In Hamburg nimmt Europas größtes interstädtisches Entwicklungsprojekt Hafencity Form an.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Hamburg - Der Blick auf Hamburg kann nirgendwo besser sein. Man sieht den Kirchturm des Michel, das Rathaus, die Landungsbrücken. Ach ja. Und weiter hinten ist die historische Speicherstadt. Hamburg hat es gut. Es hat so viel Wasser. Diesen Blick auf die schöne Stadt gibt es von der Elbphilharmonie, der Großbaustelle, auf der es gerade nicht vorangeht. Die Hafencity sieht auf dem Luftbild aus wie hingeklatscht. Oben dran an den Rand von Hamburg. Der neue urbane Stadtteil ist groß angelegt und reicht dann von der Elbphilharmonie bis zu den Elbbrücken. Ungefähr 30 Prozent dieses Quartiers sind fertig. Im Herbst 2012 sollen die neuen U-Bahn-Stationen eröffnet werden. Die Zentrale von Greenpeace wird einziehen, die Universität mit den Instituten Architektur und Stadtplanung. Eine kleine, schicke Kapelle aus Glas und Holz gibt es schon. Und eine Schule, mit Pausenhof auf dem Dach. Selbst der „Spiegel“ hat seine neuen Büros hier bezogen. Drinnen, so heißt es, gehe es so modern zu, dass es nicht einmal mehr Lichtschalter gibt.

 

Die Hafencity ist einerseits ein Prestigeobjekt, andererseits ein großer, großer Streitpunkt. Ein topmodernes Mammutprojekt, das gleich hinter der Speicherstadt angesiedelt ist. Im Bau ist sie seit bald zehn Jahren. Auf den rund 15 Hektar Fläche sollen 6000 Wohnungen entstehen. Vor den Bewohnern aber waren die Tiere da. Erster unliebsamer Besucher war die Larinioides sclopetarius, die Brückenspinne. Ihr natürlicher Feind sind Vögel, doch die sind bis jetzt selten in der Gegend mit noch nicht vielen Bäumen.

Inzwischen gibt es ein paar ganz zarte Exemplare davon. Sie stehen rund um den Platz, auf dem ein paar Skater ihre Tricks üben. In der Hafencity hat es Einzelhandel, viel Wohnraum und Bürogebäude. Stadtplaner nennen es Mischnutzung. Es gibt Kais, wie sie zu einer Hansestadt passen. Straßen mit asiatischen Namen. Plätze, die nach Weltentdeckern benannt wurden. Ganz am Rand in der westlichen Hafencity steht der beeindruckende Marco-Polo-Tower. Susanne Bühler, Pressesprecherin der Hafencity GmbH, ist natürlich begeistert von dem Projekt und von der Lage. Und ja: Der neue Stadtteil liegt wirklich zentral. Nur zehn Fußminuten vom Rathaus entfernt. Und vor allem am Elbwasser, was die noch so leblose Gegend immerhin natürlich erscheinen lässt. Das Gefühl ist da: Hey, es bewegt sich was.

Die Touristen erkennt man leicht an den roten Outdoorjacken

Wenn man so zwischen den Häuserschluchten steht, ist das architektonisch eindrucksvoll, aber auch etwas zugig. Und vor allem ist alles so sauber hier. Keine ausgespuckten Kaugummis, Zigarettenreste, Hundehaufen. Nirgends. Selbst Fahrradständer und Garagentore passen zum designten Gesamtbild, das manche als überkandidelt empfinden. Das Leben aber passiert in Hamburg anderswo. Immerhin: Am Wochenende kommen die Touristen. Man erkennt sie leicht, wie sie in ihren roten Outdoorjacken über Stadtplänen gebeugt stehen. Im Carls, einem schicken französischen Restaurant gleich bei der Elbphilharmonie, lassen sich Männer in Anzügen Föhrer Muscheln mit Pommes servieren. Der erste deutsche Ableger der Sylter Schickimicki-Sansibar wird schon bald in dem neuen Stadtteil eröffnen. Die Hafencity ist FDP-Hochburg. Bei der vergangenen Bundestagswahl haben 27,5 Prozent der Bewohner den Liberalen ihre Stimme gegeben. Mehr als sonst wo in der Bundesrepublik.

Die Quartiere in der Hafencity sind die Heimat der Reichen und Schönen. Die Gebäude sind eindrucksvoll, wenn man unterschiedliche Baustile mag, weil hier verschiedene Architekten ran durften. Die Häuser sind riesig, aber auch fotogen und präsentieren sich von unterschiedlichen Seiten. Mal hanseatisch im roten Ziegellook, urban mit Glasfronten sowie Sichtbeton oder auch mit warmen Holztafeln. Die Hafencity ist wie eine hanseatische Frau: stolz und groß. Über Zahlen spricht man nicht gerne. Wann die Elbphilharmonie denn nun fertig wird? Schulterzucken. 2014 vielleicht? Wie hoch die Quadratmeterpreise der Eigentumswohnungen hier so sind? Puh. Die Rede ist von 3000 bis zu 8000 Euro. Die Wohnungen, die in der Elbphilharmonie entstehen werden, sollen diese Zahlen noch toppen.

