Innovative Hochnachfolge in Ingersheim: Ein Betrieb im Kreis Ludwigsburg wandelt sich zum WirGarten mit solidarischer Direktvermarktung.

Was früher auf wenigen Schultern ruhte, wird künftig auf vielen verteilt sein: Die Verantwortung für eine große, familiengeführte Gärtnerei in Ingersheim. Sie wird nun zur Genossenschaft mit zusätzlicher solidarischer Direktvermarktung: Der WirGarten Ludwigsburg. Von Januar 2024 an können Mitglieder der Genossenschaft ein Jahres-Abo für frisches Gemüse aus dem eigenen WirGarten bekommen.

 

Der Demeter-Betrieb Willmann ist in der Region kein Unbekannter. Bereits 1952 gründeten die Großeltern des heutigen Inhabers Tobias Willmann die Gärtnerei in Vaihingen an der Enz. 1972 erfolgte der Umzug an den Standort in Ingersheim. Das Besondere: Von Beginn in den 1950er-Jahren an war die Gärtnerei ein Demeter-Betrieb und gehörte damit zum ältesten Bioverband in Deutschland. Aufgrund der biodynamischen, lebendigen Kreislaufwirtschaft gilt die Demeter-Landwirtschaft als nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung und geht weit über die Vorgaben der EU-Öko-Verordnung hinaus.

Einer der ersten Demeter-Betriebe der Region

Die Familie Willmann gehörte zu den ersten Demeter-Betrieben in der Region – „und wir haben das konsequent durchgezogen“, sagt Tobias Willmann heute. Die Großeltern haben den Betrieb in Ingersheim auf der grünen Wiese aufgebaut, der Vater hat ihn weiter entwickelt – mit viel Herzblut und unter ganz erheblichem Arbeits- und Kapitaleinsatz. „Das finanzielle Risiko war enorm“, so Tobias Willmann.

Entstanden ist ein moderner Gemüsebaubetrieb mit rund 40 Mitarbeitern, 20 Hektar Gemüseanbau, circa einem Hektar Glas- und Folienhäusern, fünf Hektar Wiesen und Gründüngung, sowie Feldhecken, Wegen und Kompostplätzen. Alles in allem werden rund 26 Hektar bewirtschaftet. Hinzu kommen ein Hofladen, der jüngst in die Ortsmitte von Ingersheim zog sowie ein Wochenmarktstand in Bietigheim-Bissingen.

Angebaut wird bei Willmanns „so ziemlich alles, was man sich unter Gemüse vorstellen kann“, wie es Tobias Willmann ausdrückt: verschiedene Salatsorten, Tomaten, Paprika, Kohlrabi, Kräuter, Zwiebeln, Spinat, und, und, und . . .

Für Tobias Willmann, der heute 40 Jahre alt ist, war allerdings immer klar, dass er den Betrieb nicht übernehmen wird. Er wurde Maschinenbauingenieur und war in der Automobilbranche tätig. Als sein Vater 2017 einen Schlaganfall erlitt, leitete der damals 34-Jährige von heute auf morgen eine Gärtnerei. Was bezüglich der wirtschaftlichen und organisatorischen Themen keine allzu große Sache war, aber „mir fehlt halt das Gärtnerische, auch, wenn ich damit aufgewachsen bin“.

„75 Prozent aller Gemüsebaubetriebe haben keine gesicherte Nachfolge.“

Schon bevor der Vater gesundheitlich nicht mehr konnte, war die Familie Willmann auf der Suche nach einem Nachfolger. Die sich nicht einfach gestaltete, was nicht unüblich ist. „75 Prozent aller Gemüsebaubetriebe haben keine gesicherte Nachfolge“, weiß Mona Knorr, Vorständin bei WirGarten aus Lüneburg. Um dem Höfesterben entgegen zu wirken, entwickelte der Verein aus Norddeutschland ein Social-Franchise-System. Damit werden Landwirte unterstützt, ein funktionierendes Geschäftsmodell mit modernen Arbeitsbedingungen im Gemüsebau umzusetzen – als Gründung, Hofnachfolge oder in einem bestehenden Betrieb. 2015 wurde Wir Garten gegründet, 2017 ist die WirGarten Lüneburg eG als Pilotbetrieb an den Start gegangen.

Auf der Suche nach weiteren Partnern kamen WirGarten und Tobias Willmann zusammen. Seit Herbst 2022 erarbeiten Tobias Willmann und sein Geschäftspartner Daniel Laidig gemeinsam mit Mona Knorr und Matti Pannenbäcker vom WirGarten das Konzept für die Hofnachfolge der Gärtnerei hin zu einer WirGarten-Genossenschaft. Von Januar 2024 an soll es losgehen. Der Betrieb wird in eine Genossenschaft transformiert, das Team der aktuellen Gärtnerei wird erhalten, allerdings wird noch ein Führungs-Duo gesucht.

Auch der Hofladen und der Marktstand bleiben, hinzu kommt die solidarische Direktvermarktung. Jeder kann Mitglied der Genossenschaft werden, von ihrem Beitrag werden die Investitionen gezahlt, dafür bekommen sie einen wöchentlichen Ernteanteil nach dem Prinzip der solidarischen Landwirtschaft: Kosten und Ernte teilen – und so das Ganze auf nicht nur einer, sondern auf ganz vielen Schultern zu verteilen.

So funktioniert das WirGarten-System

Mitglieder
 Die Mitglieder der Genossenschaft sind gleichzeitig Miteigentümer: ihrer eigenen Gemüsegärtnerei. Dazu gehört auch die Mitbestimmung bei Grundsatzentscheidungen und ein Stimmrecht bei der Wahl von Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft.

Kosten
 Die genauen Preise für das Ingersheimer Projekt sind noch nicht festgezurrt. Beim WirGarten in Lüneburg ist es so, dass die Mitglieder beispielsweise für mindestens 100 Euro Genossenschaftsanteile kaufen und dann für 42 bis 56 Euro pro Monat jede Woche circa zwei Kilo Gemüse bekommen. Möglich sind aber auch Anteile von mindestens 250 Euro. Dann gibt’s für den Monatsbeitrag von 105 bis 141 Euro wöchentlich fünf Kilo Gemüse. Die Preise variieren je nach Witterung und der finanziellen Situation des Mitglieds.