Hegelianerin, Abweichlerin, und bald Preisträgerin: Die Richterin am Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff nimmt am Dienstag den Hegelpreis der Stadt Stuttgart entgegen.

Stuttgart - Man kann von Georg Wilhelm Friedrich Hegel lernen. Karl Marx hat es getan. Aber es ist nicht ganz einfach, aus den alten Lehren Anwendungen für das öffentliche Handeln heute zu destillieren. Von Hegel lernen heißt, ihn vom Kopf auf die Füße zu stellen.

 

Die Stadt Stuttgart verleiht am Dienstag der Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff den Hegelpreis. Sie habe, so die Jury, von Hegel gelernt, „das öffentliche Recht vor allem mit der Aufgabe zu versehen, Gemeinwohlorientierungen derart in institutionellen Arrangements zu verstetigen, dass bloße moralische Appelle überflüssig werden.“ Das klingt ein bisschen verquast und erklärt allein noch nicht, weshalb sie den Hegel-Preis erhält.

Niemand kann ihr ernsthaft widersprechen

Wer begreifen will, weshalb Lübbe-Wolff der Preis verdient hat, sollte einen Text von ihr aus dem Jahre 2007 nachlesen. Die wenigsten werden ihn kennen. Denn es handelt sich dabei lediglich um die „abweichende Meinung“ einer Richterin zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts, die ihrerseits damals kaum einen Menschen in Deutschland interessiert hat. Heute ist dieser Text von bestechender Aktualität.

„Ausländer, die einem Staat Geld leihen, können schwerlich erwarten, von den Wechselfällen dieses Staates unter keinen Umständen betroffen zu sein. . . Von einem Staat kann beispielsweise nicht erwartet werden, dass er seine Schulen, Universitäten und Gerichte schließt, seine Polizeikräfte entlässt und seine öffentlichen Dienstleistungen in einem solchen Ausmaß vernachlässigt, dass die Gemeinschaft dem Chaos und der Anarchie ausgesetzt wird, nur um seine ausländischen und einheimischen Darlehensgeber zu befriedigen.“ So beginnt Lübbe-Wolff. Niemand kann ihr ernsthaft widersprechen. Aber wer würde angesichts des griechischen Desasters und der aktuellen Diskussion diese Formulierung heute noch unterschreiben?

Die Formulierung stammt nicht von Lübbe-Wolff selber. Sie hat ein Zitat der Regierung von Südafrika aus dem Jahre 1930 an den Anfang ihrer abweichenden Meinung gestellt. Die Professorin, die 1953 geboren wurde, seit 1992 Professorin in Bielefeld und seit 2002 Verfassungsrichterin ist, respektiert es, wenn andere etwas so formuliert haben, dass es sich eindrücklicher und präziser kaum sagen lässt.

Das Gericht hat 2007 nicht über Südafrika, sondern über den (damals schon gar nicht mehr so) bankrotten Staat Argentinien entschieden. Die Mehrheit der Richter hat im Gegensatz zu Lübbe-Wolff behauptet, ein – im Völkerrecht unstrittiger – Staatsnotstand befreie ein Land zwar von seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen, berechtige es aber nicht zur Zahlungsverweigerung gegenüber privaten Gläubigern.

Die Frau ist eine Hegelianerin

Die Entscheidung zählt zu den kritikwürdigen aus Karlsruhe. Sie war schon deshalb absurd, weil die Gläubiger mit ihren Klagen nur noch den Druck erhöhen wollten, um für sich günstigere Vergleiche zu erzielen. Das Gericht aber hat ihnen – und damit allen künftigen Gläubigern – ein Tor aufgemacht. Lübbe-Wolff beschreibt, was passieren wird: „Privatgläubiger – auch solche, die Staatsanleihen mit ungünstigen Risikobewertungen und entsprechend günstigen Zinsversprechen bewusst als spekulative Anlage gekauft haben, können ihre Forderungen“ nun in Deutschland durchsetzen „auch angesichts katastrophaler innerer Zusammenbrüche des Schuldnerstaates.“

Welch eine Prophetie. Manchmal kann man eben von Hegel doch lernen, dass nicht nur das Wahre das Ganze ist , sondern dass auch der Staat nicht von der Willkür der Einzelnen abhängig sein darf. Die Frau ist eine Hegelianerin. Und man beginnt zu ahnen, was dem Karlsruher Gericht wegen seiner Leichtfertigkeit damals demnächst noch so alles auf die Füße fallen wird.