Die Lesung im Pomeranzengarten überrascht mit neuer Perspektive auf Mozart, Einstein, Napoleon.

Leonberg - Die Pomeranzen sind schon gelb, und die zarten Bäumchen flankieren stilvoll die Lesebühne der „Gute-Nacht-Geschichten für Erwachsene im Pomeranzengarten“, die jetzt schon 20-jähriges Bestehen feiern können.

 

Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe, die eine Woche dauert, gibt es am Sonntagabend eine hübsche Novelle von Guy de Maupassant und Liebesbriefe berühmter Frauen und Männer.

Kaufmann bringt die Seilbahn ins Spiel

Das überaus zahlreiche Publikum sitzt im poetischen Ambiente des Renaissance-Lustgartens zwischen Tagetes und streng getrimmten Buchshecken – schattige Plätze sind rar. Bei solchen Temperaturen hätten die Lesungen wohl noch nie stattgefunden, vermutet Oberbürgermeister Martin Kaufmann, der extra für diese Veranstaltung seinen Urlaub um einen Tag verschoben hat, und kündigt an, dass man künftig den Garten ebenerdig betreten könne – mit der von ihm ins Spiel gebrachten Seilbahn!

Margot Dongus, die schon vor 20 Jahren als Allererste gelesen hat („Der kleine Prinz“) beginnt mit der Novelle „Das Geschmeide“ des großen französischen Erzählers Guy de Maupassant. Darin geht es um Madame Loisel, die in kleinen Verhältnissen lebt, aber von vornehmen Diners mit leuchtendem Silber träumt, bis sie eines Tages mit ihrem Mann zu einem rauschenden Fest eingeladen wird. Von einer Freundin leiht sie ein prachtvolles Brillantcollier – und verliert es. Das Ehepaar hat schwer an dem Verlust zu tragen, verschuldet sich, bis nach zehn Jahren alles samt Zinsen zurückgezahlt ist. Als die gealterte Frau überraschend ihrer Freundin begegnet, muss sie erfahren, dass die Brillanten falsch waren. Margot Dongus, die sehr einfühlsam vorliest, ist eine große Liebhaberin französischer Literatur und schätzt an Maupassant seine sorgfältige Beobachtung und treffsichere Formulierung.

Eine umfangreiche Sammlung von Liebesbriefen

Den zweiten Teil – in der Pause erfrischt sich das Publikum mit kühlen Getränken und tummelt sich am Tisch der Buchhandlung Röhm, wo die Bücher zur Lesung ausliegen – bestreiten Nicole Bender, Peter Höfer und Matthias Ansel. Sie haben eine umfangreiche Sammlung von Liebesbriefen berühmter Frauen und Männer aus neun Jahrhunderten dabei: „Schreiben Sie mir, oder ich sterbe“ (herausgegeben von Petra Müller und Rainer Wieland, 2016).

In Liebesbriefen öffnet man sein Innerstes und zeigt sich schutzlos dem geliebten Menschen – das ist bei berühmten Personen von Wolfgang Amadeus Mozart über Napoleon bis zu Winston Churchill und Albert Einstein nicht anders. Da ist Mozart, der immer „pressiert“ ist, und im April des Revolutionsjahres 1789 morgens „um 7 Uhr früh“ an seine Frau Constanze in seinem kuriosen Ton schreibt: „Grüß dich Gott Spitzbub – Knallerballer – Spitzignas – Bagatellerl“. Peter Höfer erzählt dazu, wie Mozart zuerst auf Constanzes Schwester Aloysia ein Auge geworfen hatte, dann aber 1782 Constanze geheiratet hat – die Zustimmung des Vaters traf einen Tag danach ein.

Napoleon bewundert seine Joséphine

Winston Churchill wiederum schreibt aus Anlass des ersten Hochzeitstages 1909 an seine Frau Clementine: „Bitte weise nicht die Zärtlichkeiten Deines Dir treu ergebenen Mops zurück.“ Die couragierte Clementine hat ihren Gatten sogar von der Notwendigkeit des Frauenwahlrechtes überzeugt.

Auch Napoleon bewundert an seiner Joséphine die „sonderbare Macht“, die sie über ihn hat, und Albert Einstein kann mit seiner Kommilitonin Mileva Maric auf Augenhöhe über physikalische Finessen diskutieren.

Skurril dann ein kleiner Brief der Schauspielerin und Sängerin Marilyn Monroe auf der Rückseite einer Reinigungsquittung aus dem Jahr 1954 an den eifersüchtigen Baseballstar Joe DiMaggio: „Sei bitte, bitte nicht böse mit Deinem Baby.“ Die Ehe hielt dann 274 Tage.

Casanova und die Frauen

Und wie ergeht es einer Frau, die ausgerechnet in „den“ Casanova verliebt war? Man ahnt es: Geplagt von Unruhe und Zweifeln, aber liebend noch „im Traum“ – bis Manon Balletti ihm dann doch einen Korb gibt und einen anderen heiratet.

Ungewissheit, ob der andere auch so liebt, wie man selbst, herrscht auch bei der Künstlerin Frida Kahlo: „Liebe mich ein kleines bisschen.“

Im Publikum erinnert sich wohl mancher an eigene Liebesbriefe, bemerkt, dass auch die „Großen“ dieser Welt von Herz-Schmerz-Wirrwarr und Gefühlsachterbahn geplagt worden sind. Dass die eigenen Briefe öffentlich vorgelesen werden, wollten vermutlich die wenigsten von ihnen . . .