Das Team um Meier in Heidelberg baut an einem System, das energieeffizient und schnell sein soll – im Gegensatz beispielsweise zum Supercomputer in Jülich, der unter anderen Gesichtspunkten auch am HBP beteiligt ist. Der Jülicher Supercomputer braucht viel Zeit für die Simulation des Gehirns: Um einen biologischen Tag nachzuarbeiten, benötigt der Superrechner bis zu drei Monate. Er ist also 100- bis 10 000-mal langsamer als die Natur. Das Heidelberger System hingegen ist wesentlich schneller. Ein biologischer Tag kann im Zeitraffer 10 000-mal schneller nachgeahmt werden. „Man kann an einem solchen System Experimente ständig wiederholen und dabei immer wieder bestimmte Parameter verändern“, sagt Meier. Informationen würden ständig verändert, so dass man sich der Simulation nähern könne.

 

Das Heidelberger Simulationssystem wird als neuromorph bezeichnet. Statt herkömmlicher Mikroprozessoren arbeiten hier spezielle Chips mit neuronenähnlichen Eigenschaften, die sich untereinander nach biologischen Lernprinzipien verknüpfen. Der erste entwickelte „Heidelberger Chip“ war nur fünf mal fünf Millimeter groß und besaß knapp 400 künstliche Neuronen mit 100 000 Synapsen, den Verknüpfungspunkten zu anderen Nervenzellen. Das Herstellungsverfahren wurde verfeinert. Die Forscher verwenden nun große Siliziumscheiben, so genannte Wafers, auf denen Chips in großer Dichte miteinander verbunden sind. Dieses neuromorphe System umfasst bereits 200 000 Neuronen und 50 Millionen Synapsen. Meier strebt an, die Leistung des Systems im Rahmen des HBP weiter um ein Vieltausendfaches zu erhöhen. Am Ende der Aufbauphase stünde das bei Weitem größte neuromorphe System der Welt zur Verfügung, dessen Leistungsfähigkeit dem Gehirn eines mittelgroßen Säugetiers entspricht. Nun sollen die neuromorphen Chips nicht nur die Computerbranche revolutionieren. Vielmehr sollen auch die anderen Partner Experimente durchführen können – neben Informatikern und Robotikexperten sind am HBP Neurowissenschaftler, Genetiker, Verhaltensbiologen und Ethiker beteiligt. „Wissenschaftler können ihre Experimente am Chip testen, anschließend etwa mit den Versuchen in Zellkulturen vergleichen, solange, bis Rechner und Zellkultur übereinstimmen. Die Schaltkreise sind konfigurierbar, alle Parameter können jederzeit neu angepasst werden“, sagt Meier.

Zudem soll das Human Brain Project dazu beitragen, die mehr als 500 bekannten Hirnkrankheiten zu verstehen. „Das ist ein ernstes Problem“, sagte Projektleiter Markram bei einer seiner zahlreichen Präsentationen. Die Pharmabranche ziehe sich mehr und mehr aus der Forschung zurück, weil das Gehirn zu komplex sei und die Entwicklung neuer Medikamente zu riskant und zu teuer. Mit dem Hirnsimulator dagegen könnten Forscher ihre Hypothesen testen. Und möglicherweise verstehen lernen, wie es zu neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Alzheimer kommt.

Allerdings gibt es auch genügend Kritik an dem milliardenschweren Forschungsprojekt angesichts der bisher noch eher dürftigen Ergebnisse. Kritiker erinnern an ein anderes Großprojekt: durch die Entschlüsselung des menschlichen Genoms glaubte man, viele Krankheiten in den Griff zu bekommen. Doch die Realität hat gezeigt, dass der Mensch nicht nur durch die Summe seiner Gene existiert. Die Entzifferung des genetischen Buchstabensalats hat den Patienten in der Klinik bisher kaum etwas gebracht.