Mitarbeiter nennen die Baustelle liebevoll "Elphie"

Natürlich rufen solche Preise Kritiker auf den Plan, die die Gentrifizierung der Stadt beklagen. Es gibt aber auch Fans der Idee der Hafencity. Michael Kleessmann zum Beispiel. Er wohnt seit fünf Jahren hier. Und bringt die „HafenCity-Zeitung“ heraus. Die Redakteure sind seine Nachbarn. Kleesmann liebt die Wohngegend: „Ich habe es noch keine Sekunde bereut.“ Die Nähe zum Wasser sei einmalig. Von seiner Wohnung aus am Kaiserkai sieht er neben Kreuzfahrtterminal und Traditionsschiffhafen auch auf die Elbphilharmonie. In der Zeitung „Cicero“ wurde sie als „Hamburg schönstes Milliardengrab“ bezeichnet. Die Mitarbeiter vor Ort nennen sie liebevoll „Elphie“. Die Elbphilharmonie, also besser gesagt die Großbaustelle, ist nicht nur ein Touristenmagnet. Auch die Hamburger selbst sind neugierig, was hier verbaut wird. Es gibt wöchentliche Führungen, die so beliebt sind, dass sie in fünf Minuten ausverkauft sind. Die Menschen stehen staunend zwischen Betonwänden, wo einmal ein Konzerthaus, ein Hotel und 45 Eigentumswohnungen untergebracht werden sollen. Und wo viel mehr Geld rein geflossen ist, viel mehr als eigentlich geplant. Derzeitiger Kostenstand: rund 325 Millionen Euro. Hier oben aber auf dem ehemaligen Kakaospeicher, auf den ein wellenförmiges Etwas gesetzt wird, sind die Zahlen vergessen im Wind.

Für Besucher bietet die Hafencity viele verschiedene Ausblicke. Und Einblicke. Auch bei Dunkelheit, wenn sich hier eine ganz andere, noch einsamere Atmosphäre entfaltet. Die Glasfronten geben den Blick frei auf Flachbildschirme in XXL und Kücheninseln, wie man sie selbst auf Fotos in Hochglanzkatalogen noch nicht gesehen hat. Auf der Straße aber spaziert man allein. Einsam und verlassen. Dann kommt eine Frau, gehüllt in ihre Barbour-Jacke, mit ihrem Windhund um die Ecke. Aus der Ferne tönt ein Dampfer.

Und während man daran zweifelt, dass hier wirklich etwas passiert, stolpert man im 25hours-Hotel in die Party zum Launch der neuen Ausgabe des „Business Punk“-Magazins. „Work hard, play hard” lautet der Untertitel. Hier jetzt also: party hard. Es gibt Astra. Das hanseatische Bier mit Herz und Anker. Immerhin: Mit dem 25hours hat das erste Hotel in der Hafencity eröffnet. Im Eingangsbereich, der so gar nicht an eine Lobby erinnert, steht ein echter Container von Hapag Lloyd. In der „Heimat“ wird gefrühstückt, manchmal probt hier auch eine Nachwuchsband. Die Hafensauna ist auf dem Dach.

Design ahoi! Der Blick aus dem 6. Stock geht auf eine Baustelle. Auf Laster, Sattelschlepper, Baucontainer und Kräne. Drinnen im Zimmer leuchtet ein Globus und erzählt von der weiten Welt. „Durst ist schlimmer als Heimweh“, steht auf dem Sekretär. Dann besser noch runter auf ein Astra. Aber wo? Man kann hier schicke Fahrräder leihen und sich der Stadt nähern, wie es die Hamburger selbst machen. Damit ist man schnell auf der Schanze. Oder auch an der Alster. Dabei hat man ein Lied von Tocotronic im Ohr. Es heißt „Aber hier leben, nein danke!“.

Infos zu Hamburg

Anreise
Ab Stuttgart fliegen Linien wie Air Berlin oder Lufthansa. Es gibt aber auch ein Bahnangebot ab 199 Euro, bei dem drei Übernachtungen, Hin- und Rückfahrt im ICE und Hamburg Card enthalten sind. Informationen unter www.hamburg-tourismus.de.

Unterkunft
In der Hafencity hat bisher nur das 25hours-Hotel (www.25hours-hotels.com, DZ ab 110 Euro) eröffnet. Neu ist die Superbude in St. Pauli (www.superbude.de, DZ ab 59 Euro).

Hafencity
Beim Elbjazzfestival am 25. und 26. Mai gibt es 50 Konzerte auf zehn Bühnen im Hamburger Hafen. Neben anderen treten Helge Schneider und Curtis Stigers auf (www.elbjazz.de). Vom 11. bis zum 13. Mai 2012 wird auf der knapp vier Kilometer langen „Hafenmeile“ entlang der Elbe zwischen Hafencity und Museumshafen Övelgönne der 823. Hafengeburtstag gefeiert (www.hamburg.de/hafengeburtstag).