Die Zimmerei Reinhardt aus Renningen blickt auf mindestens 300 Jahre Firmengeschichte zurück.

Renningen - Auf der Wiese hinter der alten Sägehalle steht ein großes weißes Schild: „Meisterbetrieb Reinhardt“ ist darauf zu lesen. „Holzbau und Zimmerei seit 1720.“ Auf der Grünfläche grasen an diesem nebelgrauen Novembertag sechs braune Ouessant-Schafe gemächlich vor sich hin. Es ist die kleinste Schafrasse Europas, und sie scheinen sich hier, fernab ihrer französischen Heimat, pudelwohl zu fühlen.

 

„Das sind unsere Rasenmäher“, sagt Norman Reinhardt. Der Chef des Renninger Familienunternehmens lacht. Die von einem Bekannten des Zimmerermeisters geliehenen Schafe stehen erst seit diesem Jahr auf dem ehemaligen Holzlagerplatz und halten dort das Gras kurz. Den Kindern und Spaziergängern, die hier, am östlichen Ortsrand von Renningen, entlangkommen, gefällt’s. „Früher wurde das Langholz auf der Wiese angeliefert und gelagert“, erzählt Reinhardt. Ein turmhoher Kran zum Abladen der schweren Fracht steht noch immer hinter der großen hölzernen Halle, im Gras sind überwucherte Schienen zu erkennen. Das Langholz wurde auf niedrigen Wägen über die Schienen in die Halle geschoben und dort nach Bedarf zugesägt.

300 Eichen für den Renninger Wald gespendet

„Bis vor zehn Jahren haben wir auch noch im Auftrag gesägt.“ Der Sägewerkbetrieb lohne sich aber nicht mehr, sagt Reinhardt. Seitdem habe sich der Familienbetrieb zur Vollzeit-Zimmerei gewandelt. Die große Halle, in der nach wie vor Säge- und Hobelmaschinen stehen, dient heute der Vorbereitung der Arbeiten auf den Baustellen. „Zum Beispiel, um die Zapfenlöcher ins Holz zu bohren und für den Abbund“, sagt Reinhardt. Soll heißen: Das maßgerechte Zusägen der Balken, wenn zum Beispiel ein Carport beauftragt wird. Vor Ort werde dann nur noch alles zusammengebaut.

Eigentlich wollte der traditionsreiche Zimmereibetrieb bereits im vergangenen Jahr sein 300-Jahr-Jubiläum mit einer Baumpflanzung im Renninger Wald feiern. Doch die Coronapandemie hatte dem Vorhaben dann einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nachgeholt wurde die Aktion schließlich Ende Oktober dieses Jahres: Der Renninger Wald ist seitdem um 300 Eichensetzlinge reicher. Reinhardt betont, dass er etwas Nachhaltiges unternehmen wollte: „Dem Wald etwas zurückgeben.“ Zimmereiarbeit, das sei eben schon seit Menschengedenken die Arbeit mit Holz. Ein uraltes Gewerk: „Schon in der Bibel steht, dass Josef ein Zimmermann war“, sagt Norman Reinhardt.

Die Ursprünge reichen bis ins Jahr 1720 zurück

Dass die Renninger Zimmerei auf Ursprünge zurückgeht, die mutmaßlich mindestens im Jahr 1720 liegen, belegt eine Urkunde, die nebenan im Wohnhaus der Reinhardts hängt. „Die Ehrenurkunde zum 235-Jährigen hat der Großvater 1955 von der Handelskammer erhalten“, so der 43-jährige Firmenchef, der selbst das Familienunternehmen 2009 vom Vater übernommen hat. Auf welchen Erkenntnissen die damalige Auszeichnung fußt, sei heute freilich nicht mehr nachvollziehbar. Alle Unterlagen sind im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden.

Sicher ist: Das Unternehmen ist seit den 1960er-Jahren in der dritten Generation in Renningen angesiedelt. Davor waren die Familie und der Betrieb drei Generationen lang in Malmsheim ansässig. „Und davor in Deufringen und Holzbronn“, erzählt Reinhardt. Dann verliere sich die Spur im Nordschwarzwald. „Um 1450 ist ein Sägemühlenbesitzer Reinhardt in Glatt nachgewiesen.“ Doch, ob der tatsächlich zur Familie gehört?

Heute ist die Zimmermannsarbeit viel komplexer

In der alten Sägehalle zerlegt der Seniorchef an diesem Nachmittag ein altes Dachfenster, um die einzelnen Teile aus Holz und Kunststoff fachgerecht dem Recycling zuzuführen. Die Hammerschläge dröhnen durch den hohen Raum. Wie sein Sohn trägt auch der 77-jährige Siegfried Reinhardt bei der Arbeit die traditionelle Zimmermannshose aus Cord und mit Schlag. Alles wie früher, so scheint es. Die Zeit, als das Gewerk ausschließlich Holzarbeiten am Fachwerk und am Dachstuhl umfasste, sei aber längst vorbei, sagt Norman Reinhardt. Heute sei die Zimmermannsarbeit viel komplexer: Vom Dachfenstereinbau über die Fassadengestaltung und -dämmung bis zur Bauphysik reiche das Aufgabengebiet. „Ein Zimmermann muss über den Tellerrand hinausschauen“, meint Norman Reinhardt. Er habe beim Hausbau immer die Schnittstellen zu den anderen Gewerken im Auge. Die sehr anspruchsvolle Ausbildung berechtige einen Zimmerermeister sogar, bei Gebäuden bis zu einer bestimmten Größe die Erstellung der Bauvorlagen zu übernehmen – eigentlich bereits Architektenarbeit.

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Die Coronapandemie – für die Zimmerleute war und ist es keine einfache Zeit. Nicht nur das Firmenjubiläum mussten die Reinhardts verschieben. Im Frühjahr sei die Pandemie auch mitverantwortlich für einen enormen Preisanstieg beim Holz gewesen. „Zeitweise stieg der Holzpreis um über 100 Prozent“, erzählt der Renninger. Inzwischen habe sich die Nachfrage wieder eingependelt, die Preise seien gefallen. Zum Glück. Doch das Ereignis habe gezeigt, wie sehr auch ein Traditionshandwerk wie die Zimmerei heute Teil eines globalen Marktes sei. Bei aller Tradition, die mit dem alten Gewerk noch verbunden scheint: Auch im modernen Zimmereihandwerk, so Reinhardt, sei eben nur noch ganz wenig so, wie vor 300 Jahren.