Der ehemalige Kuhstall in Sitzenkirch bietet nun interessante Aussichten. Wie es im Haus vor, während und nach dem Umbau aussah, ist in der Bildergalerie zu entdecken. Foto: Jessica Siegel
Vorher-Nachher-Umbau: So hat ein handwerklich versiertes Ehepaar mit einem Architekten am Rande des Schwarzwalds ein verlassenes Gehöft in ein stilvolles Familienheim mit Panoramafenster umgebaut und auch das Dorf aufgewertet.
So viele Dörfer fransen an den Rändern aus, zersiedeln sich in Neubauwohn- und Gewerbegebiete. Und in der Ortsmitte? Schließen immer mehr Läden, verfallen immer mehr Häuser entlang der Dorfstraße, Gärten verwildern. Wer über die Hügelkette im Markgräflerland – der Schwarzwald ist nah, aber es gibt auch mit Wein bewachsene Hänge, dazwischen Kuhweiden – ins Dorf Sitzenkirch fährt, sieht: Es geht auch anders. Die ersten Gebäude sind eine 800 Jahre alte Dorfkirche, daneben ein ehemaliges Kloster, das nun als Demeterhof bewirtschaftet wird.
Und direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite steht ein Gehöft mit einem Bauernhaus und einer Wohnscheune samt mächtigem Walnussbaum im Hof. Vor der Scheune liegt noch Schotter, an dem Gebäude prangt aber schon die erste Medaille.
Der Umbau des Kuhstalls in ein Wohnhaus hat gleich mehrere Ehrungen erhalten: Vor einem Jahr die Hugo-Häring-Auszeichnung des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) Baden-Württemberg, eine Auszeichnung der Architekturroute, Bauwerk Schwarzwald, und 2022 eine Auszeichnung für Baukultur im Schwarzwald und Südbaden.
Die Jury des BDA etwa lobte, dass „mit Gespür für den Ort ein gelungenes Beispiel für die Nutzung vorhandener Bausubstanz im dörflichen Kontext geschaffen wurde.“ Man muss nicht immer alles abreißen und neu bauen. Wer Vorstellungskraft besitzt und Mut dazu, sieht auch die schlummernde Schönheit in nichtssagenden Bauten.
Zu Recht wurden das Bauherrenpaar Christel Ruser und Martin Keller und ihr Architekt Ralf Brandhofer gepriesen. Schon das enorm große und fast quadratische Fenster im Wohnstall zur Straße hin weckt Interesse, der auskragende Balkon unterem Wellblechdach auch.
Und aus der Nähe betrachtet dann der schöne Kalkputzsockel unter der vertikalen Holzfassade. „Beim Kalkputz haben wir uns an der gegenüberliegenden Kirchenfassade orientiert“, sagt der Architekt. „Und die Holzfassade haben wir einfach nur mit dem Dampfstrahler gesäubert und eben die Löcher ausgeschnitten für die Fenster“, sagt der Bauherr Martin Keller.
Vor allem staunt man, wenn man weiß, wie das Wohnhaus, das jahrelang leer gestanden ist, vorher aussah. Ein schmuckloses Gebäude aus Ziegel und Holz, mit Wellblechdach, Stalltüren, kaum Fenstern. Im Inneren: Ställe, viel Gerümpel, ein selbstredend ungedämmter Heuboden mit Holzbrettern, durch die ordentlich der Wind pfiff.
So sah der Stall vor dem Umbau aus. Foto: Ralf Brandhofer
„Die Leute haben gedacht, wir sind verrückt“, sagt denn auch Martin Keller. Kühn trifft es eher. Oder geduldig und mit Fantasie begabt, auch mit viel Geschmack, wie ein Gang durch den umgebauten Kuhstall noch zeigen wird. Die Bauherren sind selbst Bauprofis mit einer Maurer- und Betonbaufirma, haben sich für den Umbau aber gestalterischen Rat eingeholt von dem mittlerweile in Berlin lebenden, 1972 in Freudenstadt im Schwarzwald geborenen Architekten Ralf Brandhofer, der schon öfter Gebäude aus dem Dornröschenschlaf geweckt hat.
„Das Arbeiten im Bestand, das finde ich interessant. Wir versuchten, Altes zu erhalten und Neues ins Gebäude einzuschreiben, also an die Geschichte anzuknüpfen und sie weiterentwickeln“, sagt Ralf Brandhofer. Der Bauherr nickt: „Die Geschichten eines Hauses zu entdecken, eine Ruine weiter zu nutzen, das hat uns gereizt. Dazu muss man aber auch gern tüfteln.“
Die Kinder wohnen im Bauernhaus nebenan
Die Zusammenarbeit beschreiben die beiden Parteien als bereichernd. „Die Bauherren waren sehr offen und auch kundig“, lobt der Architekt. Und seine Auftraggeber berichten: „Auch wenn uns seine immer wieder neuen Ideen und Vorschläge manchmal erst zu denken gegeben haben, war es dann oft nach Einmaldarüberschlafen so, dass wir sagten: Da hat er nicht unrecht.“
Im Jahr 2017 konnten sie das Gebäude kaufen, glücklicherweise war der Sohn an dem Bauernhaus auf dem Grundstück interessiert. „Die Besitzerin wollte nur alles zusammen verkaufen“, sagt Christel Ruser. „Unser Junior hat sein Haus sehr gut und schön saniert.“ Während die jungen Leute es im Inneren traditioneller bevorzugen, alte Bauernmöbel lieben, war für die Bauherrin klar, das Interieur soll so schnörkellos werden wie es auch der Baukörper ist.
