Im Südwesten gründeten 160 Nazis kurz nach Kriegsende eine geheime Werwolf-Organisation. Sie zielte darauf ab, den Mitgliedern eine neue Identität zu geben und sie mit Bargeld zu versorgen. Nach neun Monaten zerschlugen die Amerikaner „Elsa“.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Heinrich Himmler, der Reichsführer der SS, hatte vorgesorgt für den Fall, dass die militärische Niederlage nicht mehr abgewendet werden konnte: „Werwölfe“ sollten vom Herbst 1944 an hinter den feindlichen Linien Sabotageakte verüben und die deutsche Bevölkerung davon abhalten, mit den Alliierten zusammenzuarbeiten. Zu all dem kam es nur in sehr begrenztem Maße. Aber enorm wirkmächtig war die Freischärler-Organisation „Werwolf“ dennoch. Denn die amerikanischen Truppen überschätzten diese Untergrundbewegung, fürchteten sie und rechneten jederzeit mit Angriffen auf deutschem Gebiet. Bis heute lebt dieser gefährliche Mythos und fällt bei rechtsradikalen Gruppen auf fruchtbaren Boden.

 

In Württemberg dagegen verlief die Geschichte der Werwolf-Organisation ganz anders – das haben Sarah Stewart und Friedemann Rincke vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg jetzt recherchiert. Bisher wusste man recht wenig über „Elsa“, wie sich die 160 Personen starke Gruppe nannte. Die Unterlagen in den National Archives in Washington sind nun, wie Stewart und Rincke sagen, erstmals detailliert ausgewertet worden. Viele Erkenntnisse in den amerikanischen Dokumenten stammen vor allem von einem Überläufer, der als Kurier für „Elsa“ eingesetzt war, zugleich aber für die US-Army arbeitete und vieles verriet.

Danach war es nicht das Ziel dieser Gestapo-, SD- und SS-Leute, den Krieg doch noch zu gewinnen: „Anschläge haben diese Männer und Frauen nicht mehr geplant“, sagt Friedemann Rincke. Ihnen ging es vielmehr darum, ein Netzwerk aufrecht zu erhalten. Man wollte sich gegenseitig helfen beim Untertauchen und Überleben, bis die Verfolgung aufhörte und man wieder in die Öffentlichkeit zurückkehren konnte – oder noch besser, bis die Alliierten einen sogar brauchten. Viele Werwölfe rechneten nämlich damit, dass sich die Russen und die westlichen Alliierten zerstreiten würden und man ihre Erfahrungen in den neuen Nachrichtendiensten gerne annehmen würde. Rincke: „Diese Hoffnung war auch nicht falsch – nur haben die Werwölfe nicht lange genug durchgehalten.“ Nach etwa einem Jahr, im Januar 1946, konnte die US-Army alle führenden Köpfe verhaften.

Kurz vor Kriegsende wurde die Polizeikasse geplündert

Die Organisation war straff organisiert. Es lässt sich nachweisen, dass Experten der Gestapo, die im Hotel Silber saßen, von Januar 1945 an gefälschte Pässe an die Mitglieder der „Elsa“ ausgaben – die Dokumente waren so gut gemacht, dass die Alliierten sie oft für echt ansahen. Im April 1945 haben Mitarbeiter im Hotel Silber noch 29 000 Reichsmark von der Polizeikasse abgehoben, für die es so kurz vor Kriegsende eigentlich keine Verwendung mehr gab. Sarah Stewart hält es für sehr wahrscheinlich, dass „Elsa“ sich und ihre Mitglieder mit diesem Geld finanzierte. Wer im Untergrund lebte, erhielt keine Nahrungsmittelmarken und brauchte deshalb Bargeld, um zu überleben.

Über ganz Württemberg verteilt soll es 22 Gruppen gegeben haben, denen jeweils eine Nachrichtenstelle zugeordnet war. Kuriere, die immer nur einen Teil der Organisation kannten und so nie alle verraten konnten, hinterließen an diesen Orten Briefe – so funktionierte die Kommunikation. Zusätzlich gab es Codes, mit denen man sich den anderen Mitgliedern zu erkennen gab. Und in jeder Gruppe von fünf oder sechs Personen gab es mindestens eine Frau. Sie konnten unauffälliger agieren und waren keinem so großen Verfolgungsdruck ausgesetzt. Wenn eine Frau beispielsweise jemanden im Gefängnis besuchte, erweckte dies keinen so großen Argwohn wie bei einem Mann.

Auch viele Gestapo-Leute gehörten zur Organisation

Der SS-Obersturmbannführer Johannes Thümmler gilt als Chef aller Untergrundbewegungen im deutschen Südwesten. „Elsa“ stand der SS-Hauptsturmführer Alfred Renndorfer vor. Auch der letzte Chef der Gestapo in Württemberg, Friedrich Mußgay, ist Mitglied von „Elsa“ gewesen. Laut Friedemann Rincke gibt es die Vermutung, dass sich Mußgay sogar zeitweise bei Thümmler aufgehalten hat.

Vielleicht lag es sogar an der Unterstützung durch „Elsa“, dass Mußgay trotz intensiver Fahndung erst im Januar 1946 endgültig verhaftet werden konnte (laut dem Aufsatz im Buch „Stuttgarter NS-Täter“ war dies aber schon im April oder Mai 1945 der Fall). „Die Amerikaner haben die Werwölfe in Württemberg sehr intensiv und lange observiert“, sagt Friedemann Rincke: „Sie wollten sicher sein, dass sie die Anführer erwischten.“ Das gelang – danach war „Elsa“ nicht einmal mehr ein Phantom.

In loser Folge stellt die StZ neue Erkenntnisse zum Hotel Silber vor, die das Haus der Geschichte und Laien gewonnen haben. Weitere Texte finden Sie unter diesem Link.