Das Reisen soll ein Ende haben. Wunderheiler Dr. Marrax lüftet den Zylinder, sagt „Ade“ und zieht sich auf ein Schloss zurück. Vorher allerdings tritt er beim Historischen Volksfest auf. Und bringt einige Gaukler mit.

Stuttgart - Der Doktor kommt. Ein Studierter ist er nicht. Aber dank seines „Pilverchens“ Marrax-O-Fax bekommt er ohne Blutvergießen Nägel aus dem Kopf, und jagt man sich ein Messer in den Arm, heilt er die Wunde im Handumdrehen. Ein Doktor halt. So grüßen ihn die Feuerbächer. Gerhard Max Matheis (65) heißt er eigentlich, doch seit 36 Jahren ist er vor allem als Gaukler und Wunderheiler Dr. Marrax unterwegs.

 

Gelernt hat er die Schwarze Kunst. Schriftsetzer war er, einer der letzten, die mit Buchstaben aus Blei die Setzkästen gefüllt haben. Lange hat er geschafft in seinem Lehrberuf, als Zauberer war er ein Spätberufener. Eine Anzeige in der Zeitung hat seine Neugier geweckt. Da war das Bild eines Entfesselungskünstlers zu sehen, der an den Füßen gefesselt an einem Hubschrauber hing. Werbung war’s für den Laden von Manfred Thum in Nufringen (Kreis Böblingen), der vertreibt Zauberbedarf. Dort bestellte Matheis Sachen, probierte die Tricks bei seinen Kumpels am Stammtisch aus. Mit seinem ersten Auftritt begeisterte er gleich sein Publikum. In einem besetzten Haus an der Wannenstraße in Heslach kletterte er auf ein Gerüst, und tatsächlich, „die Punks waren aus dem Häuschen“. Vor allem darüber, dass er aus einer leeren Kiste sieben Flaschen Bier zauberte.

Erster Auftritt mit einem Pony, das rechnen kann

Der 16. Dezember 1981 war dann aber der tatsächliche Start seiner Karriere als Magier. Im Künstlerhaus an der Filderstraße spielte Wolfgang Dauner Klavier, Anne Haigis sang, ein Pony vom Circus Bonanza rechnete – und Magic Max zauberte. „Da bin ich noch im Konfirmandenanzug aufgetreten“, erinnert sich Matheis. Mit Teekannenwärmer auf dem Kopf. Nicht im leicht zerzaustem Frack und Zylinder wie heute. Noch etwas war anders: Er redete kaum. „Ich hatte zehn Tricks, die waren in zehn Minuten rum.“ Zunächst tat er sich mit Tommy Geiger alias Magada zusammen, „da konnten wir schon 20 Minuten füllen“. Schwätzen konnte er schon immer, erst allmählich lernte er aber, auf der Bühne zu reden. „Wenn man ein Etikett für mich sucht, dann passt Volksschauspieler am besten.“

In diese Rolle schlüpfte er endgültig, als er 1989 begann, mit Signora Tre Face, Frascatelli und Shri Magada durch die Land zu ziehen. Mit Traktor und Zirkuswagen reisten sie durch Süddeutschland, belebten die uralte Tradition der Gaukler wieder. Bevor sie kamen, riefen sie beim Bürgermeister an, fragten, ob sie ihren Wagen auf ein Stückchen Wiese oder auf einem Parkplatz abstellen durften. So ließen sie sich treiben. Und zwar lange bevor die Historischen Jahrmärkte wieder in Mode kamen.

In der Tradition des Dr. Eisenbart

In der Tradition eines Dr. Eisenbart entwickelte Matheis seinen Dr. Marrax. Ein Gelehrter der Straße, ein Quacksalber mit magischen Händen, Salben und „Pilverchen“, der mit seinem Mischmasch aus Böhmisch, Schlesisch, Donauschwäbisch, Jiddisch wie Marcel-Reich-Ranicki klingt. Was ist Illusion, was ist unfassbar, aber wahr?

Dr. Marrax ist nicht nur ein Gaukler, er ist auch ein Zauberer. Ein richtig guter. Obschon er in keine Schublade passt mit seiner Kunstfigur, hat er zahlreiche Titel gesammelt. Deutscher Meister war er in der Sparte Sprachzauberei, in Japan war er Dritter bei den Weltmeisterschaften bei den Comedy Magicians. Englisch, Spanisch und Französisch spricht er ohnehin, für den Auftritt dort hat er sich auch einige Brocken Japanisch beigebracht. „Dann bin ich größenwahnsinnig geworden.“ Bei der WM 2003 in Den Haag versuchte er sich bei den Großillusionen. Zwölf Leute stellte er auf die Bühne, meist Kollegen vom magischen Zirkel, jener Gilde der Magiere. Darunter auch Roxanne, die Frau von Topas, „als Bauernmädle“. Ein Theaterstück hatte er geschaffen, auf dessen Höhepunkt er einem Mann den Kopf absägt. Der Kopf fällt – und sitzt bald wieder auf dem Hals. Der Trick dabei: „Ich hatte ein eineiiges Zwillingspärchen aufgetrieben.“

Der Größenwahn verflog, und Dr. Marrax widmete sich wieder der Gaukelei. Und das mit so viel Herzblut, dass er mit dem Kollegen Radalou ein Standardwerk über die Straßenzauberei schrieb . „Anlocken – Fesseln – Abkassieren“, heißt es. Kein Wunder, dass die Veranstaltungsgesellschaft in.Stuttgart Matheis um Hilfe gebeten hat. Fürs Historische Volksfest bringt er das Fahrende Volk auf den Schlossplatz. Es gibt keinen aus diesem Metier, den er nicht kennt. Nicht fehlen darf sein alter Freund Gilbert. Eine Legende unter den Straßenkünstlern. Mit 13 Jahren trat er erstmals als Gaukler in Paris auf. Sein Stammplatz war vor dem Centre Pompidou, seine Nummer als Automatenmensch machte weltweit Furore. Fakir Jadoo kann über Scherben laufen, Feuer essen und Voodoo. Georges Christen zerreißt Telefonbücher und verbiegt Hufeisen. Paul Klain lässt Ringe und Glaskugeln tanzen.

Nun geht es aufs Schloss

Klain ist übrigens Matheis’ Sohn. Und übernimmt so den Staffelstab. Denn Dr. Marrax will seinen Zylinder an den Nagel hängen. Anfang 2019 wird er aufs Schloss Brölin nahe Stettin ziehen. Dort betreibt ein Verein ein Produktionszentrum für Künstler. Mehrmals war Matheis schon dort, „jetzt richte ich mir gerade mein Zimmer ein“. In Rente geht er, will sich ganz seinen Collagen widmen. Der Doktor geht.