Sie sucht Ruhe. Nahe Berlin entdeckt Helga Breuninger ein sehr stilles Dorf und gründet eine Stiftung. Eine Hochzeit gibt´s dazu.

Stuttgart/Paretz - Manchmal ist das Glück ein Eierlikör. Helga Breuninger passiert das bisweilen, wenn sie abends über das Kopfsteinpflaster der Dorfstraße von Paretz spaziert. Da kann es sein, dass ihre neue Nachbarin auf dem Bänkchen vor dem Haus sitzt, und ruft: "Komm Helga, du kriegst auch einen." Dann sitzen sie da mit dem immer dunkelblauer werdenden Abendhimmel über sich und schauen die Straße entlang. Um sie herum senkt sich Stille. Ein paar Hundert Meter weiter schweben vielleicht ein paar Kraniche über die weiten Wasserflächen des Havellandes. Es sind Momente wie diese, in denen die Stuttgarterin Helga Breuninger sich vorstellen kann, hier in Paretz alt zu werden.

 

Das war nicht immer so - und vor allem war das alles eigentlich gar nicht so geplant. "Eigentlich", sagte Helga Breuninger, "eigentlich wollte ich nach Berlin." Da sitzt sie jetzt auch, im ersten Stock einer mimosengelben Villa im Grunewald. Vor großen Erkerfenstern stehen vier kuhfellfleckige Corbusier-Stühle, auf dem Tisch liegt das iPhone und fiept regelmäßig. Helga Breuninger sitzt auf einem der Stühle, aber eigentlich nie länger als ein paar Minuten. Dann springt sie auf, holt Getränke, holt ihr Laptop, holt einen neuen Flyer, spricht kurz mit der Haushälterin, geht ans Telefon, sieht nach ihren beiden Hunden, die im Flur ein bisschen winseln.

Ein bisschen Abstand von Stuttgart tut gut

Wo Helga Breuninger ist, da ist selten Ruhe. Zumindest, wenn man Ruhe als die Abwesenheit von Bewegung versteht. "Ich muss Dinge bewegen, ich bin eben im Herzen eine Unternehmerin." Helga Breuninger steht seit 1980 an der Spitze der gleichnamigen Stiftung, mit der sie zahlreiche Bildungs- und Kulturprojekte initiiert hat, sie hat das Literaturhaus Stuttgart entscheidend mit auf den Weg gebracht.

Sie ist in Stuttgart stadtbekannt, und wenn jemand tut, was sie tut, dann wird er natürlich auf jedem Theaterflur angesprochen und auch um Hilfe gebeten. Nicht, dass sie das generell leid gewesen wäre - aber ein bisschen Abstand wünschte sie sich schon. Und Raum, um etwas Neues zu entdecken. "Ich war nach zwanzig Jahren in Stuttgart auf der Suche nach einem Ort, an dem ich auch einmal für mich sein kann", sagt sie. Im Talkessel und auf der Halbhöhe, da kann die Frau, die heißt wie das berühmte Kaufhaus, das nie.

Schon Friedrich Wilhelm III. hat sich in das Dorf verliebt

Ein zweiter Wohnsitz, dachte sie sich, das wär's doch. "Und Berlin fand ich schon immer toll. Hier ist alles so unfertig, die Gesellschaft formiert sich dauernd neu, es gibt harte Gegensätze und eine große Vielfalt. Das interessiert mich." Also flog Helga Breuninger mit ihrem Lebensgefährten, dem Architekten Volker Donath, an einem schönen Maimorgen des Jahres 2008 nach Berlin, um sich ein paar Wohnungen anzuschauen. Und weil ein Bekannter ihr kurz zuvor von einem Dorf südwestlich der großen Stadt vorgeschwärmt hatte, in dem ein historisches Haus zum Verkauf stehe, wollten sie auch einen Abstecher dorthin machen. Es war früh am Morgen, noch vor neun, als das Paar dort ankam. Und dann kam alles anders als geplant.

Paretz ist ein kleines Dorf mit 400 Bewohnern - und wahrscheinlich würde heute keiner mehr davon Notiz nehmen, hätte sich nicht der preußische König Friedrich Wilhelm III. vor 200 Jahren darin verliebt. Für sich und seine Frau Luise - die populäre Prinzessin der Herzen - ließ er hier ein Schlösschen bauen. Sein Architekt David Gilly machte nach und nach den ganzen Ort zu einem Modelldorf.

"Wir wollen dem Dorf ein Gastgeschenk machen"

Was die Menschen an Paretz schon immer verzaubert hat, das ist diese Ruhe - eine Idylle so perfekt, dass es schon fast weh tut. Zeitgenossen nannten Luises Anwesen "Schloss Still im Land". Wer heute nach Paretz kommt, kann das sofort begreifen. "Wahrscheinlich haben wir das erlebt, was es auch Luise in Paretz angetan hatte", sagt Helga Breuninger. "Wir hörten einzelne Vögel singen, Hunde atmen, Störche klappern und Katzen schnurren." In Paretz spürten die beiden Stuttgarter eine andere Energie als anderswo.

Und sie beschlossen: hier wollten sie eine zweite Heimat finden. Sie kauften das kleine Haus an der Dorfstraße und planten einen modernen Neubau in der Reihe dahinter - ein Passivhaus mitten im historischen Ortskern. Und weil Helga Breuninger eben eine Stifterin ist bis ins Mark, fand sie: "Wir wollen dem Dorf ein Gastgeschenk machen." Also erwarben die beiden die denkmalgeschützte marode Dorfscheune, in der die Paretzer ab und zu feierten - in der Absicht, sie zu sanieren und zu einer Kulturscheuer zu machen.

