Der Verein Heim statt Tschernobyl baut für Menschen mit Behinderung eine Werkstatt und startet eine Kooperation mit den Gemeinnützigen Wohn- und Werkstätten im Kreis. Für ein Workcamp in diesem Jahr werden noch Freiwillige gesucht.

Holzgerlingen - Tschernobyl? Da war doch was! Manchen ist die Reaktorkatastrophe von 1986 kaum mehr in Erinnerung. Damit hat auch der Verein Heim statt Tschernobyl zu kämpfen, dessen Geschäftsführerin Edeltraut Schill in Holzgerlingen wohnt und dort ihr Büro betreibt. Seit 20 Jahren hilft sie mit ihrem Mann und anderen Mitstreitern aus dem ganzen Bundesgebiet, den Menschen unweit des verstrahlten Gebiets das Leben zu erleichtern.

 

Freiwillige haben 59 Häuser errichtet

59 Häuser aus Lehm und Schilf haben die Aktiven des Vereins nach der Umsiedlung der Betroffenen errichtet. Nun wollen sie auch behinderten Menschen eine Zukunft ermöglichen. Zurzeit wird an einer Werkstatt für körperlich und geistig Behinderte gebaut. Das Knowhow für die Einrichtung wird aus Deutschland kommen: von den Behinderteneinrichtungen der Gemeinnützigen Wohn- und Werkstätten (GWW) im Kreis.

„Die Reaktorkatastrophe ist in Deutschland weitgehend aus dem Blickfeld gerückt“, bedauert Christof Schill. „Viele fragen uns: was macht ihr eigentlich dort noch?“ Auch innerhalb des Vereins, der bundesweit 140 Mitglieder zählt und einen Freundeskreis von rund 5000 Unterstützern hat, ist es bisweilen schwierig, genügend Teilnehmer für die jährlich stattfindenden Workcamps zu finden. „Es gibt spannendere Länder als Weißrussland“, sagt Edeltraut Schill. Die Leute würden lieber in anderen Gegenden der Welt ihren Urlaub verbringen. Die Folge: In diesem Jahr fehlt noch fast die Hälfte der geplanten Reisegruppe, die im Sommer nach Drushnaja fährt, um dort die Wohnhäuser im Norden Weißrusslands mit Schilfplatten zu dämmen und zu verputzen. Damit die Bewohner im Winter nicht so viel heizen müssen und nicht frieren.

Die Betroffenen haben immer noch Leid zu tragen

Die Menschen dort haben nach wie vor mit Krankheiten zu kämpfen, „von denen sie nicht wissen, woher sie kommen“, berichtet Christof Schill. Etwa mit Stoffwechselkrankheiten. Vermutlich sind es die Spätfolgen des Super-Gaus. Zwei Kinder einer Familie sind jüngst gestorben. „Vor deren Geburt war der Vater bei Aufräumarbeiten in dem verstrahlten Gebiet dabei“, weiß Christof Schill. Für die Schills, die seit 20 Jahren dem Verein angehören, ist klar: Den Betroffenen muss auch weiterhin geholfen werden.

Der Bau von kleinen, bescheidenen Wohnhäusern für die Umsiedler in Stari-Lepel und Drushnaja ist abgeschlossen. Der Verein hat sich ein neues Ziel gesteckt: Menschen mit Behinderungen zu unterstützen. „Sie werden in Weißrussland so behandelt wie bei uns in Deutschland vor 50 Jahren“, sagt Christof Schill. Integration ist dort noch ein Fremdwort. In Lepel, ebenfalls ein Ort im nördlichen Weißrussland, ist im vergangenen Jahr der Rohbau für eine Behindertenwerkstätte fertigstellt worden. Christof Schill fungierte als Bauleiter. 50 Menschen mit Behinderung sollen dort einmal eine Beschäftigung finden. Weißrussische Sozialarbeiter, die sie betreuen, werden im September bei der GWW ein Praktikum absolvieren, um zu erfahren, wie der Betrieb mit Behinderten funktioniert.

Aufträge von einer Möbelfirma und einer Zimmerei

25 000 Euro hat der Verein durch Spenden für die Werkstatt als Startkapital aufgebracht. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung steuert laut Edeltraut Schill 225 000 Euro bei. Die Einrichtung will sich wie die GWW im Kreis Böblingen um Firmenaufträge kümmern. „Der Sozialdezernent von Lepel hat weißrussische Unternehmen angeschrieben und auch schon Zusagen erhalten“, berichtet Christof Schill. Darunter befindet sich eine Möbelfirma und eine Zimmerei, die einfache Arbeiten an die Werkstatt vergeben möchte.

Frauen und Männer aller Berufsgruppen sind willkommen

Hilfsorganisation
: Dietrich und Irmgard von Bodelschwingh gründeten den gemeinnützigen Verein Heim-statt Tschernobyl im Jahr 1990. Er unterstützte Familien bei der Umsiedlung aus den durch die Reaktorkatastrophe kontaminierten Gebieten Weißrusslands in ein nicht-kontaminiertes Gebiet im Norden. Seit 1991 baute der Verein Häuser. Jährlich fahren im Sommer ganze Gruppen freiwilliger Helfer aus Deutschland für drei Wochen nach Weißrussland. Sie helfen bei Projekten im nicht-kontaminierten Norden und arbeiten mit betroffenen Familien und Behörden zusammen. Zum Konzept gehört eine ökologische und energiesparende Bauweise. Der Verein ist Träger des Marion-Dönhoff-Förderpreises des Energy Globe National Awards.

Workcamp
: Bei dem diesjährigen Einsatz in Drushnaja in Weißrussland geht es darum, die errichteten Häuser zu erhalten und eine Wärmedämmung vorzunehmen. Willkommen sind Männer und Frauen aus allen Berufsgruppen. Teilnehmen kann jeder (Mindestalter 18 Jahre). Das Workcamp findet vom 27. Juli bis 16. August statt. Für die Unterkunft sind 50 Euro zu entrichten, 300 Euro für Fahrt und Verpflegung. Anmeldungen werden bis zum 10. Mai unter der E-Mail-Adresse kontakt@heimstatt-tschernobyl.org oder unter der Telefonnummer 0 70 31/41 42 69 entgegengenommen. Am 2. Juni ist ein Vortreffen in Holzgerlingen geplant.