Alle reden von einer Verlängerung der S 6 bis nach Calw. Das sei doch die viel bessere Alternative anstelle der Hesse-Bahn, sagen viele Verkehrspolitiker im Kreis Böblingen. Aber stimmt das? Hier schon mal acht Antworten in unserem Fakten-Check.

Stuttgart - In Calw und Böblingen ist der Auftrag schon unterschrieben, jetzt muss der Verband Region Stuttgart (VRS) noch nachziehen, dann können die Experten mit ihrer Arbeit beginnen. Es geht um ein großes Gutachten, das überprüfen soll, ob eine S-Bahn-Verlängerung bis Calw wirtschaftlich sinnvoll ist. Von den Kosten in Höhe von 150 000 Euro wollen die Landkreise Calw und Böblingen sowie der VRS jeweils ein Drittel tragen.

 

Hat Calw noch keinen Bahnhof?

Doch. Es gibt eine Regionalbahn, die von Horb über Calw nach Pforzheim fährt. Eine direkte Verbindung in die Landeshauptstadt Stuttgart hat Calw nicht mehr, seit der Personenverkehr auf der alten Trasse der Schwarzwaldbahn zwischen Weil der Stadt und Calw im Jahr 1983 eingestellt wurde.

Was ist die Hermann-Hesse-Bahn?

Die alte Schwarzwaldbahn-Strecke von Calw über Heumaden, Althengstett und Ostelsheim nach Weil der Stadt will der Landkreis Calw wiederbeleben und hat als Namenspatron dafür den in Calw geborenen Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse ausgewählt. Weil es – Gutachten zufolge – nicht wirtschaftlich wäre, die Bahn nur bis Weil der Stadt rollen zu lassen, will sie der Landkreis zwischen Calw und Renningen pendeln lassen.

Wann fährt die Hesse-Bahn?

Darüber hat es zuletzt unterschiedliche Aussagen gegeben. Ursprünglich – und so immer noch auf der aktuellen Projekthomepage nachzulesen – sollte die Hesse-Bahn 2018 fertig werden. Dieser Zeitplan gilt nun aber auch offiziell nicht mehr. Michael Stierle, der zuständige Abteilungsleiter im Calwer Landratsamt, wollte sich zuletzt auf keinen Termin mehr festlegen lassen. Jetzt hat man im Calwer Landratsamt offenbar das Jahr 2020 als Ziel ausgegeben. „Der Termin 2020 – der steht“, sagte Stierle Mitte Oktober dem „Schwarzwälder Boten“. Dafür müsste der Verwaltungsgerichtshof Mannheim aber demnächst sein Urteil über die Klage der Stadt Weil der Stadt fällen. Dafür gibt es derzeit noch nicht einmal einen Verhandlungstermin.

Warum klagt Weil der Stadt?

Die Städte Weil der Stadt und Renningen hatten immer schon heftig gegen die Hesse-Bahn protestiert. Sie befürchten, dass das S-Bahn-Netz gestört wird, wenn die Hesse-Bahn in Weil der Stadt auf die S-Bahn-Gleise ein- und nach Renningen weiterfährt. Auch die Befürchtung, die S-Bahn könnte dann irgendwann einmal schon in Renningen enden, macht die Runde. Weil der Stadt hätte dann keine Direktverbindung nach Stuttgart mehr, Malmsheim gar keinen Zuganschluss, weil hier die Hesse-Bahn nicht hält.

Wäre die S-Bahn-Verlängerung eine bessere Lösung?

Genau das soll jetzt die Studie herausfinden. In der Vergangenheit gab es schon verschiedene Überlegungen, die S-Bahn in den Nordschwarzwald auszudehnen. 2011 hatte der Landkreis Calw bereits ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu überprüfen, ob die S-Bahn-Verlängerung bis Calw wirtschaftlich sein könnte. Das Ergebnis von damals: ein klares Nein – zu hohe Kosten bei einem zu geringen Nutzen, war das Ergebnis der Gutachter 2011.

