Atomphysiker, Philosoph, Friedensforscher: am 28. Juni 1912 wurde Carl Friedrich von Weizsäcker geboren. Er starb hochbetagt und hochgeehrt am 18. April 2007. Ein Porträt.

Stuttgart - Natürlich war Carl Friedrich von Weizsäcker ein großer Mann, einer mit einem Forscherleben, das fast hundert Jahre und zwei Weltkriege umfasste, einer der letzten Universalgelehrten. Aber den hundertsten Geburtstag eines Mannes, der erst vor fünf Jahren im gesegneten Alter von 95 Jahren gestorben ist, mit einem dreitägigen Symposium zu feiern, mutet schon ein bisschen übertrieben an. Doch die Gelehrtenuniversität Leopoldina in Halle, deren Mitglied von Weizsäcker lange Jahre war, will sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen – von Weizsäcker wurde am 28. Juni 1912 in Kiel geboren. Auf seinen Himmelsolymp wird es Carl Friedrich vielleicht mit einem leicht ironischen Lächeln quittieren, wobei er die damit einhergehenden Ehrungen insgeheim goutieren dürfte.

 

Doch der Weihrauch verfliegt schnell, schaut man zum Beispiel in Weizsäckers ,,Briefe aus fünf Jahrzehnten“, in denen der Physiker, Philosoph, Universitätslehrer und Friedensforscher immer wieder auf das Thema der atomaren Gewalt zurückkommt, auf den Anfang der vierziger Jahre theoretisch möglichen Bau einer Bombe unter den Nazis. An einem solchen Wahnsinnsprojekt hätte sich Weizsäcker als einer der führenden Atomphysiker vielleicht beteiligen müssen.

Kein Atombombenbauer

Aber er kam davon, weil die technischen Möglichkeiten der hochqualifizierten Bastler unter Werner Heisenberg im Atombunker von Haigerloch dafür offenbar nicht ausreichten. Moralische Skrupel hätte Hitler sicher nicht gehabt, die neue Waffe einzusetzen. Und hätten die Wissenschaftler gezögert, sie zu bauen? „Ich wünschte mir, nie wieder in eine solche Versuchung zu geraten“, schrieb der altersreife Weizsäcker. Der junge Weizsäcker hatte einst gemeint, er könne einen Hitler mit seinen überragenden intellektuellen Qualitäten von solchen Projekten abbringen. Er war nicht der Einzige seiner Zunft, der sich irren sollte.

Vielleicht ist die älteste europäische Akademie, die Leopoldina, der richtige Ort, um an Weizsäckers tiefe Beklemmungen zu erinnern, die ihn ein Leben lang begleiten sollten. Als er dort 1995 im trauten wissenschaftlichen Gespräch saß, ereilte ihn die Nachricht, die Abhörprotokolle der Alliierten seien frei zur Veröffentlichung. Hatte er, mit Hahn, Heisenberg und anderen Physikergrößen auf dem abgeschiedenen Landsitz Farm Hall bei Cambridge interniert und, wie sich später herausstellte, heimlich abgehört, doch mehr gesagt, als er über seine Rolle im Dritten Reich hätte sagen sollen, können und dürfen?

Damals waren Berichte über einen bei einer Leopoldina-Tagung in Halle aufgescheuchten Weizsäcker nachzulesen, der sich um seinen Ruf in der Geschichte sorgte. Tatsächlich enthüllen die Protokolle nichts wirklich Belastendes über Weizsäcker, der nie behauptet hat, er sei ein Widerstandskämpfer gewesen.

Gegen atomare Wiederbewaffnung

Weizsäcker und die Atome – das war in vielerlei Wendungen sein Lebensthema. Es hat ihn nie losgelassen, und seine Erfahrungen hatten ihn vielleicht gefeit gemacht gegen die Versuchung, doch ein bisschen atomar mitzuspielen, etwa als unter dem Polit-Haudegen Franz Josef Strauß über eine atomare Wiederbewaffnung in Deutschland nach dem Krieg spekuliert wurde. Weizsäcker setzte sich mit anderen Wissenschaftlern an die Spitze einer Bewegung gegen solche halbgaren Versuche, mit Hilfe von Atomwaffen aus dem gerade eben wieder auferstandenen Nachkriegsdeutschland eine Großmacht zu machen. Allerdings ließ sich Weizsäcker politisch höchst selten einspannen, auch deshalb, wie er meinte, „dass ein Instrument sich abstumpft, wenn es zu oft benützt wird.“ Bei der Atompolitik machte er jedoch eine Ausnahme.

