden, die meist jung und unqualifiziert sind, ist es meist der einzige Weg, an Aufträge für Gutachten heranzukommen. Für die Richter spart es Zeit und Energie, wenn sie die Suche nach einem Gutachter einem großen Büro übertragen können. Und für die Büroleiter springt ein äußerst lukratives Geschäft dabei heraus.
Gefährdet diese Form der Zusammenarbeit die Neutralität, die ein Gutachter haben sollte?
Ja. In solchen Strukturen fragen Richter immer wieder dieselben Büros an. Das birgt die Gefahr, dass die Büros erkennen, welche Ansichten der Richter hat, und dann im Gutachten dazu neigen, diese Ansichten zu unterstützen. Schließlich wollen sie wiederbeauftragt werden. Ich habe erlebt, wie ein Amtsrichter, der offenkundig nichts vom Wechselmodell hält, immer ein und dieselben Sachverständigen beauftragt hat – und wie diese ihm im Gutachten immer die nötigen Argumente gegen ein Wechselmodell geliefert haben.
Wir haben einen Gutachtermangel. Gleichzeitig gibt es immer mehr zerstrittene Eltern, die wegen Kindschaftssachen vor Gericht ziehen und eine Begutachtung erforderlich machen. Sehen Sie einen Ausweg aus dem Dilemma?
Da lohnt sich ein Blick ins Ausland. In Deutschland geht man immer noch stark davon aus, dass es einen besseren Elternteil gibt. Ich habe Gutachten gesehen, worin stand, dass 49 Prozent für die Mutter spricht und 51 Prozent für den Vater. Diese Herangehensweise stürzt das Kind immer in Loyalitätskonflikte und eskaliert den Konflikt zwischen den Eltern. In Schweden, Belgien oder Australien wird gar nicht erst gefragt, wer es besser kann, sondern wie die Eltern fair und praktisch die Betreuungszeit untereinander aufteilen können. Dort sind Eltern verpflichtet, eine Mediation durchzuführen, bevor ihr Streit vor Gericht landet. Das erspart Richtern Arbeit, dem Staat Geld und den Familien viel Leid. Das Mediationsangebot gibt es hier auch, aber nicht verpflichtend und auf Selbstzahlerbasis. Deshalb wird es zu selten in Anspruch genommen.
Warum nimmt die deutsche Justiz diese Länder nicht zum Vorbild?
Wir haben eine starke Lobby aus Rechtsanwälten und Gutachtern – ich nenne sie die Streitbewirtschaftungsindustrie. Ein Rückgang von Familienstreitigkeiten vor Gericht wäre nicht in ihrem Interesse. Vielleicht hängt es auch mit dem deutschen Obrigkeitsdenken zusammen: Können die Eltern sich nicht einigen, soll das Gericht entscheiden. Dabei sind die Eltern die Experten für ihre Familie! Es wäre besser, die Verantwortung bei ihnen zu belassen und sie bei der Lösungsfindung durch Mediation und Beratung zu unterstützen.
Hintergrund
Hildegund Sünderhauf hat als Rechtsanwältin im Bereich Familienrecht gearbeitet, bevor sie eine Professur für Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht an der Evangelischen Hochschule in Nürnberg antrat. Sie forscht seit 20 Jahren zu Trennungsfamilien und gilt als Befürworterin des Wechselmodells, zu dem sie Aufsätze und Fachbücher veröffentlicht hat.