Gilt das heute nicht immer noch?

„Nein, damals hatten wir eine andere Einschätzung zu dem Thema S-Bahn-Verlängerung“, sagt Annette Albers auf Nachfrage unserer Zeitung. Sie ist die Verkehrsplanerin beim Verband Region Stuttgart (VRS), der für das Stuttgarter S-Bahn-Netz zuständig ist. Zum einen habe es damals Vorbehalte gegeben, die S-Bahn überhaupt über die Grenzen der Region Stuttgart hinaus fahren zu lassen, weil die Zuständigkeiten nicht geklärt gewesen seien. Zum anderen habe der VRS damals Kritik geübt, weil ein Taktproblem zwischen Weil der Stadt und Renningen absehbar war, sollte die S-Bahn nicht in Weil der Stadt enden, sondern bis Calw weiterfahren. „Das würden wir heute in den Griff kriegen“, verspricht Albers. Soll heißen: Sollte die S-Bahn verlängert werden, könnte die S 6 im heutigen Fahrplan weiterfahren. „Das wurde bereits in einer Vorstudie untersucht und wird die Grundlage der neuen S-Bahn-Wirtschaftlichkeitsuntersuchung“, erklärt die S-Bahn-Planerin.

Wie lautet das Ergebnis der Vorstudie?

Im September 2015 haben die Landkreise Böblingen und Calw und der VRS schon einmal eine „Vorstudie“ zur S-Bahn-Verlängerung machen lassen. Diese steckt die Rahmenbedingungen ab, innerhalb derer sich diese Verlängerung bewegt. Zwischen 15 und 26 Millionen Euro würde es kosten, die Schienen nach Calw für die S-Bahn fit zu machen. Die Strecke müsste nämlich elektrifiziert und zusätzliche Gleise und Signale müssten gebaut werden. Um dies einigermaßen wirtschaftlich zu halten, spricht die Vorstudie von 370 bis 800 weiteren Fahrgästen, die die S-Bahn generieren müsste – Fahrgäste also, die nur mit der S-Bahn fahren und nicht mit der in Renningen endenden Hermann-Hesse-Bahn. Als zwar „ambitioniertes, aber nicht unüberwindbares Hindernis“ bewerteten die S-Bahn-Befürworter im VRS und im Landkreis Böblingen dieses Ergebnis damals. Der Kreis Calw, der einer S-Bahn-Verlängerung seit 2011 skeptisch gegenüber steht, sprach von einem „extrem ambitionierten, aber nicht gänzlich unrealistischen Ziel“, wie es Michael Stierle im Dezember 2016 gegenüber dieser Zeitung formulierte.

Warum braucht es jetzt schon eine Entscheidung?

Wenn sowieso klar ist, dass die S-Bahn bis Calw verlängert wird, wären viele Hesse-Bahn-Investitionen unnötig. Zum Beispiel plant der Landkreis Calw derzeit, im Renninger Bahnhof einen zusätzlichen Bahnsteig zu bauen – diesen bräuchte es dann nicht. Die S-Bahn benötigt zudem andere „Begegnungsstellen“. Das sind Abschnitte, auf denen die Züge auf der eingleisigen Strecke zwischen Weil der Stadt und Calw aneinander vorbeifahren können.

Wie geht’s jetzt weiter?

Das Gutachten wird dieser Tage beauftragt. Das Ergebnis soll dann etwa in einem halben Jahr vorliegen. Dann müssen die politischen Entscheider in Calw, Böblingen und Stuttgart das Ergebnis diskutieren. „Wir müssen die Verzögerung der Hesse-Bahn unbedingt nutzen“, gibt sich der Renninger Bürgermeister Wolfgang Faißt zum Beispiel kämpferisch. Will heißen: Er will die S-Bahn-Verlängerung durchboxen, noch bevor die Hesse-Bahn in Betrieb geht.