Weizsäcker hatte aus seinen Fehlern gelernt und ließ über die Jahre nicht nach, immer wieder gegen das weltweite atomare Wettrüsten zu argumentieren, für Frieden zu werben und über dessen Bedingungen nachzudenken – so in dem auf ihn zugeschnittenen Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt am Starnberger See. Wie tief die Angst vor einer nuklearen Katastrophe in ihm steckte, mag daran zu erkennen sein, dass er sich noch in den achtziger Jahren in seinem Garten einen kleinen Atombunker bauen ließ.

Hochbetagt und hochgeehrt

In dem Versuch, die Gefahr eines atomaren Krieges zu bannen, erkannte Carl Friedrich von Weizsäcker vielleicht – wie viele andere auch – nicht rechtzeitig die zerstörenden Potenziale einer zivilen Nutzung der Atomenergie. Es schien ja auch zunächst eine verblüffend einfache Idee zu sein, die frei werdende Energie des atomaren Zerfalls zu nutzen, um mit einer vermeintlich sauberen Energiequelle eine bessere Welt ohne Waffen zu bauen.

,,Atome für den Frieden“ hieß das damals eingängige Motto. Weizsäcker äußerte sich, soweit bekannt, dazu eher vorsichtig. Dann fielen die Schatten von Tschernobyl und Fukushima auf die Welt. Die atemberaubende Wende der Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Atompolitik sollte er nicht mehr erleben. Carl Friedrich von Weizsäcker starb hochbetagt und hochgeehrt am 28. April 2007 in Söcking am Starnberger See im Kreise seiner Familie.

Ein vielseitiges Leben

Atomphysiker
In den Kreis um Heisenberg, Hahn und anderen Größen als junger Mann frühzeitig aufgenommen, machte Carl Friedrich von Weizsäcker eine glänzende akademische Karriere. Er erkannte beizeiten die Möglichkeiten der Kernspaltung, legte mit seiner Arbeit über „Die Atomkerne“ wichtige Grundlagen und schrammte mit seiner Beschreibung des „Bethe-Weizsäcker-Zyklus“ knapp an einem Nobelpreis vorbei, den Hans Bethe 1957 erhielt. Weizsäcker hätte ihn wohl auch verdient gehabt.

Philosoph
Als Universitätslehrer in Hamburg in den fünfziger und sechziger Jahren war von Weizsäcker einer der populärsten und wirkmächtigsten Wissenschaftler in Deutschland. Mit seiner geschliffenen Sprache, seinem ironischem Witz und seinen breiten Kenntnissen faszinierte er mehrere Studentengenerationen. Man hörte nicht bei Weizsäcker, sondern man saß andächtig zu seinen Füßen. Das flaute erst in der folgenden Studentenrevolte ab.

Friedensforscher
Der Versuch, für Weizsäcker ein Max-Planck-Institut zu schneidern, glückte nicht wirklich. Dort sollte er mit jungen Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen Konzepte für einen dauerhaften politischen und sozialen Frieden schaffen. Er konnte die Kräfte nicht produktiv genug bündeln und musste nach seinem Abgang erleben, dass sein Institut geschlossen wurde. Das ist bei der Max-Planck-Gesellschaft zwar nicht unüblich, musste gleichwohl einen Mann wie Weizsäcker kränken.

Familie
Man muss wohl ein Großer werden, wenn man wie Weizsäcker aus einer Familie großer Namen stammt: der Großvater Ministerpräsident von Württemberg, der Vater Staatssekretär im Auswärtigen Amt unter Hitler, Bruder Richard langjähriger Bundespräsident, eines seiner vier Kinder, Ernst-Ulrich, Biologieprofessor, Bundestagsabgeordneter, Institutsleiter und Ökologe. Von dem in Kiel geborenen und in Stuttgart aufgewachsenen Carl Friedrich heißt es, er sei als Kind auf einen Schrank geklettert, um seine damals noch kleine Welt von oben zu betrachten.