Weihnachten im Knast: Am Fest der Familie spüren die Gefangenen besonderes, dass sie von ihren Lieben getrennt sind. Da sind die beiden Gefängnis-Seelsorger Thomas Wagner und Joachim Scheu besonders gefragt.

Heimsheim - Klick, klack. Alle fünf Meter eine Tür, natürlich fest verschlossen. Es gibt hier die Menschen mit Schlüssel, und die Menschen ohne Schlüssel. Thomas Wagner und Joachim Scheu gehören zu denen mit Schlüssel, im ganz wörtlichen Sinne. „Draußen ist es noch laut und wuselig, aber wenn wir Besucher hierher führen, werden sie mit jeder Tür stiller“, hat Thomas Wagner, der evangelische Gefängnispfarrer, festgestellt.

 

Hier, das ist der Mehrzweckraum, warmer Parkettboden, freundliche bunte Gemälde an der Wand – und der einzige Raum im Gefängnis ohne Gitter vor den Fenstern. Vorne hängt ein hell erleuchteter Christus an der Wand, der Raum dient auch als Knastkirche. Hier feiern sie Gottesdienst, pünktlich um 9.15 Uhr. In einer Vollzugsanstalt hat alles seine Ordnung, und Gottesdienste finden immer um 9.15 Uhr statt – da ändert auch der Heilige Abend nichts.

„Gott kommt an Weihnachten als kleines Kind auf die Welt“, wird Thomas Wagner dann predigen. „Und zwar im Kuhkaff Bethlehem, in einem Stall, bei denen, die am Rande der Gesellschaft stehen, nicht bei den Fürsten.“ Die Kirche wird dann voll sein, hundert Stühle stellen die beiden Seelsorger auf, etwa ein Drittel der Heimsheimer Gefangenen sind das, die den Worten der Pfarrer lauschen, gemeinsam beten und singen – natürlich am liebsten „Macht hoch die Tür“ – oder einfach nur aus den unvergitterten Fenstern schauen. Nur jene, die ohnehin bis zum 6. Januar entlassen worden wären, durften schon Mitte November gehen, fünf Gefangene haben von der „Weihnachtsamnestie“ profitiert.

Aus dem ganz normalen Leben hinter Gitter

Nach dem Gottesdienst ist im Heimsheimer Gefängnis nicht mehr viel los, tagsüber ist „Freizeit“. Das heißt: Die Hafträume stehen offen. Das heißt vor allem: Es gibt Zugang zu dem Gemeinschaftsraum, den es auf jedem Stockwerk gibt – und in dem ein Telefon steht. „Das ist dann pausenlos belegt“, weiß Emilie Blasberg. Die resolute Frau arbeitet seit 37 Jahren hinter Gittern, die fünf Sterne auf ihren Schultern zeigen, dass sie die Chefin aller Vollzugsbeamten in Heimsheim ist.

„Nach so einem Dienst an Weihnachten kommen wir mit vielen Eindrücken nach Hause“, berichtet Emilie Blasberg. Denn am anderen Ende der Telefonleitung sitzen die Frauen, die Kinder, es fließen viele, viele Tränen. „Das rührt dann doch viele“, sagt die Vollzugsbeamtin. „Und dann schütten die Männer meinen Kollegen ihr Herz aus.“

Der Teil der Gefangenen, der überhaupt mit seinen Kindern spricht, ist indessen schon einen Schritt weiter. „Viele der Männer sind ja offiziell auf Montage“, erzählt Thomas Wagner, der Pfarrer. „Das sagen sie zumindest ihren Kindern gegenüber so.“ Aber welcher Papa ist selbst an Weihnachten auf Montage? Und das oft schon seit mehreren Jahren? Soll ich es meinem Kind sagen, und wenn ja wie? Fragen, die gerade an Weihnachten, dem Fest der Familie, auftauchen, und die Männer im Heimsheimer Gefängnis quälen.

Und die sie schließlich den beiden Seelsorgern Thomas Wagner und Joachim Scheu stellen. „Kerze gucken“ heißt das Gespräch bei manchen, wenn sie auf der gemütlichen Couch im Zimmer der Pfarrer sitzen, mit dem Wunsch nach Nähe, Beistand, Trost, und viele Taschentücher benötigt werden. „Wir können dann zum Beispiel einen Sonderbesuch organisieren“, erklärt der katholische Pastoralreferent Joachim Scheu. Dafür gibt es in Heimsheim einen extra Raum, ein Sofa steht da, Spiele und Kuscheltiere. Die Seelsorger sind bei diesem Gespräch mit Vater, Mutter und Kind dann dabei. „Dann muss der Papa sagen, dass er böse war“, erzählt Thomas Wagner.

Depressionen, Drogen, Medikamente – die gleichen Probleme wie draußen

Und dann geht sie wieder, die Familie. Zurück bleiben die Gefangenen. „Das Inhaftiert-sein wird an keinem Tag so intensiv erlebt wie an Weihnachten“, beobachtet Joachim Scheu. Die Abwechslung, die Arbeit, alles ruht zwischen den Jahren, stattdessen: Schlägereien, Gewalt, Knasthierarchien, die Nerven liegen blank in der Heimsheimer Justizvollzugsanstalt.

„Depression, Drogen, Medikamente – im Knast gibt es alle Probleme wie draußen auch“, sagt Alberto. Er ist noch jung, doch er hat schon eine steile Karriere hinter sich, kennt italienische und deutsche Gefängnisse. „Wegen Raub“ sei er diesmal hier, sagt er. „Geld-Raub – aber ich hab’ niemandem körperlich weh getan!“

Zwei Teelichter, einen Briefblock, ein Feuerzeug und einen Kalender packen die beiden Kirchenmänner in jeder Adventszeit in eine Tüte und verteilen das an jeden Gefangenen. Viele Gefangene haben ihren Vorhang vorgezogen, die Gitterstäbe können sie nicht mehr sehen. „Das Teelicht hat einen Schwarzmarktpreis von einem Päckchen Tabak“, berichtet Thomas Wagner. Oder sie suchen die Gemeinschaft, an Weihnachten dürfen die Gefangenen sogar zu zweit in eine Zelle ziehen. Denn um Punkt 17 Uhr rücken auch an Heiligabend die Beamten mit den Schlüsseln an – Einschluss. Eine Nacht lang.

(Der Artikel wurde am 28. Dezember auf Wunsch eines Betroffenen geändert.)