Troja/Athen - Jetzt sieht er sich tatsächlich auf dem Gipfel des Ruhms. Ein seltenes Gefühl steigt in ihm auf. Dass es jetzt genug sei. Hat er nicht alles erreicht, was er sich erträumt hat? Aus seiner Sicht schon. Heinrich Schliemann notiert am 17. Juni 1873 in sein Tagebuch: „Heute Abend habe ich die Arbeiten für dieses Leben eingestellt und ließ die Ausgrabungen durch den Priester segnen.“
Vor ihm liegt das sagenumwobene Troja, die Stadt, um die in Homers „Ilias“ zehn Jahre lang gekämpft wurde – glaubt Schliemann. Er hat einen Schatz aus den Ruinen gezogen, das behauptet er jedenfalls bis an sein Lebensende. 24 Ketten, silberne Diademe, einen 600 Gramm schweren Goldbecher, Vasen, Armbänder, Ohrringe und fast 9000 Goldschmuckstücke umfasst der Fund, den man als den „Schatz des Priamos“ kennt.
Der Krimkrieg macht Schliemann reich
Heute wissen wir: Dem sagenhaften König Priamos von Troja hat Schliemanns Schatz mit ziemlicher Sicherheit nicht gehört. So wenig wie die von Schliemann ausgegrabenen Ruinen die des homerischen Trojas sind. Es handelt sich vielmehr um eine Stadt, die lange vorher an dieser Stelle stand. Schliemann ist ein Schwärmer, den nicht wissenschaftliche Hinweise dazu brachten, ausgerechnet hier, am Hügel Hisarlik an den Dardanellen zu graben, sondern die griechische Heldensage. Sie nahm der knallharte Kaufmann einfach für bare Münze.
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Dabei ist Schliemann kein naiver Tropf. Er hat sich hochgearbeitet, vom Pfarrerssohn aus dem mecklenburgischen Neubukow zum Geschäftsmann in Sankt Petersburg, wo er 1847, im Alter von 25 Jahren, russischer Staatsbürger wird. Er heiratet die Kaufmannstochter Jekaterina Petrowna Lyshina, die ihm drei Kinder schenkt, knüpft Kontakte in die USA, wo er eine erfolgreiche Goldgräberbank in Sacramento gründet, kommt als Händler von Munitionsrohstoffen während des Krimkriegs zu Reichtum und ist 1855 der erfolgreichste Händler an der Börse in Sankt Petersburg.
1864 wird aus dem Kaufmann ein Weltenbummler
Befriedigen freilich wird ihn das nicht. Ab 1856 bereitet er seinen Ausstieg vor. Er lernt Latein und Altgriechisch. 1864 ist es so weit. Aus dem Kaufmann wird ein Weltenbummler, der mit Homers „Ilias“ und „Odyssee“ unterm Arm den Spuren der antiken Helden nachgeht.
Seine Begeisterung für die alte Kultur geht so weit, dass er ihre Nachfahren in seine Familie eingliedern will: 1869 erwirkt er die Scheidung von Jekaterina und beauftragt einen griechischen Freund, ihm eine neue Frau zu suchen. Einzige Bedingung: Sie muss Griechin sein, „griechisch aussehen“ und die „Ilias“ in der Ursprache lesen können. Der Freund ist erfolgreich. Schliemann entscheidet sich für die erst 17-jährige Sophia Engastromenou. Sophia bekommt zwei Kinder, Andromache und Agamemnon, begleitet ihn bei seinen Ausgrabungen und hält lange über seinen Tod hinaus Vorträge über seine Arbeit.
Mit Homer auf Schatzsuche
Nun muss er nur noch Troja finden. Zeitgenössische Altphilologen halten Homers Geschichten für erfunden. Schliemann ist dagegen davon überzeugt, dass Homer ein wahres Ereignis geschildert hat. Den Tipp, auf dem Hügel Hisarlik zu graben, erhält Schliemann – wie er später enthüllt – von Frank Calvert. Der Konsularagent aus Istanbul hatte bereits am Hisarlik gegraben. Schliemann macht dort weiter, wo Calvert aufgehört hat. Als seine 250 Arbeiter unter vielen Schichten die Grundmauern einer Stadt freilegen, die durch Brand zerstört worden sein muss, steht für den Hobby-Archäologen fest: Das muss Homers Troja sein.
