Der Bund zahlt für den Schuldendienst 2,2 Milliarden Euro weniger. Die Eurokrise erfordert Nachtragsetats.

Berlin - Für den deutschen Finanzminister sind es fast schon paradiesische Zeiten. Die Steuerquellen sprudeln nach wie vor, und Wolfgang Schäuble hat zudem noch das Glück, dass sich der Staat so günstig verschulden kann wie selten zuvor. Wie sehr die Niedrigzinsen dem Kassenwart sein Geschäft erleichtern, zeigte sich am Freitag im Deutschen Bundestag. Das Parlament beriet über den zweiten Nachtragshaushalt in diesem Jahr. Nachtragsetats sind kein Ruhmesblatt für eine Regierung. Sie sind das Eingeständnis, dass die Planungen wegen zusätzlicher Ausgaben korrigiert werden müssen.

 

Im Frühjahr brachte Schäuble den ersten Nachtragshaushalt 2012 ins Parlament: Dies war nötig, weil Deutschland höhere Bareinlagen in den europäischen Rettungsfonds ESM einzahlen muss. Die Eurokrise ist auch der Grund für den zweiten Nachtrag: Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten im Juni, das Kapital der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg zu erhöhen. Deutschland muss deshalb 1,6 Milliarden Euro zuschießen. Außerdem handelten die Bundesländer zusätzlich 580 Millionen Euro für den Krippenausbau aus – das war der Preis dafür, dass die Ministerpräsidenten dem Fiskalpakt zustimmten.

Normalerweise würden einem Finanzminister ungedeckte Mehrausgaben von mehr als zwei Milliarden Euro einige Kopfschmerzen bereiten. Doch Schäuble kann entspannt bleiben. Er stopft die Löcher einfach mit rechnerischen Zinsgewinnen. Deutschland kann sich günstig Kapital beschaffen: Für zehnjährige Staatsanleihen muss es nur 1,6 Prozent vergüten. Seit Juni sind die Renditen zwar wieder gestiegen, dennoch kommt der Staat so billig zu Geld wie selten zuvor. Noch vor gut einem Jahr musste der Bund für zehnjährige Anleihen mehr als drei Prozent berappen. Bei einer Gesamtverschuldung, die sich beim Bund auf mehr als eine Billion Euro beläuft, machen solche Unterschiede viel aus.

Neuverschuldung trotz neuer Verpflichtungen nicht gestiegen

Weil die Kapitalanleger nach wie vor Deutschland vertrauen, füllen sich manche Etatlöcher wie von selbst. Bei der Aufstellung des Haushalts hatte der Finanzminister mit höheren Zinszahlungen gerechnet. Weil sich die Lage entspannt hat, muss der Bund für den Schuldendienst weniger Geld ausgeben. Im Vergleich zum ersten Nachtragsetat für 2012 vom Frühjahr vermindert sich die Zinslast um 2,2 Milliarden Euro. Schäuble kann damit die zusätzlichen Ausgaben vollständig decken. Die Neuverschuldung des Bundes soll 2012 mit 32 Milliarden Euro im Vergleich zum ersten Nachtragsetat gleich bleiben. Das Defizit verharrt trotz positiver Wirtschaftsdaten auf hohem Niveau.

Ohne Zinseffekt sähe Schäubles Rechnung noch düsterer aus. Der CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle (CDU) hält es dennoch für einen Erfolg, dass die Neuverschuldung trotz neuer Verpflichtungen nicht gestiegen ist. „Dies gelingt, weil Deutschland als Hort der Stabilität in Europa von sinkenden Zinsausgaben profitiert“, sagte Barthle. Kritisch sieht dies allerdings der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider. Er bemängelt, dass die Neuverschuldung doppelt so hoch sei wie im vergangenen Jahr – und dies trotz günstiger Zinsentwicklung. Der Oppositionspolitiker hat errechnet, dass die Zinsersparnis des Bundes seit 2009 rund 20 Milliarden Euro beträgt. Anders gesagt: wenn der Kapitalstrom nach Deutschland eines Tages dünner wird und die Zinsen steigen, schlägt dies rasch auf die Haushalte durch.

Wie außergewöhnlich niedrig die Zinskosten sind, zeigt sich im mehrjährigen Vergleich. Obwohl der Bund in den vergangenen Jahren immer mehr neue Schulden aufgenommen hat, sind die Zinsausgaben sogar noch gesunken. Diese Entwicklung kann nicht von Dauer sein. Als Schäuble 2009 ins Finanzministerium kam, sahen die Prognosen noch anders aus: Damals wurde mit jährlichen Zinskosten von mehr als 50 Milliarden Euro gerechnet. Das zeigt, was noch kommen kann.