Der neue Handball-Bundestrainer Martin Heuberger spricht im Interview über die Ziele, die Neuerungen im Team und die Sache mit der Ehre.

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Stuttgart - Am Donnerstag beginnt mit dem Start des Supercup-Turniers eine neue Ära im deutschen Handball. Nach 14 Jahren unter Heiner Brand wird nun erstmals der bisherige Assistent Martin Heuberger als Chef auf der Bank sitzen.

 

Herr Heuberger, wann war denn die Nervosität größer: jetzt vor der Premiere als Chefcoach oder 2007 als Assistent vor dem WM-Finale in Köln?

Das kann ich schlecht beurteilen. Die Anspannung hält sich bis jetzt in Grenzen, weil ich ja noch nicht direkt am Spielfeld war. Das wird sich erst weisen, wenn die Spielerei mal losgeht.

Sie waren jahrelang Assistent von Heiner Brand - und das recht erfolgreich. Die Handballfans fragen sich jetzt natürlich, was wird denn neu unter Heuberger?

Zunächst einmal hat Heiner Brand natürlich sehr viel Gutes für den deutschen Handball getan, nichtsdestotrotz möchte ich meinen eigenen Stil reinbringen und meinen eigenen Weg gehen.

Können Sie zwei, drei Punkte nennen?

Zum einen haben wir zur Verletzungsprophylaxe ein paar Dinge verändert, weil wir da in den letzten Jahren zum Teil arg gebeutelt waren. Da absolvieren wir zum einen ein Beweglichkeitsprogramm mit den Spielern, um muskuläre Defizite festzustellen, wo sie dann auch Hausaufgaben bekommen. Dann wird mit Martin Zawieja im Athletikbereich, sprich mit der Langhantel gearbeitet. Zudem macht Stefan Kloppe ein neues Koordinationsprogramm - Life-Kinetik, womit die Wahrnehmungsfähigkeit und letztendlich auch die Konzentrationsfähigkeit der Spieler gesteigert werden soll.

Und im taktischen Bereich?

Da werde ich sicher an der bewährten 6:0-Deckung festhalten, aber auch mal eine 5:1-Variante bringen, um für den Gegner unberechenbarer zu werden. Im Angriff sind wir international sicher ebenbürtig, wenn nicht sogar Vorreiter. Da gilt es einfach etwas mehr Disziplin reinzubringen. In der Vergangenheit war das große Manko, dass die Konstanz in der Leistung gefehlt hat.

Sie haben erklärt, Sie wollen die Spieler bei der Ehre packen. Glauben Sie, dass damit hochbezahlte Profis zu motivieren sind?

Das wird sich zeigen. Aber das war ja das, was man uns nach der WM vorgeworfen hat, dass die Jungs nicht kämpfen und nicht als Einheit auftreten würden. Ich weiß, dass sie alle gerne bei der Nationalmannschaft waren, aber mir ist nicht nur wichtig, dass sie gern dabei sind, sondern auch mit der Mannschaft erfolgreich sein wollen. Deshalb müssen wir den Fokus wieder auf den Sport legen - und die persönlichen Interessen hintangestellt werden.

Der Torwart Jogi Bitter hat aber der Familie den Vorzug gegeben. Haben Sie dafür Verständnis?

Ich muss die Entscheidung respektieren, und es ist mir auch lieber, er sagt klar, was Priorität hat. Ich muss mir jetzt eben eine Mannschaft bauen, die mit ganzem Herzen dabei ist.

Was ist denn personell bis zur EM im Januar noch zu erwarten?

Den großen Umbruch wird es nicht geben. Ich habe mit Christoph Theuerkauf und Martin Strobel zwei Spieler zurückgeholt, die schon bei der EM 2010 in Österreich dabei waren. Martin hatte eine Durststrecke, ist aber mit Lemgo auf einem guten Weg, und von Christoph verspreche ich mir im Angriff etwas, ansonsten werde ich auf altbekannte Kräfte zurückgreifen, denn so viel gibt der deutsche Markt dann doch nicht her. Auch was die junge Garde angeht.


Stichwort junge Garde. Die hat in der Vergangenheit viele Titel geholt, bei EM und WM. Was ist denn der Knackpunkt, dass der Übergang zur A-Nationalmannschaft nicht so optimal verläuft?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Denn letztendlich haben in der Liga immer die Einsatzzeiten gefehlt für diese jungen Spieler. Es geht da nicht um ein paar Minuten auf dem Feld, sondern auch um Stresssituationen, wenn ein Spiel eng ist. Trotzdem sehe ich uns da auf einem guten Weg. Aus dem vergangen Juniorenkader haben doch schon einige den Sprung geschafft. Ich denke da an Hendrik Pekeler, der beim Bergischen HC viel spielt, den Torhüter Nils Dresrüsse von Lemgo oder Johannes Sellin von den Füchsen Berlin - und Christian Dissinger aus Schaffhausen, bis er sich einen Kreuzbandriss zugezogen hat. So ist der Weg - und den müssen wir eben weiter bestreiten.

