Behinderte können mit einem Persönlichen Budget Hilfeleistungen selbst bezahlen – doch im Südwesten nutzen nur etwa 1000 Menschen diese Möglichkeit. Die Betroffenen setzen ihre Hoffnungen eher auf die Pläne für ein Bundesteilhabegeld.

Stuttgart - Was war das für eine Begeisterung. Im Herbst 2007, als feststand, dass der Bund Menschen mit Behinderung einen Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget einräumen würde. „Mit dieser neuen Leistungsform haben wir ein zukunftsweisendes Instrument, um den individuell unterschiedlichen Möglichkeiten, Wünschen und Bedürfnissen behinderter Menschen stärker als bei der reinen Sach- und Dienstleistung Rechnung zu tragen“, sagte der damalige Behindertenbeauftragte der Landesregierung und Staatssekretär im Sozialministerium, Dieter Hillebrand (CDU). 2007 war die Modevokabel „Inklusion“ noch nicht in Mode, sonst wäre sie an dieser Stelle mit Sicherheit gefallen. Man kann nun beobachten, ob es mit der Inklusion genauso geht wie mit dem Persönlichen Budget. Das ist so etwas wie ein Ladenhüter erster Klasse.

 

Dabei war die Euphorie seinerzeit von der Theorie her berechtigt. Persönliches Budget bedeutet, dass ein behinderter Mensch nicht mehr eine Leistung zugewiesen bekommt – zum Beispiel jemanden, der ihn beim Einkaufen oder bei Behördengängen begleitet oder zur Arbeits- oder Ausbildungsstelle bringt. Vielmehr wird ihm Geld zur Verfügung gestellt, mit dem er die Hilfeleistungen, die er benötigt, selbst vom Anbieter seiner Wahl bestellen und bezahlen kann. Durch dieses Mehr an Selbstbestimmung erfährt der Betroffene mehr Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – das eigentliche Ziel.

Nur 8500 Behinderte in ganz Deutschland nutzen das Budget

Einer jetzt veröffentlichten Übersicht des Statistischen Bundesamtes zufolge machten 2013 aber in ganz Deutschland von diesem Rechtsanspruch gerade mal 8500 Behinderte Gebrauch. Das ist ein Prozent der Betroffenen. Dabei stellen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg mit mehr als 4000 Budgetempfängern allein fast die Hälfte; die Pfälzer mit gut 3000 mit Abstand die meisten. Dort ist die Kultur des Persönlichen Budgets am stärksten ausgeprägt. Immerhin 8,6 Prozent der Empfänger von Eingliederungshilfe in Rheinland-Pfalz bekommen ein Persönliches Budget. In Baden-Württemberg sind es mit gut 1000 nur noch 1,3 Prozent. Die anderen Bundesländer fallen ab. Wahrscheinlich sind die tatsächlichen Zahlen von Budgetempfängern etwas höher. Das zeigen Zahlen des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales (KVJS), der die baden-württembergischen Kommunen hinsichtlich sozialer Themen betreut und über eigene Daten verfügt. Demnach hat es im Südwesten Ende 2013 immerhin 1415 Budgetempfänger gegeben – 2,2 Prozent von allen Leistungsempfängern.

Die Unschärfe könnte daher rühren, dass die Statistiker ihre Daten aus der Sozialhilfestatistik ableiten. Für die meisten Fälle trifft das auch zu. Man kann ein Persönliches Budget aber auch über die Krankenkasse oder die Bundesagentur für Arbeit oder über die Rentenversicherung beantragen. Dann läuft es in anderem Bahnen. Überwiegend wird das Budget aber übers Sozialamt angestrebt.

Das ist ein Punkt, der den Betroffenen missfällt. Die Sozialhilfe ist unter den Sozialkategorien die letzte. Die Betroffenen fühlen sich in die Defensive gedrängt. Sie fordern, „aus der Ecke der Bittsteller heraus zu kommen“, wie es der Behindertenbeauftragte des Landes, Gerd Weimer (SPD), ausdrückt.

Der Berater sagt, oft würde der Bedarf herunter verhandelt

„Menschen mit behinderungsbedingtem Assistenzbedarf werden für diesen abgestraft.“ Das sagt Gerhard Bartz; der Mulfinger ist Vorsitzender von Forsea, dem Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen. Die Leistungen des Staates seien eigentlich ein Nachteilsausgleich für die Handicaps der Behinderten. Doch erlebten diese bei der Erörterung ihres Assistenzbedarfes „teilweise üble Verhandlungen, die einzig und alleine dem Ziel dienen, die Ansprüche bzw. beantragten Bedarfe massiv herunter zu verhandeln“, so Bartz.

Dem wollen sich die Betroffenen nicht aussetzen. Ein weiterer Grund: Wer ein Persönliches Budget beantragen will, muss nicht nur Anspruch auf eine Leistung der Eingliederungshilfe haben, sondern darf monatlich maximal 694 Euro Einkommen beziehen und weniger als 2600 Euro Vermögen besitzen. Bartz nennt das „praktizierte Pflichtverarmung“, die sich auch auf Familienangehörige ausdehnen kann, denn auch ihr Vermögen wird herangezogen, bevor die Sozialhilfe einspringt.

„Hilfen für Menschen mit Behinderungen müssen ins Sozialgesetzbuch IX rein und raus aus dem Sozialhilferecht“, fordert Gerd Weimer. Das von der Großen Koalition in Berlin geplante Bundesteilhabegeld könnte daraufhin wirken, weil es einkommens- und vermögensunabhängig sein soll.

Auf Bundesebene wird noch getüftelt – und gerechnet. Wie die Experten im Stuttgarter Sozialministerium anklingen lassen, ist noch lange nicht klar, ob und wenn ja wie das vom Bund gezahlte Geld auf die bisherigen Leistungen der Eingliederungshilfe angerechnet wird. Auch streitet man noch, ob das Bundesteilhabegeld nach Bedürftigkeit gestaffelt werden soll und wer die bezugsberechtigten Personen sein könnten: Alle Behinderten? Nur Volljährige? Nur bisherige Bezieher von Eingliederungshilfen?

Offen ist auch, wie es mit dem Persönlichen Budget weitergeht. Beide Instrumente könnten sich zwar sehr wohl ergänzen, heißt es im Sozialministerium. Aber der Bund entscheidet, und dabei redet wohl auch der Finanzminister mit. Diskutiert wird fürs Bundesteilhabegeld ein Betrag von 660 Euro im Monat. Da würde mancher Bezieher des Persönlichen Budgets zurückfallen. Nach Erkenntnissen des KVJS bewegt sich das Persönliche Budget zwischen 100 und 10 000 Euro monatlich.