Morgens japanische Hausmannskost, nachts Pizza: zwei Lieferdienste teilen sich im Stuttgarter Süden dieselben Räume. Heike Armbruster hat sich von dem außergewöhnlichen Ess-Experiment ein Bild gemacht.

Stuttgart - Gegen 5 Uhr morgens öffnet Kyoko Scheiffele die Tür ihres japanischen Lunchlieferdienstes Soyosoyo im Stuttgarter Heusteigviertel. Sie tauscht die Stühle aus, ersetzt die Wanduhr durch einen kleinen Bilderrahmen und verdeckt mit den Flächenvorhängen das Pizzamenü an der Wand hinter der Theke. Die Tür, die Kyoko Scheiffele morgens öffnet, ist die Tür, die Amer Khokhar kurz zuvor geschlossen hat. Amer Khokhar ist der Inhaber des Pizzalieferdienstes Enjoy. Jeden Tag backt Khokhar mit seinem Team Pizzen, zwölf Stunden lang. Erst gegen 4 Uhr morgens schließt er die Tür, und aus Enjoy wird wieder Soyosoyo. Kyoko Scheiffele und Amer Khokhar teilen sich ein und dasselbe Geschäft. Es ist die erste gastronomische WG Stuttgarts.

 

Die Idee zu diesem ungewöhnlichen Konzept hatte Kyoko Scheiffele vor etwa zwei Jahren. Sie wollte einen japanischen Lunchlieferdienst eröffnen, der japanische Hausmannskost auf der Menükarte hat. Scheiffele fehlte jedoch das Geld, eine eigene Küche anzumieten. Einen Kredit aufnehmen wollte sie nicht. Lange suchte sie deshalb nach Gastronomen, die bereit waren, ihre Küche mit einer Anfängerin im Gastrogewerbe zu teilen. Amer Khokhar gab ihr schließlich eine Chance.

In kleinen Schritten zum Erfolg

Scheiffele hatte zuvor als Controllerin und Headhunterin gearbeitet. Mit 40 Jahren entschied sich die gebürtige Japanerin, beruflich neue Wege zu gehen. Ein Lunch-lieferdienst schien ihr die beste Möglichkeit, um auch noch genügend Zeit für ihre Tochter zu haben.

Die ersten Monate arbeitete Scheiffele ganz allein. Von außen war die Gastro-WG – Scheiffele selbst spricht übrigens von ihrer „Lädle-WG, weil das so schön schwäbisch klingt“, – als solche nicht erkennbar. Am Mozartplätzle waren lediglich die Schriftzüge des Pizzalieferdienstes zu sehen. Erst seit wenigen Tagen hat sich das geändert. Soyosoyo ist so gut angelaufen, dass Scheiffele sich entschieden hat, den Imbiss im Heusteigviertel auch mittags für Kundschaft zu öffnen. Um das Essen auszufahren, hat sie eine Mitarbeiterin eingestellt.

Noch hat sich das Konzept der gastronomischen Zweckgemeinschaft aber nicht bei allen Kunden herumgesprochen. „Hin und wieder fragt jemand mittags, ob ich auch eine kleine Pizza backen könne, aber das geht nicht“, sagt Scheiffele. Nicht nur weil die Japanerin das nicht kann, sondern weil die beiden Betriebe gar nicht die Produkte des jeweils anderen anbieten dürfen. Die Warenlager von Pizzalieferdienst und Soyosoyo sind streng getrennt – auch im Kühlraum. Vor jeder Übergabe putzt der jeweils andere, räumt seine Sachen weg. „Es ist, ehrlich gesagt, nicht kompliziert. Wir haben eine gute WG“, sagt Scheiffele.

Die anfängliche Notlösung hat sich bewährt

Amer Khokhar betreibt seinen Pizzalieferdienst Enjoy seit drei Jahren. Er erinnert sich noch gut an den Tag, als er Kyoko Scheiffele kennengelernt hat. „Sie kam herein und hat einfach gefragt, ob sie unsere Küche mitbenutzen darf“, erzählt er. Überlegt hat er schon, ob das funktionieren kann. Aber da Enjoy mittags sowieso geschlossen sei, habe er der Japanerin zugesagt. Bereut hat er es nicht. Die geschäftliche Koexistenz unterliege schließlich auch den üblichen Kontrollen. „Da gab es keinerlei Beschwerden“, sagt Amer Khokhar. Zudem zahle Scheiffele ihren Anteil an der Miete.

Für Scheiffele wiederum hat sich die anfängliche Notlösung als guter Start in die Geschäftswelt entpuppt. Ihr Lieferdienst kann Schritt für Schritt wachsen. Waren es anfangs noch zehn bis 15 Essen, die sie montags bis donnerstags ausfuhr, plant sie nun für etwa 80 Essen täglich. Der Lieferdienst läuft weiter mit Vorbestellung. „Ich möchte so wenig wie möglich wegschmeißen“, sagt sie. Damit das funktioniert, kocht sie jeden Freitag das Menü der nächsten Woche vor und stellt Bilder davon ins Internet. Sobald das Menü bekannt ist, kann bestellt werden. Meist ist sie schon am Freitag für die gesamte folgende Woche ausgebucht. „Ich hätte nicht gedacht, dass mir so viele Kunden treu bleiben“, erzählt sie mit sichtlicher Freude.

Japanische Hausmannskost als Marktlücke

Um anfangs überhaupt Kunden zu gewinnen, hat Scheiffele die Gewerbegebiete in Stuttgart angefahren und dort mit Kostproben für ihr Konzept geworben. „Alles, was ich habe und hatte, war und ist das Essen, und das muss man schmecken“, sagt die zierliche Geschäftsfrau. Schmecken deshalb, weil viele Menschen sich unter japanischer Hausmannskost nicht viel vorstellen können. „Vor allem bedeutet das viel Gemüse und wenig, dafür sehr dünn geschnittenes Fleisch“, sagt Scheiffele.

Soyosoyo, was übersetzt etwa leichter Frühlingswind bedeutet, hat Scheiffele ihren Lieferdienst übrigens deshalb genannt, „weil mein Essen den Menschen ein kleines Glück bringen soll, ihnen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern“. Darin ist sie sich mit ihrem WG-Partner einig. Amer Khokhar hat seinen Pizzalieferdienst schließlich Enjoy genannt.