Und, das beeindruckte ebenfalls die Architektenjurys, der Bestand sollte nicht einfach umgebaut, aufgehübscht und dabei jede Spur der ehemaligen Nutzung getilgt werden. Im Gegenteil. Der Bauherr öffnet das Tor und man steht erst einmal in der Tenne, einer meterhohen, luftigen Halle mit grobem Kalkputz und einer Beton-Treppe mit Metallhandlauf. Steigt man hinauf, steht man auf einer Art Brückensteg, da befinden sich Sitzgelegenheiten, im Winter der Tannenbaum, und die Sicht ist frei bis unters Dach mit Holzlatten und Welleternit.
Hangseitig befindet sich nun eine Einliegerwohnung. Räume mit großen Holzrahmenfenstern, besonders hübsch ist das Badezimmer mit vertikal angeordneten zartrosa Fliesen und Blick auf die Hangwiese.
Viel Luft und gute Aussichten
Rechter Hand spaziert man durch die mächtige Holzschiebetür in den ehemaligen Stall, da ist das Büro untergebracht. „Einige Zeit während des Umbaus wohnten wir im Büro unten auf 20 Quadratmetern“, sagt Christel Ruser, „die Möbel waren eingelagert.“ Zuvor rückte aber erst einmal ein kleiner Bagger ein, alte Balken kamen heraus, neue Wände wurden eingezogen, „in Massivbauweise mit Dämmziegeln aus 36,5 Zentimeter Poroton“, sagt der Architekt.
Hinter dem Haus wurde ordentlich gerodet. „Der Hang ist felsig und von Brombeersträuchern überwuchert gewesen, die kamen alle weg“, sagt Ralf Brandhofer. Das Hüttchen in der Gartenecke war einst ein Hühnerhaus. Nun ist Platz für Tisch und Stühle und eine Rasenfläche zum Entspannen.
Betritt man den Wohnbereich, hält man die Luft an. Das ist mal eine Zweizimmerwohnung! Ein hoher offener Raum, sparsam und elegant möbliert mit einem drei auf vier Meter großen Fenster mit Blick aufs Kirchlein. Geschliffener Estrich, feiner Putz bis über den Türstock, darüber zum Kontrast die noch sichtbare Bretter-Betonschalung. Fenster, Türen und Einbauten sind aus Weißtanne.
Das Fenster hat eine Holzbanksitzfläche, ein idealer Platz fürs Fensterguckkino. „Das ist wie ein lebendes Bild, ich genieße das sehr“, sagt die Bauherrin. „Abends sehen wir immer die Kühe, die von der Weide kommen.“ Gute Nerven waren aber beim Einbau vonnöten. Das Fenster wurde mit dem Kran hinein gehievt, berichtet der Bauherr. „Die erste Scheibe war verkratzt, die zweite hatte einen Riss. Jetzt passt‘s.“
Die Küche mit schnörkellosen Holzunterschränken, Metall-Dunstabzugshaube und menschhohem frei stehenden Kühlschrank sowie der Holz-Esstisch mit Holzbank und senffarbenen Midcentury-Designlehnstühlen – hergestellt im 20 Kilometer entfernten Weil am Rhein bei Vitra – liegt Richtung Hof. Da öffnet sich der Raum nach draußen auf den überdachten tiefen Balkon, der selbst bei Regen das Draußensitzen ermöglicht.
Schön offen: Der Wohn-, Ess- und Küchenraum. Foto: Jessica Siegel
Auf der Gartenseite gelegen ist das Schlafzimmer mit offenem Durchgang zur komplett in geschliffenem Estrichboden und Betonwänden belassener Dusche. Die großen Fenster im Rückzugsraum sind mit grauen Vorhängen zu verschließen. Das ist eine bewundernswert konsequente Rauheit.
„Da fragten manche Besucher, wann wir die noch fertig machen“, sagt der Bauherr und lächelt. Das passt schon sehr gut so. Auch die kleinen Kiesnester im Beton – „wobei die mich am Anfang schon sehr geärgert haben“, sagt der Bauherr, der viel Hand angelegt hat und mit sich selbst besonders streng ist.
Gern verraten die Bauherren ein paar Tricks. Für die Deckenlichter in der Betondecke hatten sie lange experimentiert. „Am Ende haben wir kleine Müslischalen aus dem örtlichen Haushaltswarenladen in die Schalung betoniert“, sagt Christel Ruser. „Die haben 20 Euro gekostet“, sagt Martin Keller.
Das Tüfteln, die handwerklich kniffligen Aufgaben waren inspirierend, aber fordernd. „Der jahrelange Umbau, daneben die normale Arbeit, das hat Kraft gekostet, aber es hat sich gelohnt“, sagen die Bauherren.
Damit es nicht zu gemütlich wird und die Bauherren sich nach viel Arbeit auf dem Balkon oder im Garten ausgiebig erholen können, haben sie ein Projekt gestartet. Der denkmalgeschützte Schopf auf der anderen Straßenseite, ein eigenwilliges und ziemlich baufälliges Hüttchen, wird instandgesetzt.
Eventuell für Ferien im Denkmal, dann hätten auch jene Menschen etwas von dem revitalisierten Dorf, die angesichts dieser eindrucksvollen dörflichen Baukulturrettung am liebsten ein paar Tage da bleiben würden.