Als man auf die Mauern eines Gebäudes stößt, nennt Schliemann die Reste „Palast des Priamos“, obgleich das Ganze eher an die „Größe eines Schweinestalls“ erinnert, wie ein Kritiker schreibt. 1872 glaubt Schliemann, den „Großen Turm“ entdeckt zu haben, der im vierten Gesang der „Ilias“ beschrieben wird. Die Relikte erweisen sich später als der Rest zweier parallel verlaufender Mauern.
Schliemann gräbt viel zu tief
Die eigentliche Tragik dieses großen Amateur-Archäologen ist: Bei seiner ungestümen Suche nach Homers Troja hat er zwar an der richtigen Stelle gegraben, aber viel zu tief. Gut 1000 Jahre zu weit ist Schliemann in die Vergangenheit vorgedrungen, in eine Schicht, die man heute Troja II nennt. Dabei hat er die Reste der homerischen Stadt, nach heutiger Auffassung Troja VI oder VIIa, zerstört. Die Wissenschaft wirft Schliemann vor, er habe alle Fundstücke, die nicht zu seinem Troja passten, wegkippen lassen. Das lässt außer Acht, dass damals Grabungsarbeit nach archäologischen Gesichtspunkten unbekannt war.
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Und was ist nun mit dem Schatz des Priamos? Der hat von dem Moment an, an dem er das Tageslicht erblickte, einen wechselvollen Weg vor sich. Schliemann schafft ihn aus dem Osmanischen Reich heraus, wohl wissend, dass die Türken zu Recht Anspruch auf das Geschmeide erheben werden. Dafür näht Sophia den Fund in sechs Gemüsekörbe ein. So schmuggelt man ihn nach Athen. Ein Käufer wird nicht gefunden: Es gibt Zweifel an der Echtheit, die bis heute nicht verstummt sind.
Erst Troja, dann Mykene
Schliemann überlässt den Schatz schließlich seiner alten Heimat. Das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte soll ihn bekommen – nicht ohne daran Bedingungen zu knüpfen. Schliemann will den Orden „Pour le Mérite“ und die Ehrenbürgerschaft Berlins. Bevor der Schmuck weggebracht werden kann, muss Schliemann sich vor einem Gericht in Athen gegen eine Klage wehren, die die türkische Regierung angestrengt hat. Der Prozess endet mit einem Kompromiss. Schliemann darf den Schatz behalten, muss aber 10 000 Franken an die türkische Regierung zahlen. Er zeigt sich großzügig und überweist 100 000. Heute liegt der Schatz als Beutekunst in Moskau.
Schliemann, der 1873 seinem Grabungstagebuch geschworen hat, die Archäologie sein zu lassen, kann es nicht lassen. 1874 begibt er sich nach Mykene, auf der Suche nach den Gräbern der homerischen Helden. Die dortige Burg des Agamemnon ist lange freigelegt. Schliemann findet fünf Gräber, weil er an einer Stelle außerhalb der Burgmauern schaufeln lässt, die man für uninteressant hielt.
Die „Maske des Agamemnon“ sorgt für Schlagzeilen
Die homerischen Helden sind hier zwar nicht bestattet, dafür aber die Überreste von 19 Menschen. Sie sind mit Schmuck und kostbaren Waffen beigesetzt worden. Die Gesichter der Männer bedecken Masken aus Goldblech. Eine davon erregt weltweites Aufsehen: die sogenannte Maske des Agamemnon.
Man ahnt es schon: Es ist nicht die Maske des Agamemnon. Diesmal hat sich der Ausgräber um ein halbes Jahrtausend verhauen. Und traf so auf eine bis dahin unbekannte, prähistorische Epoche, die ägäische Kultur der frühen Bronzezeit. Am 2. Weihnachtsfeiertag 1890 stirbt Schliemann in Neapel an den Folgen einer lange nicht behandelten Geschwulst im Ohr. Beigesetzt wird er in einem prachtvollen Mausoleum in Athen.