Im vergangenen Jahr wurde ein Henri-Nannen-Preis wieder aberkannt, dieses Mal nahmen drei Ausgezeichnete die Ehrung gar nicht erst an.

Hamburg - Am Schluss der Henri-Nannen-Preisgala brachte der britische Sänger Jamie Cullum die Medienszene wieder auf Schmusekurs. Sein versöhnlicher Song „What a difference a day made“ hätte nach dem Eklat bei der Preisvergabe in der Kategorie „Beste investigative Leistung“ am Freitagabend kaum treffender sein können. Erstmals gaben auserkorene Journalisten den Preis zurück. Die „SZ“-Autoren Hans Leyendecker, Klaus Ott und Nicolas Richter wollten sich die Ehrung nicht mit den Autoren der „Bild“-Zeitung teilen.

 

Die Spannung vor der Preisvergabe durch Auslandskorrespondentin und Kriegsreporterin Antonia Rados war groß. Schon im Vorfeld gab es Kritik an einer möglichen Auszeichnung der nominierten „Bild“-Zeitung für einen Beitrag zur Wulff-Affäre. „Tagesschau“-Sprecherin und Moderatorin Judith Rakers im eng taillierten schwarzen Kleid reichte Rados den verschlossenen Umschlag. „Ich glaube, auf den Inhalt dieses Umschlags sind wir heute alle ganz besonders gespannt“, sagte Rakers. Ein langgezogenes „Mmhm“ von Rados folgte. „Ein längerer Text, so viel kann ich sagen“, ließ Rakers verlauten.

Dann die Gewissheit: Die Jury hat sich entschieden, den Investigativ-Preis doppelt zu vergeben. Kaum hatte Rados die siegreiche „SZ“-Recherche, die zur Aufdeckung der „Formel-1-Affäre“ bei der BayernLB führte und den Namen Hans Leyendecker genannt, gingen im aufbrandenden Applaus die Namen seiner Kollegen Klaus Ott und Nicolas Richter unter. „Moment“, bat Rados und verkündete zwei weitere Preisträger. Für die Enthüllung der Vorgänge um den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff wurden die „Bild“-Autoren Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch bedacht. Es gab Applaus, aber auch einige Buh-Rufe. Erfreut nahmen Heidemanns und Harbusch die Büste entgegen. „Genugtuung spielt keine Rolle“, sagte Harbusch. Als „große Ehre“ bezeichnete die „Bild“ die Auszeichnung am Samstag auf der Titelseite.

Leyendecker zeigte sich gerührt

Nach diesen beiden Autoren kamen die „SZ“-Journalisten auf die Bühne. Leyendecker zeigte sich gerührt: „So schön war es noch nie“, sagte der 63-Jährige rückblickend auf seine Karriere. Und dann brachte er die Erklärung, die das Publikum verstummen ließ. Die Jury-Entscheidung für die „Bild“ sei völlig in Ordnung, sagte Leyendecker. Aber er und seine Kollegen wollten nicht am selben Tag mit dem Blatt geehrt werden. Leyendecker, ein maßgeblicher Förderer der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“, sprach noch von einem „Kulturbruch“ - und ließ den „Henri“ allein zurück.

Das Pikante: Im Vorjahr, als dem „Spiegel“-Journalisten René Pfister die Auszeichnung von der Jury im Nachhinein wieder aberkannt wurde, forderte Leyendecker den Rücktritt des Gremiums. Pfister hatte den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer an seiner Modelleisenbahn beschrieben, die Szene aber nicht mit eigenen Augen beobachtet, wie er bei der Verleihung einräumte.

„Die Jury des Henri-Nannen-Preises muss zurücktreten, weil sie zunächst eine falsche Entscheidung getroffen und dann den von ihr verliehenen Preis in eine Bestrafung des von ihr Ausgezeichneten verwandelt hat“, schrieb Leyendecker damals. Außerdem habe es die Jury nicht einmal für nötig gehalten, den Betroffenen selbst anzuhören. Leyendecker bekam bereits 2007 mit zwei weiteren „SZ“-Kollegen den Henri-Nannen-Preis in der Kategorie investigative Recherche, damals für die Aufdeckung des Siemens-Schmiergeldskandals. In diesem Jahr ließ der journalistische Altmeister die Juroren - ein erlauchte Mischung deutscher Chefredakteure - gänzlich im Regen stehen.

Das langjährige Jury-Mitglied Helmut Markwort begründete die Entscheidung für „Bild“ so: „Das Medium, in dem eine Arbeit erscheint, kann kein Ausschlusskriterium sein.“ Es müsse bei der Bewertung um die investigative Leistung gehen, und das sei bei allen Preisträgern der Fall gewesen, ergänzte er noch. Drei Mal gab es bei der Abstimmung im Gremium ein Patt, bevor es zur Doppel-Entscheidung kam.

Die „SZ“-Ablehnung gelte es zu respektieren, sagte Jury-Mitglied Ines Pohl („taz“). Dennoch sorgten die „SZ“-Journalisten in den Gängen des Schauspielhauses bei der Party nach der Verleihung für reichlich Gesprächsstoff. Eklat hin oder her - eines ist schon klar: Im nächsten Jahr soll es wieder eine Verleihung geben. Dann aber nicht im Deutschen Schauspielhaus, sondern auf der Hamburger Experimentierbühne Kampnagel.