Im Kampf gegen das Hochwasser erweisen sich Facebook, Twitter und Co. als nützliche Instrumente. Hier werden nicht nur Einsätze, Unterkünfte und Spenden koordiniert.

Stuttgart - Das Hochwasser in Ost- und Norddeutschland bringt Menschen zusammen, die sich sonst nie begegnet wären: zum Beispiel Männer der Freiwilligen Feuerwehr aus Hamburg, die in der Lüneburger Heide Sandsäcke stapeln, oder Helfer aus dem Ruhrgebiet, die in Magdeburg mit anpacken wollen. Wie auch schon vor elf Jahren, bei der vorherigen großen Elbeflut, ist die Solidarität groß.

 

Diesmal brechen die Dämme jedoch zum ersten Mal im Zeitalter der sozialen Medien – und die lösen eine völlig neue Art der Anteilnahme aus. Überall, wo der Pegel steigt, sprießen in Facebook die Hilfegruppen. Die User unterstützen sie, indem sie „Gefällt mir“ klicken und Inhalte teilen. So kommt es in dem sozialen Netzwerk zu der absurden Formulierung „39 000 Personen gefällt Hochwasser Niedersachsen“. Wie viele andere Seiten gibt diese die aktuellen Pegelstände durch, postet Hilfsgesuche, Kleiderspenden und den Dank von Betroffenen. Andere Seiten zeigen auf, wo Tiere untergebracht werden können, organisieren Mitfahrgelegenheiten für Fluthelfer oder Notunterkünfte.

Zum Beispiel die Seite von Verona Schäfer. Unter „Hochwasser 2013 Notunterkunftsbörse“ vermittelt sie Wohnungen an Betroffene, die ihr Zuhause verlassen mussten. „Die Vorstellung, dass Familien mit Kindern sich tagelang in Turnhallen aufhalten müssen, fand ich schlimm“, sagt die Kinderfotografin aus Magdeburg. Sie ist überzeugt: „Hätte es Facebook nicht gegeben, wäre Magdeburg bestimmt untergegangen.“

Plötzlich kann jeder mitanpacken, er weiß ja, wo es nötig ist

Mit dieser Meinung ist sie nicht allein, wie zahlreiche Einträge auf den Hochwasserseiten zeigen. Durch die Organisation im Internet seien im Vergleich zu 2002 nicht nur viel mehr freiwillige Helfer gekommen, sie seien durch Internet und Smartphones zum Teil auch besser informiert gewesen als manch offizieller Hilfstrupp, sagt Verona Schäfer. „Die Leute am Damm hatten die Infos aus der Krisenstabs-Pressekonferenz schon, da wussten es die Einsatzleiter noch gar nicht.“

Die sozialen Medien fördern Interaktion und Zusammenarbeit im Internet, der Sammelbegriff dafür ist Web 2.0. In den Hochwassergebieten entsteht so eine neue Form der Teilnahme an der Flut. Plötzlich kann jeder mit anpacken, er weiß ja, wo er gebraucht wird. Fluthilfe 2.0 sozusagen. Statt die Bilder zeitverzögert in Zeitung oder Fernsehen zu sehen, gelangen die Nachrichten von Dammbrüchen und Hilfsgesuchen in Echtzeit über Facebook und Twitter zu den Menschen.

„Wenn man live liest, da könnte ein Damm brechen, bewegt das auch mehr zur Mithilfe“, sagt Sven Mildner. Als die Flut nach Dresden kam, sammelte er Informationen aus den sozialen Medien und bündelte sie auf einer interaktiven Karte der Stadt auf Google. Wer sie aufrief, erfuhr, wo Straßen gesperrt sind, wo Sandsäcke befüllt werden oder Spenden abgegeben werden können. Mittlerweile wurde die Seite 3,8 Millionen Mal angeklickt, verschiedene Universitäten haben schon bei ihm angeklopft. Sie wollen erforschen, wie solche interaktiven Karten die Hilfe im Katastrophenfall steuern können. Auch das sächsische Innenministerium habe bereits angefragt, sagt der Informatiker Mildner. Für ihn ist es ein Modell für die Zukunft, vorausgesetzt, die öffentlichen Stellen übernähmen es. Hier sieht Mildner noch große Defizite. Für Informationen fragte er bei der Stadt, beim Roten Kreuz und bei der Feuerwehr an, erhielt aber keine Antwort. „Der Informationsfluss war gleich null“, klagt er.

Ungenaue Angaben und veraltete Gesuche helfen nicht weiter

Auch Verona Schäfer kam bei den Behörden nicht weiter, „die hatten mit anderen Sachen zu tun“, vermutet sie. Eine Sprecherin des Technischen Hilfswerks bestätigt das. Um die Kanäle in Facebook und Twitter „im großen Maß“ betreiben zu können, fehle im Moment einfach das Personal. Man stehe der Organisation über soziale Medien positiv gegenüber, „aber es ist schwierig, das zu kanalisieren und zu bündeln“. In einigen Fällen habe sich die Fluthilfe über das Netz verselbstständigt.

Unmut gibt es unter den freiwilligen Helfern immer wieder wegen Falschmeldungen, ungenauer Angaben oder nicht aktualisierter Gesuche. „Deichbruch in Rathenow oder so“, schreibt eine Nutzerin. Ein Helfer aus Gelsenkirchen findet es „nicht mehr witzig, bei einer ‚Falschinformation’ loszufahren, vier Stunden unterwegs zu sein und dann zurückgeschickt zu werden“. Verona Schäfer sagt, mancherorts seien es eben einfach zu viele Helfer gewesen. „Aber besser zu viele als zu wenige.“

Bei so vielen Freiwilligen kann schnell der Überblick verloren gehen. Auch hier wissen sich die Leute auf Facebook zu helfen. Die ersten Flut-Kontaktbörsen sind bereits online. Wer am Deich jemanden gesehen hat, den er gerne wieder treffen würde, meldet sich dort. In der Gruppe „Fluthelfer Dresden gesucht & gefunden“ beispielsweise schreibt eine Frau: „Du warst gestern 0 Uhr an der Hechtstraße, ich habe den Sack aufgehalten, du hast geschaufelt. Männlich ca. 1,80m, blonde Haare, schwarze Brille, rote Jacke. Bitte melde dich!!!“