Glauben Sie, dass nach Ihren Gesprächen mit den Clubs da ein gewisses Umdenken stattgefunden hat?

Das war ja eines meiner Hauptanliegen, denn für mich ist klar: Ich brauche die Vereinstrainer, die tagtäglich mit den Spielern umgehen, um erfolgreich zu sein; aber ich glaube, die Vereine haben auch erkannt, dass sie eine erfolgreiche Nationalmannschaft brauchen, um ihr Produkt letztendlich besser vermarkten zu können.

Apropos Vereinstrainer: Sie haben sich mit dem Magdeburger Frank Carstens für eine überraschende Lösung als Co-Trainer entschieden und nicht einen der üblichen Verdächtigen wie Christian Schwarzer genommen. Was hat Sie dazu bewogen?

Frank Carstens beobachte ich schon lange, er hat sehr gute Arbeit in Hannover gemacht, wo er mit der Mannschaft aufgestiegen ist, und jetzt Magdeburg wieder an bessere Zeiten rangeführt. Vom Charakter her hat er mir immer imponiert, schon früher als Spieler, da war er ein ähnlicher Typ wie ich. Von daher passt die Chemie.

Schwarzer und Klaus-Dieter Petersen sind dafür in ein Kompetenzteam gekommen, wie sieht deren Aufgabe aus?

Christian Schwarzer war ja bei uns Jugendkoordinator. Ich denke, ihm fehlt einfach noch eine gewisse Trainererfahrung, die er sich jetzt holen muss - als mein Nachfolger bei den Junioren. Und Klaus-Dieter Petersen wird die A-Jugend-Nationalmannschaft übernehmen. Nach der EM führe ich dann wieder Gespräche mit Magdeburg beziehungsweise Carstens, um zu sehen, ob das für alle Seiten so auch funktioniert. Denn es ist sicher mit einigen Problemen behaftet, wenn er wochenweise bei der Nationalmannschaft weilt.

Sie selbst haben sich nochmals für drei Jahre beurlauben lassen. War es für Sie nie ein Gedanke, wieder in Ihren alten Job als Diplomverwaltungswirt zurückzukehren?

Wenn man das Hobby zum Beruf machen kann, kann man sich zunächst einmal nichts Schöneres wünschen als die neun Jahre bei den Junioren. Und ich hoffe, dass ich bei der A-Nationalmannschaft ähnlich erfolgreich sein kann. Von daher stellt sich die Frage im Moment nicht. Ich bin aber froh und dankbar, dass ich diese Option habe und das Landratsamt auch diesem Antrag wieder zugestimmt hat. Dann habe ich noch etwas in der Hinterhand, falls es mit dem Trainerjob nicht so laufen sollte, wie man sich das vorstellt.

Ist der Supercup als Einstand da keine Gratwanderung? Was ist wichtiger: ein Erfolgserlebnis im sportlichen Bereich oder die Experimentierphase im Hinblick auf die EM?

Ich werde den Supercup angehen, ohne auf ein bestimmtes Ergebnis zu achten. Ich möchte sehen, dass wir eine gute Mannschaft und Einheit auf dem Platz haben, natürlich kämpfen bis zum Umfallen, und die Dinge, die wir im Training vorbereitet haben, auch im Spiel umsetzen. Das ist ein guter Gradmesser im Hinblick auf die EM im Januar. Danach wissen wir, wo wir im internationalen Vergleich stehen.

Mit dem großen Ziel Olympia. Wenn es bei noch zwei freien Plätzen nicht klappen würde, wäre es eine herbe Enttäuschung.

Das ist eines unserer Ziele, ganz klar. Man muss versuchen, die Chance bei der EM mit aller Macht zu nutzen. Ich plane trotzdem zweigleisig: Olympia ist immer ein Traum, aber ich möchte in absehbarer Zeit schon wieder eine Mannschaft haben, die ernsthaft um Medaillen mitspielen kann.


Trainer: Martin Heuberger trat am 1. Juli die Nachfolge von Heiner Brand an, dessen Assistent er seit gut sieben Jahren war. Zudem betreute er von Februar 2002 an erfolgreich die Junioren – und wurde mit ihnen Welt- und Europameister. Der 47-Jährige stammt aus Schutterwald, wo er auch Spieler war und noch seine Wurzeln hat. Daran änderte auch die Beförderung zum Chefcoach nichts: Zur Feier gab’s wie immer Fleischkäse.

Supercup: Das Turnier gilt als bedeutendste Veranstaltung neben den Großereignissen WM, EM und Olympia. Bei der 17. Auflage trifft die DHB- Auswahl zum Auftakt am Donnerstag (18.30 Uhr/Sport 1) in Berlin auf Dänemark. Weitere Gegner sind Schweden am Samstag (13.45/ARD) in Hannover sowie zum Abschluss am Sonntag (15.30 Uhr/ZDF) Spanien im westfälischen Halle. Der Kieler Christian Sprenger fehlt wegen einer Zerrung.