Die Paretzer allerdings, die reagierten nicht alle euphorisch, sondern eher verhalten bis verschreckt. Da kommt eine Unternehmerin aus dem Westen und fängt an, Gebäude im Dorf aufzukaufen. Wer im Osten lebt, der hat in zwanzig Jahren eine Menge marodierender Glücksritter erlebt, die übers Land zogen.

Von den Dorfbewohnern kam Protest

Die Paretzer hatten also Sorgen. Protest formierte sich. "Ich war vielleicht am Anfang etwas zu unsensibel", sagt Helga Breuninger im Rückblick. Aber schließlich konnte sie ja auf eine Menge Mediationserfahrung zurückgreifen - die Stiftung hat seit Jahren ein erfolgreiches Projekt der Runden Tische. In Paretz also traf man sich zu Bürgergesprächen. "Wollen Sie uns enteignen?" Fragen wie diese stellten manche. Breuninger erklärte, was sie wollte - und sagt heute, dass sie in diesen Runden viel gelernt hat. "Ziele und Pläne verändern sich in so einem Beteiligungsprozess. Wir haben gemerkt, dass wir uns eben erarbeiten müssen, Teil dieser Gemeinschaft in Paretz zu werden."

Breuninger und ihr Lebensgefährte verzichteten auf die Idee des Hauses für sich. Und hatten stattdessen eine neue - die, sagen wir, bei diesen Leuten nicht völlig überraschen kann: die beiden gründeten die Stiftung Paretz. "Stifter bleibt man eben bis zum letzten Tag", sagt Helga Breuninger und sieht dabei nicht unzufrieden aus. "Das bin ich, und ich kann nicht anders."

"Mitwohnort" zum Leben und Denken

Mit der gemeinnützigen Einrichtung wollen Breuninger und Donath das bürgerschaftliche Engagement in einer strukturschwachen Region fördern, die in Zukunft immer mehr auf eine aktive Zivilgesellschaft angewiesen sein wird. Wer hier lebt, soll mitgestalten können.

Das neue Stiftungskind steht inzwischen auf zwei Beinen: da ist die Kulturscheune, die am Freitag mit einem riesigen Fest und einem Konzert eröffnet wird, zu dem sich auch Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck angekündigt hat. Und da ist das alte Gilly-Haus, das gerade zum Stiftungshaus umgebaut wird - Helga Breuninger stellt sich das Haus als "Mitwohnort" vor für kleine Gruppen aus Politik, Kunst, Wirtschaft oder Wissenschaft, die hier auf Zeit in dieser Stille leben, denken und Ideen für einen Ort und eine Region der Zukunft entwickeln können sollen.

"Glück ist, wenn du das willst, was du kriegst."

Ihr Herz also haben die beiden Stuttgarter Helga Breuninger und Volker Donath an das kleine Dorf Paretz verloren - wie sehr, das kann man ganz einfach daran sehen, dass sie fürs Pfingstwochenende 150 Menschen zu einem großen Fest in Schloss und Scheune eingeladen haben. Die beiden heiraten. Das Dorf feiert mit.

Ihren Plan, in Paretz zu wohnen, haben sie erst einmal verschoben und stattdessen ihre Wohnung in Berlin bezogen. Die Stiftung braucht das Haus. Wenn die zwei Exil-Stuttgarter in Paretz sind - und das sind sie häufig - dann wohnen sie auf einem Schiff. Sie gondeln von der Hauptstadt bis ins Havelland und gehen dann in dieser ganz besonderen Stille vor Anker.

"Erfolg ist, wenn du das kriegst, was du willst", sagt Helga Breuninger. "Glück ist, wenn du das willst, was du kriegst." Und manchmal ist das eben ein Eierlikör, abends an der Dorfstraße.

Hintergrund: Sozialunternehmerin statt Kaufhauschefin

Herkunft Helga Breuninger wird 1947 in Stuttgart geboren - in vierter Generation der Warenhausfamilie. Als Kind mit Problemen beim Lernen macht sie die prägende biografische Erfahrung, wie ein guter Grundschullehrer ihr durch Anerkennung ihrer Begabung hilft, ihre Probleme zu überwinden. Breuninger studiert Volkswirtschaftslehre in Tübingen, in der Erwartung, die Nachfolge ihres Vaters im Unternehmen anzutreten. Der aber entscheidet sich für einen Geschäftsführer, der nicht zur Familie gehört. Helga Breuninger studiert Psychologie in München und promoviert 1980 in Essen. Dort schafft sie mit der Helga Breuninger Stiftung ein eigenes Forschungsinstitut und begründet die Integrative Lerntherapie.

Engagement Nach dem Tod ihres Vaters übernimmt sie 1980 die Leitung der Breuninger Stiftung GmbH in Stuttgart. 1995 gründet sie ihre eigene Unternehmensberatung. Sie konzentriert sich auf die Unterstützung von Unternehmerfamilien bei der Bewältigung von Nachfolgekonflikten. Helga Breuninger sagt über sich und ihr Motiv sich zu engagieren, es sei auch der Wunsch, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Bildung ist für die Stifterin ein Schlüsselfaktor. Sie sieht ihre Stiftung als eine Plattform, auf der Menschen zusammenkommen, um die Bürgergesellschaft der Zukunft zu gestalten. Sie sagt, sie sei kein karitativer Typ, sondern eine Sozialunternehmerin.

Weitere Informationen: www.breuninger-stiftung.de