Von allen Nazigrößen ist er die beunruhigendste Figur: Heinrich Luitpold Himmler. In Israel sind nun seine Briefe aufgetaucht. Das Beunruhigende an der Korrespondenz: sie gibt Einblicke in das völlig harmlose Privatleben des Massenmörders.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Von allen Nazigrößen ist er zweifellos die beunruhigendste Figur: Heinrich Luitpold Himmler, Jahrgang 1900, geboren und aufgewachsen in einer gutbürgerlich-katholischen, humanistisch geprägten Münchner Familie. Im Terrorregime der Nazis wird er Jahre später Stück für Stück zum zweitmächtigsten Mann hinter Adolf Hitler. Als Chef der SS, der Polizei und der Gestapo leitet er die Verfolgung und Vernichtung aller politischen Gegner im Land. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs bringt er maßgeblich die Vernichtung des europäischen Judentums auf den Weg. Und als im Juli 1941 die deutsche Wehrmacht die Sowjetunion überfällt, stürmen gleich in zweiter Reihe Himmlers Truppen ins Land, um einen beispiellosen Vernichtungsfeldzug gegen all jene zu beginnen, die in ihren Augen „Untermenschen“ waren. Himmler, eine völlig skrupellose Schreckensgestalt.

 

Himmler-Erbe im Besitz eines Holocaust-Überlebenden

Das noch heute zutiefst Beunruhigende an Himmler aber ist, dass er weder äußerlich noch innerlich unseren Vorstellungen eines Massenmörders entspricht. Dieser Eindruck wird nun noch verstärkt durch einen Fund an Privatbriefen und -bildern, den die Mediengruppe „Welt“ nach offenbar umfangreicher historischer Aufarbeitung seit dem Wochenende in einer Serie veröffentlicht. Nach Kriegsende ist das private Himmler-Erbe in den Besitz eines Holocaust-Überlebenden gelangt, aktuell lagert es in einem Banktresor in Tel Aviv. Die israelische Regisseurin Vanessa Lapa hat den Fund zur Grundlage eines Dokumentarfilms gemacht, der unter dem Titel „Der Anständige“ demnächst auf der Berlinale uraufgeführt wird.

Auch dieser Böse meint wohl ein Guter zu sein

„Ich fahre nach Auschwitz. Küsse, Dein Heini“. Diese Zeile aus einem Brief Himmlers an seine Frau liest sich heute ebenso bizarr, wie es der Anblick eines Familienfotos vom 27. Juni 1942 ist: das Ehepaar mit seinen drei Kindern beim Wochenendausflug, der Vater mit Wanderhut und Angelrute – ein Idyll. Wer das sieht, muss erkennen: auch dieser Böse meinte vermutlich, wenn er sich im Spiegel betrachtete, ein Guter zu sein. Darum war es ihm auch stets so wichtig, dass seine Schergen ihr Mordwerk überall „mit Anstand“ verrichteten. Nein, die Geschichte der Nazizeit muss nicht umgeschrieben werden. Man erkennt vielmehr, wie nah das Böse uns auch heute noch sein könnte.