In den USA geht jeder Bundesstaat anders mit illegalen Einwanderern um. Arizona ist am grausamsten. Eine Reform des Einwanderungsgesetzes soll das ändern.

Phoenix - In der North Central Avenue der Stadt Phoenix im US-Bundesstaat Arizona, wohnt das Böse. Für die meisten Bürger ist es eine gewöhnliche Geschäftsgegend, für die Garcías ist es das Herz der Finsternis. „Immigration and Customs Enforcement“ (ICE) prangt über dem Eingang von Hausnummer 2035. Heute wird Familie García das Böse herausfordern. Heute demonstriert sie vor dem Gebäude, denn Edie, der Vater, soll abgeschoben werden. „Als sie ihn geholt haben, durfte ich mich nicht von ihm verabschieden“, erzählt sein Sohn José. „ICE hat diesen Kindern den Vater genommen“, sagt die Mutter und drückt ihre Tochter an sich. ICE ist das Kürzel für die Kälte, die das Land ihrer Träume den Garcías entgegenbringt.

 

600 Kilometer weiter westlich, in Kalifornien, könnten zwei illegale Migrantinnen glücklicher kaum sein. Miriam González und Mariana Vega sitzen vergnügt im Büro der Studentenorganisation Ideas, die an der University of California Los Angeles immatrikulierte illegale Migranten unterstützt. Sie reden miteinander, worüber Kommilitoninnen so reden: Kurse, Professoren, Prüfungen. Worüber sie nicht mehr sprechen: dass ihre Eltern die Gebühren nicht aufbringen können. Anstatt die zwei Frauen nach Mexiko abzuschieben, hat der Staat Kalifornien ihnen und anderen illegalen Einwanderern Stipendien gegeben.

Mehr als elf Millionen illegale Migranten leben in den USA

Die USA sind das größte Einwandererland der Welt, auch für illegale Migranten. Nach Schätzungen des Department of Homeland Security sind es mehr als elf Millionen. Die meisten stammen aus Zentral- und Südamerika. Ihnen mit einer Reform einen Weg aus der Illegalität zu eröffnen gehört zu den Wahlversprechen von Präsident Barack Obama. Am Dienstag hat ein entsprechendes Gesetz eine zentrale Hürde genommen, die Mehrheit der Senatoren stimmte für eine Reform. Bis diese greift, unterscheidet sich der Umgang mit illegalen Migranten weiterhin von Bundesstaat zu Bundesstaat. Obwohl Einwanderungspolitik Sache des Staates ist, mischen sich die Länder mit eigenen Gesetzen ein und legen föderales Recht unterschiedlich aus. Während Arizona Jagd auf illegale Einwanderer macht, gewährt ihnen Kalifornien Erleichterungen. Zwei Bundesstaaten von 50, zwei direkte Nachbarn, zwei Extreme.

Auf dem Campus in Los Angeles erzählen sich Miriam und Mariana von ihrer behüteten Kindheit. „Als ich mit 16 Jahren jobben wollte und meine Mutter nach meiner Sozialversicherungsnummer fragte, erfuhr ich, dass wir Illegale sind“, sagt Miriam, eine 19-jährige Biologiestudentin. Mariana erzählt, dass ihre Eltern sie sogar auf Klassenfahrten an die mexikanische Grenze haben mitgehen lassen. „Abschiebungsangst hatten wir nicht“, sagt die 20-jährige BWL-Studentin. Den letzten Satz hört ein Kommilitone, der eben das Büro von Ideas betreten hat. „Zumindest nicht so wie die Migranten in Arizona“, fügt er hinzu.

Schluchzend bittet José darum, dass sein Vater bleiben darf

Dort in der Stadt Phoenix lockt die Demonstration vor der Immigrationsbehörde die Medien an. Vor Mikros und Kameras verliest der pummelige José einen Brief an den Präsidenten. Schluchzend bittet er darum, seinen Vater nicht abzuschieben. Edie habe sich nie etwas zuschulden kommen lassen. Er lebe seit zehn Jahren in den USA, seine Kinder seien hier geboren und damit US-Bürger. Unterstützer halten Schilder hoch. Reden werden gehalten und stürmisch beklatscht.

In Arizona müssen Einwanderer ohne Papiere die Polizei fürchten, doch nirgendwo so sehr wie in Maricopa County. Dort regiert Sheriff Joe Arpaio, der selbst ernannte „härteste Sheriff der Welt“. Für linke Blätter ist er der „Antimigrationskreuzritter“, rechte Medien feiern ihn als Mann der Tat. Obwohl er mehrmals wegen rassistischer Praktiken und Menschenrechtsverletzungen verklagt wurde – unter anderem vom US-Justizministerium – hat Maricopa County, eine Republikaner-Hochburg, ihn zum sechsten Mal wiedergewählt. Seine Lösung für Migranten: abschieben.

