Die 38 000 Einwohner-Stadt im Kreis Recklinghausen versucht, die Tragödie um den Absturz der Germanwings-Maschine zu erfassen. Wie das Leben an der Schule weitergehen soll, weiß der Schulleiter nicht. Er versucht, den Tag zu überstehen.

Haltern am See - Der Polizeibus vor dem Haupteingang des Joseph-König-Gymnasiums ist verschwunden, dafür riegeln am Tag nach der Flugzeugkatastrophe nun rund 100 Polizisten das Gebäude ab. „Gestern waren wir viele. Heute sind wir allein“, haben Schüler auf eine Papptafel geschrieben, die direkt vor dem Eingang der Schule inmitten eines Meeres aus Hunderten Kerzen und Blumen ragt. Davor stehen junge Mädchen mit feuchten Augen, die sich an den Händen halten und so eine Kette bilden. Sie gedenken ihrer 16 Mitschüler und der zwei Lehrerinnen, die bei dem Absturz ums Leben gekommen sind.

 

In Haltern am See konzentriert sich die weltweite Trauer über das Unglück am stärksten. Hunderte Journalisten der ganzen Welt berichten aus der westfälischen Kleinstadt, die wie keine zweite Gemeinde unter der Katastrophe zu leiden hat, in der jeder jeden kennt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ruft Halterns Bürgermeister Bodo Klimpel persönlich an, um sich über die Situation in Haltern zu erkunden und ihm ihr Beileid auszudrücken. „Ihre Anteilnahme tut gut“, sagt Klimpel.

Die Ministerin stützt den fassungslosen Schulleiter

NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) ist am Mittwoch Morgen in die Schule gekommen, hat mit den Schülern und Lehrern getrauert, geweint und ihnen Mut zugesprochen. „Wenn jemand weint, dann weint er. Wenn jemand still ist, dann ist er still“, sagt die Ministerin, die angesichts der Tragödie selbst um Fassung ringt. „Den Schmerz kann keine Macht der Welt den Menschen nehmen, wir können ihn nur gemeinsam teilen.“

Löhrmann dankt den vielen Seelsorgern und Psychologen, die sich aufopferungsvoll um die Schüler kümmern und angesichts der gewaltigen Trauer zum Teil selbst psychologische Hilfe benötigen. Dem Schulleiter des Gymnasiums, Ulrich Wessels, streichelt Löhrmann während der Pressekonferenz im Ratssaal, die live in viele Länder übertragen wird, mehrmals tröstend über den Rücken, als dieser kaum Worte dafür findet, um das auszudrücken, was er empfindet. Man versucht sich, gegenseitig Halt zu geben. „Ich weiß nicht, wie ich den morgigen Tag überstehe“, sagt Wessels. An normalen Unterricht sei in den nächsten Tagen jedenfalls nicht zu denken. In Wessels Augen spiegelt sich das Leid einer ganzen Gemeinde wider, die wie gelähmt zu sein scheint. „Das Unglück hat eine tiefe Wunde in unsere Stadt gerissen, die nur langsam wieder verheilen und tiefe Narben hinterlassen wird“, sagt Wessels. Als er gefragt wird, wie viele Schüler auf sein Gymnasium gehen, wird es ganz still im Ratssaal. „1286“, sagt er. „Nein, ich muss mich korrigieren. Jetzt sind es ja 16 weniger. Entschuldigung.“

Die getötete Lehrerin war erst ein halbes Jahr verheiratet

Die 16 verunglückten Schüler gingen in die 10. Jahrgangsstufe, seit einem Jahr lernten sie Spanisch. Weil die Teilnahme an dem seit sechs Jahren bestehenden Austauschprogramm bei den Schülern sehr beliebt war, wurden die Plätze für den einwöchigen Trip nach Barcelona ausgelost. Das Los sei auf die nun ums Leben gekommenen Mädchen und Jungen gefallen, sagte eine Sprecherin der Bezirksregierung. Einer der Schüler sei sogar erst kurz vor der Reise über die Nachrückliste in die Austauschgruppe gekommen. Eine der beiden ums Leben gekommenen Lehrerinnen hatte erst am 2. Oktober vergangenen Jahres geheiratet, die andere wollte bald heiraten. „Was soll man ihren Männern sagen, wenn sie vor einem stehen und fragen, warum das passiert ist“, fragt der Schulleiter. Niemand kann es ihm sagen.