Nach einem Spiel des VfB Stuttgart soll ein 18-Jähriger eine Parkhausschranke auf einen Polizeibeamten geworfen haben. Dem Fan wird versuchter Totschlag vorgeworfen. Vor Gericht schildert er sein Leben, in dem bisher alles in geregelten Bahnen lief.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Es sind Geschichten aus zwei Welten, die so gar nicht zusammenpassen wollen, welche am Dienstag im Sitzungssaal 6 am Landgericht vor der Jugendkammer zu hören sind. Die eine Welt ist die der Hooligans, gewaltbereiter Fans, die im März dieses Jahres nach einem VfB-Spiel zwei Polizisten brutal angegriffen haben. Die andere ist die des Mannes auf der Anklagebank: die eines 18-Jährigen mit gutem Abi, der in der Grundschule eine Klasse übersprungen hat, im Kirchenchor singt und noch zuhause wohnt.

 

Er soll an einer Attacke auf zwei Beamte der Hundeführerstaffel beteiligt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vor – ihm, dem heimatverbundenen Christen, der die Gottesdienste der neuapostolischen Gemeinde besucht, dem Studenten, der sich für Philosophie eingeschrieben hatte, sich nun aber für den Studiengang Gesundheits- und Tourismusmanagement entschieden hat.

Die Anklageschrift zeichnet ein Bild der Nacht des 6. März nach, das in der nüchternen Juristensprache nur ahnen lässt, welch dramatische Stimmung damals rund um das Fußballstadion herrschte. Der VfB Stuttgart empfängt um 20.30 Uhr Hertha BSC Berlin. Schon vor Spielbeginn geht es aggressiv zu. Der 18-Jährige, der sich in der Spielzeit 2014/2015 sogenannten Problemfans anschloss, soll in einer Gruppe gegen 19.30 Uhr versucht haben, Hertha-Fans anzugehen – die Polizei geht dazwischen, schneidet den Hooligans den Weg ab. Der Student schleudert wütend einen Metallmülleimer gegen ein ziviles Polizeiauto, um zu verhindern, dass die Beamten darin den Mob filmen, so die Anklage.

300 Vermummte treiben Polizisten in die Enge

Nach dem Spiel soll der 18-Jährige mit von der Partie gewesen sein, als zwei Polizisten von einer Meute mit 300 Vermummten in der Eisenbahnstraße in die Enge getrieben werden – und sich nur noch mit einem Schuss in die Luft zu helfen wissen, der Verstärkung auf den Plan ruft.

Laut der Anklage ist der Vorfall folgendermaßen abgelaufen: Die Hooligans, vermummt und wütend, wollen den Hertha-Fans nachstellen, die mit befreundeten Fans des Karlsruher SC von der Polizei zum Cannstatter Bahnhof geleitet werden. Es passt den Hooligans nicht, dass ihnen der Weg abgeschnitten wird. In einer Nebenstraße drängen sie zwei Polizeihundeführer in die Enge. Sie werfen mit Steinen und Flaschen auf die Beamten. Ein 3,8 Kilo schwerer Pflasterstein verfehlt den Kopf des einen Polizisten nur knapp. Er wird von einer Schranke getroffen, die der Angeklagte zuvor an einem Parkhaus abgerissen haben soll und nun auf den Kopf des Hundeführers wie einen Speer wirft – 1,40 Meter lange, drei Kilo schwer. Seinen Kollegen erwischt ein Schotterstein am Kopf. Der eine Polizist legt sich auf den Boden, schützend über seinen Hund. Der andere greift zur Waffe, schießt in die Luft. Die Angreifer scheint das nicht sonderlich zu beeindrucken, berichten Polizisten, die Videoaufnahmen der Szene kennen.

Selbst ein Warnschuss stoppt den wütenden Mob nicht

Auch mit Hilfe dieser Aufzeichnungen kommen die Ermittler dem 18-Jährigen Böblinger auf die Spur. Am 18. März nehmen sie einen Mann fest, der von sich sagt, er habe seine Heimat in der Kirchengemeinde, in der sein Vater früher predigte. Ein junger Mann, der erzählt, dass er nach der Konfirmation zu Jugendtagen seiner Glaubensgemeinschaft fuhr, und dass er nach dem Abi kein Auslandsjahr machen wollte, weil er doch so an seiner Heimat hängt – das ist die andere Welt, die so gar nicht nach Massenschlägereien und Hetzjagden auf gegnerische Fans klingt.

Ein ausgeglichen wirkender Mensch, der in der Untersuchungshaft Besuch von Ehrenamtlichen seiner Kirchengemeinde bekommt. Der sogar von der Richterin im Ehrgeiz gebremst wird, als er sagt, er sei jetzt mit dem Studienanfang schon drei Semester hinterher. „Sie haben mit 17 Abi gemacht und sind jetzt 19, machen Sie sich da mal keinen Druck“, sagte sie. Der einzige Riss in der Biografie ist die Trennung der Eltern vor vier Jahren, die dem Heranwachsenden zu schaffen machte. Das Verfahren wird am Donnerstag, 1. Oktober, fortgesetzt. Dann will sich der Angeklagte zu den Tatvorwürfen äußern.