Eine Villa in der Sonnenbergstraße ist seit fast 90 Jahren Toni Mühlichs Zuhause. Ein Umzug kam nie infrage.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart-Süd - Kein Zweifel, ihre Mutter war eine Dame. Auf dem Gemälde trägt sie zum dunklen Kleid ein weißes Medaillon und eine strenge Miene. Toni Mühlich, 92, schaut immer noch ein wenig ehrfurchtsvoll zu dem Porträt im Esszimmer hoch. „Ich habe mich sportlich gekleidet.“ Das habe ihrer Mutter nie gefallen.

 

Häufig kamen Gäste in das Haus in der Sonnenbergstraße, das Toni Mühlichs Vater, ein Immobilienberater, 1923 gekauft hatte. Drei Jahre war Toni Mühlich damals alt. „Das war der erste und einzige Umzug in meinem Leben. „Ich bin gerne Stuttgarterin, hier habe ich die Wagenburgschule und das Katharinenstift besucht, in einem Anwaltsbüro gearbeitet und auch meinen Mann kennengelernt“, erzählt sie. Aus ihrem Quartier kann sie die Innenstadt in wenigen Minuten erreichen. Dennoch geht es in der Sonnenbergstraße weniger hektisch zu als in der Hohenheimer Straße, wo schon in ihrer Jugend die Straßenbahn fuhr.

Mühlich staunt immer wieder darüber, wie nah das Großstädtische und das Grüne in Stuttgart beieinanderliegen. „Wir leben nicht nur zwischen Steinen.“ In den 20er Jahren grenzten in der Sonnenbergstraße die Villen direkt an die Weinberge. „Bis zur Nummer 37 war die Straße bebaut, dann kamen Weingärten“, erinnert sie sich. Und neben dem Haus Nummer 26 hatte der Wirt des Charlottenhofs einen großen Hühnerhof. Als am Dobelbach eine Siedlung für Feuerwehrleute entstand, freuten sich nicht alle über diesen „Bauboom“.

Nachbarschaft ist immer nett gewesen

Trotzdem hatte die Straße lange einen eher kleinstädtischen Charakter – und zugleich profitierten die Villenbesitzer von der Infrastruktur der Großstadt. An der Ecke Sonnenberg-/ Dobelstraße, wo sich heute ein Kosmetiksalon befindet, war ein Feinkostgeschäft. „In der Stafflenbergstraße 3 gab es einen Spezereiladen, dort wurde das Mehl aus Säcken verkauft“, sagt Mühlich. Und mittwochs sei ein Gemüsehändler mit Pferdewagen gekommen.

Die Nachbarschaft sei immer sehr nett gewesen, meint die Seniorin. Bis in die dreißiger Jahre hätten auch einige jüdische Familien in der Straße gewohnt. „Die Parterrewohnung haben meine Eltern an den berühmten Schauspieler Max Marx vermietet. Er hat mich mehrmals ins Theater mitgenommen.“ Im Jahr 1933 wurde Marx allerdings aus dem Staatsdienst entlassen und zog aus.

Sehr gemocht hat Toni Mühlich auch den jüdischen Rechtsanwalt Albert Mainzer, der mit seiner Frau in der Sonnenbergstraße 33 wohnte. Er starb im KZ Auschwitz. „Daran mag ich nicht denken.“ Ein Stolperstein erinnert an das Opfer des Nationalsozialismus. „Die meisten jüdischen Nachbarn haben es, Gott sei Dank, geschafft, Deutschland zu verlassen.“

Sie war oft in den USA

In der Nachkriegszeit, als sie das Haus mit Flüchtlingen teilten, hat die Familie die Wohnung im ersten Stock umgebaut. „Uns blieben noch zwei Zimmer.“

Das Provisorium ist zur Dauereinrichtung geworden. Seit damals hat sich wenig verändert in Toni Mühlichs Zuhause. Das schwere Büfett und andere Möbel stehen seit Jahrzehnten im Esszimmer, das Porträt ihrer Mutter ist nicht wegzudenken.

Toni Mühlich möchte bleiben, schon der zentralen Lage wegen. Ihren Führerschein hat sie abgegeben, im Hausflur steht ein Rollator. Die 92-Jährige hofft, dass ihr ein Umzug ins Altenheim erspart bleibt. Sie war schon als Fünfjährige in Rom und oft in den USA. Eines ist ihr dabei klar geworden: „Es wohnt sich einfach angenehm hier in der Sonnenbergstraße.“