Der Sheriff ist ein Hardliner

Das Büro von Joe Arpaio schmücken Fotos von ihm selbst. Sie teilen sich die Wände mit gerahmten Zeitungsartikeln und Postern mit der Aufschrift „Sheriff Joe for President“. Hinter einem Schreibtisch im 19. Stock im Zentrum von Phoenix thront der Mann, den die illegalen Einwanderer hassen. Auf den ersten Blick ist der Sheriff von Maricopa County ein harmloser alter Herr. Joe Arpaio ist 80 Jahre alt. Er trägt eine Krawattennadel in Form einer Pistole. Seine Welt ist einfach: Es gibt Gut und Böse, richtig und falsch, illegale und legale Einwanderung. Er sagt Sätze wie: „Alle illegalen Einwanderer sind Verbrecher. Sie haben das Gesetz gebrochen, als sie hergekommen sind.“ Auch zu Kalifornien hat der Sheriff eine klare Meinung: „Alles Verbrecher. Die Sheriffs missachten ihr Amt, indem sie die föderalen Einwanderungsgesetze nicht durchsetzen.“

Im kalifornischen Jacumba an der Grenze zu Mexiko erklärt Enrique Morones gerade einer Schulklasse aus San Diego, dass man illegale Einwanderer nicht kriminalisieren darf. Der Gründer der Organisation Border Angels sagt: „Hier im liberalen Kalifornien ist die Öffentlichkeit auf Seiten der Migranten. In Arizona und anderen Staaten nicht.“ Wie Joe Arpaio ist Enrique Morones von seiner Sache überzeugt. Um den Schülern zu zeigen, dass jeder ein Migrant ist, fragt er sie nach dem Herkunftsland der Großeltern. „Holland und England“, „Mexiko“, „Deutschland“, lauten die Antworten. Niemand sagt: „USA“. Nach der Ansprache verteilen Morones und die Schüler Wasserflaschen in der Wüste entlang des Grenzzauns. „Jeden Tag sterben zwei Menschen bei der Überquerung der Grenze“, erklärt Morones.

Ein Rekord an Abgeschobenen unter Obama

Die Obama-Administration hat Statistiken der Immigrationsbehörde zufolge eine Rekordzahl an illegalen Immigranten abgeschoben: Im Jahr 2012 mussten 409 849 Menschen das Land verlassen. Das sind rund 40 000 mehr als im Jahr 2008 unter Präsident George W. Bush. Dabei zeigen Studien des Forschungsinstituts Pew Hispanic Center, dass seit 2007 immer weniger Mexikaner illegal in den USA leben. Sie machen knapp 60 Prozent der rund 11,2 Millionen illegalen Einwanderer aus. Sie alle warten auf die Reform.

Vor der Southside Presbyterian Church in Tucson in Arizona stehen Tagelöhner und hoffen auf Arbeit. Fast alle sind Latinos, fast alle illegale Einwanderer. An diesem Dienstag halten nur zwei Trucks, um schnell eine Handvoll Arbeiter mitzunehmen. Die restlichen Männer stehen herum. Es ist nach 10 Uhr morgens. Mit jeder Minute sinkt die Hoffnung, dass sie heute noch Arbeit finden werden. Aber Carlos Chicas braucht das Geld. In Seattle wartet seine Verlobte auf ihn. „Ich will Arizona so schnell wie möglich verlassen“, sagt der 20-Jährige aus El Salvador den Umstehenden.

Das Gesetz SB 1070 hat 2010 Arizona zum ungemütlichsten Ort der USA für illegale Einwanderer gemacht. Es räumt der Polizei außerordentliche Rechte ein – etwa Migranten ohne Suchbefehl verhaften zu dürfen. Mittlerweile wurde das Gesetz abgeschwächt. Die Obama-Administration hatte dagegen geklagt. Die Polizei von Arizona darf jedoch weiterhin grundlos jeden nach Papieren fragen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, die Kontrollen richteten sich häufig nach der Hautfarbe. In Kalifornien sind Polizisten dagegen explizit angewiesen, nicht nach Papieren zu fragen, wenn sie etwa ein Auto wegen eines defekten Rücklichts anhalten.

Ohne Führerschein erwischt

Im Auffangzentrum Casa del Migrante in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana sind alle Bundesstaaten vertreten. Hier landen Männer, die einst in Alabama oder Wyoming lebten. Im Innenhof der Hilfsorganisation lehnt ein Mann an der Wand, der in Kaliforniens Abschiebestatistik auftauchen wird. José Sanchez hat zehn Jahre im kalifornischen Orange County gelebt – bis die Polizei ihn auf dem Weg zur Arbeit ohne Führerschein erwischt und ICE übergeben hat. Der Mann, der nicht weiß, ob er Frau und Kinder je wiedersehen wird, sagt: „Kalifornien ist auch kein Paradies. Illegaler Einwanderer zu sein ist überall in den USA ein Glücksspiel. Und ich hatte Pech.“