Handball Die EM verkommt zum Glücksspiel
Die Coronalotterie in Ungarn und der Slowakei geht so lange weiter, bis den Spielern das Risiko zu groß wird, meint unser Autor Jochen Klingovsky.
Die Coronalotterie in Ungarn und der Slowakei geht so lange weiter, bis den Spielern das Risiko zu groß wird, meint unser Autor Jochen Klingovsky.
Stuttgart - Nach den Olympischen Spielen in Peking zog Johannes Bitter einen Schlussstrich. Der Torwart beendete seine Karriere in der Nationalmannschaft. Er wolle, erklärte er, nur noch im Notfall aushelfen. Dieser Notfall trat schneller ein, als er gedacht hatte. Weil das Coronavirus die Handball-EM und dort insbesondere das deutsche Team im Griff hat, sprang Bitter ein – ohne lange über die Sinnhaftigkeit nachzudenken. Es gehört offenbar auch zu den Reflexen eines Torwarts, erste Hilfe zu leisten,wenn diese gefordert ist.
Warum das ein wichtiger Aspekt ist? Weil er zeigt, wie der Sport tickt.
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Natürlich kann man sich rund um die Coronalotterie viele Fragen stellen. Ist die EM nur noch eine sportliche Farce? Warum reist das deutsche Team nicht einfach ab, statt für die neun Infizierten neue Spieler nachzuholen? Müsste nicht sogar das Turnier abgebrochen werden? Warum darf die Arena in Budapest mit 20 000 singenden, schreienden, jubelnden Zuschauern (viele ohne Maske) voll besetzt werden? Wieso gibt es diesmal keine Blase für die beteiligten Mannschaften?
Die Antworten dürften von Handball-Nation zu Handball-Nation ziemlich unterschiedlich ausfallen – je nach eigener Betroffenheit, nach politischer Prägung, nach geltenden Pandemieregeln, nach Einschätzung des Risikos der Omikron-Variante. Und dann gibt es noch die Antworten des Sports.
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In den vergangenen zwei Jahren war dessen oberste Maxime, möglichst alle Spiele durchzuziehen, koste es, was es wolle. Denn Absagen wären viel teurer gewesen. Auch bei der Handball-EM geht es um lukrative TV-, Sponsoren- und Ausrichterverträge. Der europäische Verband tut alles dafür, die Erlöse komplett zu kassieren. Es gibt nur eine Gruppe, die diesen Kreislauf des Geldes durchbrechen könnte: die Athleten und ihre Trainer. Erst wenn sie gemeinsam zum Schluss kommen, dass ihnen das Risiko in dieser Lotterie zu hoch ist, wäre es vorbei. Fest steht schon jetzt, dass bei der Handball-EM niemand mehr den ganz großen Wurf landen kann. Trotzdem halten die Aktiven das Glücksspiel am Laufen. In der Hoffnung, dass es am Ende nicht richtig bitter wird.