Die Hebammen im Kreis Ludwigsburg schlagen Alarm: Sie können den Beratungsbedarf der werdenden Mütter nicht mehr decken. In anderen Landkreisen ist die Lage ähnlich.

Ludwigsburg - Als Christel Scheichenbauer vor 30 Jahren als Hebamme anfing, war ihr Job völlig anders als heute. Damals hätten einige Tipps und Hausbesuche ausgereicht, erzählt die Vorsitzende des Kreisverbands Ludwigsburg der Hebammen. Heute dagegen müsse sie die jungen Mütter oft bis zu zwölfmal nach der Geburt aufsuchen und beraten. „Wir fangen fast immer bei null an“, sagt sie. Weil die Ursprungsfamilien oft weit weg wohnten, hätten die Frauen kaum Vorwissen und Unterstützung beim Umgang mit ihrem Kind. „Sie sind sehr unsicher“, erzählt die 53-jährige Benningerin. Umso dramatischer sei es, wenn Frauen in dieser hochsensiblen Phase auch von der Hebamme alleingelassen würden. Doch das müsse sie immer öfter tun. Denn wegen des schlechten Verdienstes gebe es nicht mehr genügend Geburtshelferinnen.

 

Zitterpartie statt freudiger Erwartung

Statt freudiger Erwartung könnten daher in Zukunft immer mehr Schwangere eine Zitterpartie erleben. Schon heute könnten die Hebammen im Kreis dem Beratungsbedarf der Frauen in der Schwangerschaft und im Wochenbett nicht mehr gerecht werden, sagt Scheichenbauer. Die Krux: im Durchschnitt liegt der Stundenlohn für Hebammen bei 7,50 Euro. Pro Hausbesuch bekommen sie 27 Euro, egal, wie lange dieser dauert. Der höhere Beratungsbedarf bedeutet für die Hebammen also mehr Arbeit für das gleiche Geld. Hinzu kommen teilweise lange Fahrtzeiten in entlegene Orte. Zum Leben reiche das nur, wenn man selbst kaum eines habe, sprich 70 Stunden pro Woche arbeite, so Scheichenbauer.

Diese Realität schrecke viele ausgebildete Kräfte ab, sagt Jutta Eichenauer, die Vorsitzende des Hebammenverbandes Baden-Württemberg. Zumal zu dem niedrigen Verdienst hohe Summen für die Haftpflichtversicherung kämen. „Die Verweildauer in unserem Beruf liegt deshalb durchschnittlich bei nur vier Jahren“, berichtet sie. Dabei könne von mangelndem Interesse an der Tätigkeit keine Rede sein, betont Eichenauer, die selbst in der Lehre aktiv ist: „Es kommen 700 Bewerbungen auf einen Ausbildungsplatz.“

Situation spitzt sich zu

In den vergangenen drei Jahren habe sich die Situation im Kreis Ludwigsburg zugespitzt, berichtet Scheichenbauer. Rund 3000 Kinder würden hier pro Jahr geboren, deren Mütter von Hebammen begleitet werden müssten. Doch die Versorgung sei schwierig, insbesondere im Westen und Norden des Landkreises. Sie selbst habe seit Ostern sicher 50 Schwangeren absagen müssen und sei schon seit Wochen bis Dezember voll ausgebucht – bei ihren Kolleginnen sehe es nicht anders aus. Wenn sie eine werdende Mutter wegschicke, wisse sie daher nie, ob diese überhaupt noch eine Hebamme finde. Wenn nicht, könne das fatale Folgen für die Gesundheit von Mutter und Kind haben, sagt die 53-Jährige. Gravierend sei vor allem, wenn das Gewicht des neugeborenen Kindes nicht regelmäßig kontrolliert und zu spät bemerkt werde, dass es zu wenig trinke.

Das Problem beschränkt sich nicht auf die freiberuflichen Hebammen. „Bei uns ist die Situation ähnlich“, berichtet Julia Gehring-Thumm, die stellvertretende Leiterin der Hebammen am Klinikum Ludwigsburg. Denn der Lohn sei mit dem Verdienst der Freiberuflichen vergleichbar. Das sei kein Beruf zum Leben, sondern nur ein Hobby, heiße es in der Branche.

Bei der Krankenkasse hält man den Mangel jedoch für ein Ammenmärchen. Aus seiner Sicht gebe es genügend Hebammen, sagt Erik Scherb, Leiter der AOK Ludwigsburg-Rems-Murr. „Wenn es das Problem gäbe, hätten wir sicher von Versicherten davon gehört“, sagt er. Den höheren Bedarf an der Begleitung junger Mütter habe er dagegen sehr wohl registriert: Seit 1991 habe er eine Kostensteigerung von 110 Prozent pro Jahr für die Hebammenhilfe registriert – das sei weit mehr als in anderen Bereichen.

Der Mangel betrifft die gesamte Region

Zahlen:
Laut den Vorsitzenden der Kreisverbände für Hebammen in der Region gibt es kaum verlässliche Zahlen zur Versorgung mit Fachkräften vor Ort. Das liege vor allem daran, dass viele der freiberuflichen Geburtshelferinnen nur sporadisch oder in Teilzeit arbeiteten, der exakte Anteil jedoch nicht erfasst werde.

Versorgung:
Im Kreis Ludwigsburg sind rund 80 Hebammen beim Verband gemeldet, im Kreis Esslingen 120, im Kreis Böblingen 46, im Rems-Murr-Kreis 60 und im Landkreis Göppingen 28. Doch der Tenor ist überall der gleiche: Es gibt nicht genügend Hebammen für den Bedarf.

Geburtshilfe:
Die meisten freiberuflichen Hebammen kümmern sich vor allem um die Geburtsvorbereitung und die Nachsorge im Wochenbett. Wegen der exorbitant gestiegenen Kosten für die Haftpflichtversicherung bei der Geburtshilfe haben viele diesen Teil ihrer Arbeit inzwischen aufgegeben.