Herbert Grönemeyer füllt immer noch die großen Hallen - zum Beispiel die Stuttgarter Schleyerhalle am Montagabend. Ein klug komponierter Abend, an dem Grönemeyer versuchte, zu tanzen - und nach dem Geschmack unseres Kritikers die eine oder andere Zugabe zu viel anstimmte.

Stuttgart - „So schön kann das Leben sein - irre“ oder „Danke danke danke – das ist spitze!“ ruft Herbert Grönemeyer in die ausverkaufte Schleyerhalle und geht dazu auf die Knie. Ob er das meint? Solche Momente? „Dauernd Jetzt“ heißt ja sein aktuelles Album und rückblickend könnte so mancher meinen, es sei nicht nur im Titel so etwas wie ein Vorgriff auf seine Musik zur Theaterinszenierung von Johann Wolfgang von Goethes „Faust“, zu dem er sich wohl schon lange zuvor Gedanken gemacht hat und für den er sich jüngst mit dem Theatermenschen Robert Wilson zusammengetan hat. „Augenblick, verweile doch, du bist so schön“ heißt es dort im „Faust“.

 

Wer könnte hierzulande wohl mehr Anlass zu einem solchen Statement haben als „Herbie“, wie ihn viele seiner Fans liebvoll nennen. Immerhin ist der Augenblick für ihn, was den Geschäftserfolg und den Kontakt zum Publikum angeht, seit Mitte der achtziger Jahre schon schön, auch wenn privat das eine oder andere dazwischen kam. Der öffentliche und der private Grönemeyer? Das Verhältnis ist schwierig. Soll man ja nicht verwechseln, so mahnt er immer wieder.

Wenn er tanzt, sieht das komisch aus

Der populäre Mann hat mit „Mensch“ immerhin das meistverkaufte Album der deutschen Musikgeschichte abgeliefert und ist als singender Volksheld ganz weit nach vorne gekommen. Die Menschen tanzen nach seiner Pfeife, egal wo. Seine Stimme scheint dem deutschsprachigen Publikum aus der Seele zu brüllen, blöken, bellen, knödeln und pressen, wobei er, wie er in vielen Interviews behauptet hat, seit seiner Kindheit immer schon viel und gerne gesungen hat.

Dabei behauptet er auch gerne, nie so etwas wie einen Stimmbruch gehabt zu haben und immer schon so wie jetzt gesungen zu haben. Mit dieser Knödelstimme mit dem Kasernenhofton, so würden seine Kritiker einwerfen, die auch gerne mal erwähnen, dass er nicht tanzen könne. Nun ja, das können und konnten viele aus seiner Generation nicht. An diesem Abend in der Schleyerhalle geht er einigermaßen zurückhaltend damit um und geht damit auch als authentisch durch. Hauptsache, es kommt alles aus dem Innern, aus der Seele. So das Credo. Denn das ist ja seine Stärke: Er zieht alle Emotionen auf sich und strahlt sie als eine Art singender Volkstribun wieder ab. Popstarqualitäten nennt das das Showgeschäft.

Er eröffnet seine Show im Kreise seiner sieben Musikerbegleiter an diesem Abend mit den neuen Liedern „Unter Tage“, „Wunderbare Leere“ und „Fang mich an“. Es herrscht funzelige dunkle Grubenatmosphäre, Kumpelstollenbergwerksstimmung. Ja ja, er will ja auch nach einer relativ trüben einsamen Phase wieder zum Licht der Liebe vorgestoßen sein. Ist ja gut.

Aber seine neuen Sachen scheinen tatsächlich wieder melodiöser und manchmal fast schon zärtlich geworden zu sein. Obwohl seine Band so heftig rocken und grooven kann, wie sie das mit diesem starken Rhythmusteam Armin Rühl am Schlagzeug und Norbert Hamm am Bass immer schon konnte. Bei den neuen Sachen zeigt sie das besonders bei „Unser Land“, das ein bisschen auch eine Anbiederung ist und erst nur für die Fans verständlich erscheint. Denn der Sound ist insgesamt gut, nur Grönemeyers Stimme könnte verständlicher sein. „Drauf, drin – ich will nicht woanders hin, Neu, Deutsch, gemeinsam, der Laden läuft“ brüllt er jetzt in die durchweg enthusiastische Menge.

Zum Ausgleich gibt’s eher leise Lieder wie „Roter Mond“, das sich um die Flüchtlingsproblematik dreht und das mit seiner eingängig melodiösen Art ungewohnte Seiten am oft herb singenden Volkshelden offenbart, dessen Arm immer wieder so schnurgerade ins Publikum zeigt und der dazu ein „schön, sehr schön“ bellt. Natürlich lässt er auch mitsingen, teilt ein und aus, spielt gegeneinander aus und verrät mit einem Grinsen, dass dies in der Schule des Showgeschäfts eine übliche Art der Anmache sei. Überhaupt geht an diesem Abend eine neue Ironie und Gelassenheit von ihm aus, die ihm gut tut.

Eine abwechselungsreiche Show

Aber er bringt auch seine Klassiker, wenn er beispielsweise mit der Zeile „Tief im Westen“ anhebt. Klar, es folgt natürlich „Bochum“, später auch „Männer“, nahtlos übergehend in „Was soll das?“. Auch „Alkohol“ kracht wie immer, während er „Flugzeuge im Bauch“ völlig neu arrangiert hat und es am Klavier sitzend nur vom Kontrabass begleitet jazzig einleitet.

Solche Abwechslung und Dynamik hat „Herbie“ auf eine natürliche und doch clevere Weise in seine Show eingebaut. Nun ja, seit den achtziger Jahren, aus denen diese Kracher stammen, hat sich bei ihm viel Repertoire angesammelt, dessen Fülle er nun abschöpfen kann. Ein klein wenig gewöhnt sich im Laufe des rund zweieinhalbstündigen Abends so mancher auch an den typisch Grönemeyer’schen Gesangston, was rein akustisch ein paar Sätze mehr verständlich macht. Aber die gefühlt tausend Zugaben gegen Ende des Konzerts sind einfach zu viel. Es gleicht sich dann zu vieles an und das Einzelne verliert in jeder Hinsicht.

Doch zuvor hat er ja noch den Titel „Mensch“ in einer Art verlängertem Latin-Arrangement gebracht: „Momentan ist richtig, momentan ist gut, nichts ist wirklich wichtig, nach der Ebbe kommt die Flut“. Eins-zwei-drei und Wechselschritt. Ungelenk sieht das aus, wenn er dazu tanzt, aber eben auch unverbogen und echt. Oder der Titel „Bleibt alles anders“: „Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders, der erste Stein fehlt in der Mauer, der Durchbruch ist nah“. Eigentlich erstaunlich, dass solche Zeilen zum Hit geworden sind. Doch der Tiefsinn geht bei ihm oft ins oberflächliche Pathos über, das scheinbar Rätselhafte wird eingängig für jeden. Ob es ein Schlüssel ist zu seinem ungebrochen anhaltenden Erfolg?

Mehr zum Pop in der Region Stuttgart gibt's bei kopfhoerer.fm - auch auf Facebook.