Weil niemand erkannte, wie geschichtsträchtig das zweitälteste Haus in Filderstadt-Sielmingen ist, wurde es früher nicht fotografiert. Dass es an historischem Bildmaterial mangelt, bedauert das Stadtarchiv. Jetzt soll wenigstens ein Erklärschild ans Gemäuer.

Filderstadt - Neben der prächtigen, spätgotischen Martinskirche in Sielmingen befindet sich unter der Adresse „Bei der Kirche 17“ ein Gebäude, dessen Geschichte selbst viele Einheimische nicht kennen dürften. Das schlichte, unauffällige Wohnhaus ist einst eine Zehntscheuer gewesen, in welcher die Güter der württembergischen Grundherrschaft für Sielmingen gelagert worden sind.

 

Ähnlich einer Steuer mussten die Bauern in früheren Zeiten den zehnten Teil ihrer Feldfrüchte abliefern. Laut Jahresringuntersuchungen wurde das Gebäude anno 1534 erbaut und ist damit das zweitälteste Haus in Sielmingen. Nur die Kirche – erbaut im Jahre 1489 – ist noch älter.

Lange und bewegte Vergangenheit

Dass das Haus neben der Kirche eine lange und bewegte Vergangenheit hat, sieht man ihm heute kaum noch an. Einige kleine Hinweise darauf sind bei genauerem Hinschauen dennoch zu finden. Dazu gehört zum Beispiel das Nebeneinander von verblatteten und verzapften Aussteifungshölzern. „Das ist charakteristisch für die Übergangszeit von mittelalterlicher zu neuzeitlicher Bautechnik“, erklärt Filderstadts Stadtarchivar Nikolaus Back.

Bis ungefähr zum Beginn des 16. Jahrhunderts ist das verblattete Fachwerk im Südwesten von Deutschland die Regel gewesen. Später ist die Technik durch die Technik der Verzapfung abgelöst worden. Sichtbar wird diese Mischtechnik beim Blick auf den Rückgiebel der einstigen Sielminger Zehntscheuer. „Dazu passen die vollständig verzapft ausgeführten Giebelwände ebenso wie die offenkundig dekorative Gestaltung des straßenseitigen Sichtgiebels“, schildert Back.

An den Lehrer Griesinger verkauft

Nachdem die Zehntpflicht abgeschafft worden war, hat die Sielminger Zehntscheuer ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Im Jahr 1838 ist das Haus durch das Kameralamt Nellingen an den Lehrer Matthäus Griesinger verkauft worden. Griesinger, der sowohl in Harthausen als auch in Sielmingen Schüler unterrichtet hatte, baute das Gebäude in den Jahren 1839 und 1840 zu einem Wohnhaus um. Dazu wurde die Zehntscheuer in der Mitte geteilt. Dies gelang, indem Trennwänden aus konstruktivem Fachwerk eingefügt worden sind.

Der linke Teil blieb nach der Teilung Scheuer, während der rechte Teil zu einer Wohnung ausgebaut wurde. 1857 verkaufte Matthäus Griesinger das Haus an den Obersielminger Weber Gottlieb Schweizer, der mit seiner Frau Barbara und den Söhnen Gottlieb junior, Karl und Georg fortan darin wohnte. Seither trägt das Haus den Namen „Gottliebles“.

Im Jahr 1880 vermachte Gottlieb Schweizer das Wohnhaus seinen Söhnen. Das Haus ist nach wie vor im Privatbesitz zweier Familien.

Vielen dürfte das neu sein

Historisches Bildmaterial zur ehemaligen Sielminger Zehntscheuer gibt es im Übrigen nicht. Die älteste Aufnahme stammt aus dem Jahr 1990. „Das Haus wurde leider immer unterschätzt, so dass es frühere Heimatforscher auch nicht fotografiert haben“, erklärt Stadtarchivar Nikolaus Back. Da bislang auch kein Schild des historischen Rundweges an dem Gebäude angebracht ist, dürfte die Geschichte um die Zehntscheuer vielen Sielmingern völlig neu sein, vermutet Back. „Man sieht diesem Gebäude seine Historie überhaupt nicht an“, so der Stadtarchivar. 1990 wurde das Haus zuletzt renoviert.

Das Stadtarchiv von Filderstadt plant, demnächst ein Hinweisschild anzubringen. Es soll den Menschen aus dem Ort, aber auch von anders woher endlich erzählen, welche Historie mit dem unscheinbaren Haus neben der Kirche verbunden ist.