Von der Stuttgarter Zentrale im Hotel Silber aus wurden Tausende von Menschen verfolgt – die Geschichte der Gestapo in Württemberg und Hohenzollern gibt es jetzt als Buch. Der Band der Autoren Roland Maier, Sigrid Brüggemann und Ingrid Bauz ist vom 19. Dezember an in Buchhandlungen erhältlich.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Nach langen Debatten wird das Gebäude der früheren Geheimen Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern – das Hotel Silber – erhalten bleiben und in absehbarer Zeit zur Gedenk- und Bildungsstätte umgebaut. Doch was genau ist eigentlich zwischen 1933 und 1945 hinter den Mauern der Dorotheenstraße 10 geschehen? „Bei vielen Veranstaltungen zum Hotel Silber hat man gemerkt, dass kein fundiertes historisches Wissen vorhanden war“, sagt Ingrid Bauz, die mit Roland Maier und Sigrid Brüggemann regelmäßig Führungen durch das nationalsozialistische Stuttgart anbietet; im Team haben sie schon viele regionalgeschichtliche Studien erarbeitet.

 

Das Trio beschloss deshalb vor drei Jahren, die Geschichte der Gestapo in Württemberg und Hohenzollern zu erforschen – jetzt liegt das Buch vor, vom 19. Dezember an ist es in den Buchhandlungen erhältlich. Das Haus der Geschichte hat, ebenfalls im Rahmen der Diskussionen um das Hotel Silber, vor wenigen Monaten eine aufwendige Website unter www.geschichtsort-hotel-silber.de freigeschaltet. Daneben gibt es kaum Forschungsarbeiten über die Gestapo in Stuttgart – was Ingrid Bauz, Roland Maier und Sigrid Brüggemann geleistet haben, ist also Pionierarbeit. Sie ist im Übrigen ehrenamtlich erfolgt; trotz einiger Fördergelder haben die drei sogar draufgelegt.

Die „Schutzhaft“ war der Hebel zur Willkürherrschaft

Die Macht der Gestapo war auch in Württemberg beinahe umfassend; das zeigt das neue Buch, zu dem auch Jens Kolata, Ralf Bogen und Sarah Kleinmann Kapitel beigesteuert haben. Spätestens ab 1938 besaß die Gestapo quasi das Monopol auf den Terror im Innern: Über den Hebel der „Schutzhaft“ konnte sie jede Person auf unbestimmte Zeit festsetzen. Dabei wurde die Justiz umgangen. Trotz mancher Proteste der Staatsanwälte hob die Gestapo Urteile auf und führte Exekutionen durch, ohne die Justiz auch nur zu informieren.

Daneben war die Gestapo ein Krake. Es habe viele Erlasse gegeben, die aber nie veröffentlicht wurden, sagt Roland Maier; so habe man in anderen Ämtern bewusst die Unsicherheit darüber geschürt, was die Gestapo durfte und was nicht. Erschreckend war für die Autoren, dass es dieser Erlasse kaum bedurft hatte: Arbeitsämter, Fürsorgeämter oder Ministerien gaben bereitwillig Auskunft und Unterstützung, wenn die Gestapo anfragte. „Der Übergang im Jahr 1933 verlief reibungslos“, sagt Sigrid Brüggemann: „Nach zwei Monaten hatten die Nazis in Stuttgart alles im Griff.“

Schon in der Weimarer Republik gab es eine Politische Polizei

Das lag vielleicht auch an der Tradition der Politischen Polizei in Württemberg. Für die Autoren war überraschend, dass schon in der Weimarer Republik viele vermeintliche Staatsgegner bespitzelt worden waren; der Keim der Furcht vor dieser Polizei war in der Bevölkerung also schon vor 1933 angelegt. Die Nazis haben dies genutzt und die Politische Polizei verstärkt: von 60 Mitarbeitern in der Weimarer Republik stieg das Personal auf letztlich 300 Personen, verteilt auf mehrere Zweigstellen in Württemberg. Ausgetauscht wurden 1933 nur die Chefs – das Gros der Mitarbeiter blieb unverändert.

Letztlich muss man angesichts dieser recht geringen Personalstärke von einer furchtbaren Effektivität der Gestapo auch in Württemberg sprechen. Roland Maier scheut sich, Opferzahlen zu nennen, weil man sie nicht kennt. Aber allein durch das Lager Welzheim, das ab 1941 auch der reguläre Exekutionsort der Gestapo war, seien bis zu 15 000 Menschen gegangen. Und es gab es weitere Gefängnisse sowie Schutzhaft- und Arbeitserziehungslager im Land.

Eine Frau hat sogar ihren eigenen Ehemann denunziert

Diese Effektivität lag nach Ansicht der Autoren auch am großen Denunziationseifer der Bevölkerung. So ist Ingrid Bauz bei ihren Recherchen für die Stolperstein-Initiativen auf eine Frau aus Zuffenhausen gestoßen, die ihren Mann, der „Halbjude“ war, denunzierte – als Rache dafür, dass er fremdgegangen war. Der Mann starb in Welzheim. Bisher noch ganz unerforscht seien dabei die Denunziationen aus Betrieben heraus, sagt Maier: „Viele sind in Arbeitserziehungslager gekommen, weil die Betriebsleitung sie angeschwärzt hat.“

Die Gestapo hatte sich nach ihren Gegnern organisiert; sie verfolgten gleichermaßen Kommunisten und Sozialdemokraten, Widerstandskämpfer, Pfarrer, Zeugen Jehovas, Juden, Homosexuelle, „Arbeitsscheue“ und „Asoziale“ sowie die große Gruppe der Zwangsarbeiter. Doch trotzdem ist es den Autoren des Buches wichtig zu betonen: Der einzelne Mensch habe Entscheidungsspielräume gehabt, innerhalb und außerhalb der Gestapo. So sei den Richtern, die gegen die Willkür der Gestapo protestiert hatten, nie etwas passiert. Und es habe unter den Mitarbeitern der Gestapo sogar Helden gegeben, wie Robert Storz. Der Kriminalobersekretär hat Klöster gewarnt, bevor sie durchsucht wurden; er hat Verfahren an sich gezogen, um deren Ausgang positiv zu beeinflussen, und er hat sich mäßigend eingesetzt, als es im Hotel Silber Übergriffe gegen Ausländer gab.

Das Buch selbst bietet eine Fülle an Details, es ist übersichtlich im Aufbau und gut lesbar. Trotzdem konnten die Autoren nicht alles leisten, was wünschenswert gewesen wäre: Die Geschichte der Außenlager Kniebis, Oberndorf oder Rudersberg bleibt vorerst ungeschrieben; und auch die Liste der vielen tausend Opfer der Gestapo in Württemberg und Hohenzollern ist noch lange nicht erstellt.

Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern.
Hg. von Ingrid Bauz, Sigrid Brüggemann und Roland Maier. Schmetterling Verlag Stuttgart, 478 Seiten, 29,80 Euro (Verkaufsstart: 19. Dezember).