Hollywood zieht unter einer Hackerattacke und Terrordrohungen den Film „The Interview“ zurück. Das wird Folgen haben, kommentiert der StZ-Autor Thomas Klingenmaier.

New York - Dreieinhalb Wochen lang hat das Hollywood-Studio Sony Pictures Entertainment dem Druck von Erpressern standgehalten, nun brechen alle Dämme. Erst wurde die New Yorker Premiere des Films „The Interview“ abgesagt, dann stiegen mit Sonys Segen US-Kinoketten aus ihren Verträgen aus, das Werk ab 25. Dezember zu zeigen, nun kapituliert das Studio völlig. Es werde, lässt es wissen, die Actionkomödie weder im Kino noch auf DVD noch als Video-on-Demand-Angebot auswerten. Mit anderen Worten: Erpresser haben in einer freien Gesellschaft durchgesetzt, dass ein Film im Giftschrank weggeschlossen wird.

 

In „The Interview“ spielen Seth Rogen und Jess Franco zwei US-Journalisten, die in Nordkorea Kim Jong-un treffen sollen. Die CIA drängt sie zum Attentat auf den Diktator. Gegen diese Fiktion gab es zunächst diplomatische Proteste aus Nordkorea, dann wurden Firmendaten, Korrespondenzen und fertige Filme von den Rechnern des Studios Sony gestohlen und im Netz verbreitet. Schließlich wurden Terrordrohungen gegen Kinos und Kinobesucher ausgestoßen: die Erpresser verwiesen auf den 11. September 2001.

Ob nun der nordkoreanische Geheimdienst am Werk war oder externe Sympathisanten des Regimes, die Drohungen waren entsetzlich erfolgreich. Das Ausmaß des Debakels ist noch gar nicht abzusehen. Brauchte es zum Hacken der Sony-Rechner noch spezielle Ressourcen, sind Blutbad-Androhungen aufwandlos nutzbar. Welche Nachfolgetäter das auf den Plan rufen könnte, wagt man sich kaum auszumalen. Islamistische Fanatiker, Abtreibungsgegner aus der ganz radikalen rechten Ecke, Putin-Sympathisanten, denen das Russlandbild des nächsten Agententhrillers nicht gefällt – die Kunst- und Meinungsfreiheit wollen viele abschaffen.

Erinnerung an Kampagne gegen Rushdies Roman 1989

Die Attacke auf „The Interview“ erinnert, mögen die Werke auch unterschiedliches Niveau haben, an die vom Iran angezettelte Kampagne gegen Salman Rushdies Roman „Die satanischen Verse“ 1989, die mit Aufrufen zum Mord an Rushdie sowie den Übersetzern und Verlegern verbunden war. Die internationale Gemeinschaft hat damals viel zu schwach reagiert. Aber das Buch erschien in vielen Ländern, in Deutschland im eigens gegründeten Artikel 19 Verlag, einem Gemeinschaftsprojekt von am Ende rund neunzig anderen Verlagen. Auch in den USA kam das Buch in Gemeinschaftsverantwortung heraus.

Die US-Filmindustrie hat sich nicht bloß als unfähig erwiesen, so eine Lösung zu finden. Sie war komplett desinteressiert, sie überhaupt zu diskutieren. Die Kinos und Studios interessierte in irrwitziger Kurzsicht nur eines: das Weihnachtsgeschäft sollte nicht beeinträchtigt werden. Das wird sich noch rächen. Präsident Obama klang jedenfalls verschnupft, als er der Bevölkerung empfahl, „die Kinos momentan nicht zu meiden“. Auch er ahnt wohl, welche Zensurgelüste nun geweckt sind.