Frau Leibinger-Kammüller, Sie sind in den USA geboren und haben immer noch eine enge Beziehung dorthin. Trumpf hat sechs Standorte in den USA. Wie haben Sie die Hängepartie nach der Präsidenten-Wahl erlebt?
Jetzt ist es ja zum Glück keine Hängepartie mehr. Es wird noch ein bisschen Theater geben, aber die Amerikaner werden das Thema lösen. Über den Wahlausgang selbst bin ich unsagbar froh, er ist eine Erleichterung in jeder Hinsicht. Auch mein Mann und ich sind in der Wahlnacht um drei Uhr aufgestanden. Weil der Ausgang so wichtig ist auch für Deutschland und für Trumpf.
Was ändert sich denn durch den Wahlsieg von Joe Biden?
Es gibt in den USA demnächst wieder jemanden, der sich benehmen kann. Der Sätze zu Ende bringt. Der niemanden beleidigt und der hoch erfahren ist.
Wird sich denn in der Substanz der US-Politik etwas ändern?
Da darf man nicht zu viel erwarten. Die US-Demokraten sind ähnlich protektionistisch wie die Republikaner, höchstens ein wenig konzilianter. Aber die Rückkehr ins Klimaabkommen und in die Weltgesundheitsorganisation sind große Schritte. Und die Politik wird wieder verhandelbarer.
Sie erhoffen sich also vor allem atmosphärische Fortschritte?
Zunächst einmal. Aber das ist schon sehr viel. Man kann unterschiedlicher Meinung sein in der Einschätzung von Sachverhalten. Die Hauptsache ist doch, dass man sich darüber austauschen und – nach dem Ende der Corona-Pandemie – die Hand geben kann.
Sowohl in den USA als auch in Deutschland wird wirtschaftlich viel davon abhängen, wie schnell die Corona-Pandemie unter Kontrolle gebracht wird. Trumpf ist als Maschinenbauer ja ein klassischer Frühindikator für die konjunkturelle Entwicklung. Wie kommt Ihr Unternehmen durch die Krise?
Seit dem Beginn unseres Geschäftsjahrs im Juli entwickeln wir uns deutlich besser als gedacht. Wir setzen zwischen fünf und zehn Prozent mehr um als prognostiziert. Zugleich sind die neuerlichen Lockdowns etwa in Österreich, Italien und Spanien ein Risiko für uns. Wenn die Vertriebsmitarbeiter dort nicht aus dem Haus dürfen, wird alles viel schwieriger.
Woran liegt es denn, dass es bei Ihnen so gut läuft?
Viele Maschinenbauer mussten sich angesichts des seit 2018 spürbaren Konjunkturabschwungs schon vor Corona umorientieren und ihre Kostenstrukturen überdenken. Sie waren metaphorisch „vor der Zeit“ und profitieren nun von den seinerzeit eingeleiteten Veränderungen. Hinzu kommt: Es gibt auch bei Trumpf Märkte, in denen die Aufträge stabil geblieben sind oder sogar zugelegt haben. Jedenfalls sehen unsere Umsatzkurven bis jetzt eher wie ein V als wie ein U aus. Das heißt: Es ging anfangs steil bergab , aber nun geht es auch wieder bergauf. Dies war zumindest bis Anfang des Monats das Bild.
Aber Ihre Mitarbeiter sind trotzdem noch in Kurzarbeit?
Ja, durchschnittlich noch zu 25 Prozent. Wir werden noch bis ins erste Quartal 2021 kurzarbeiten, aber wir setzen dieses Instrument sehr gezielt ein. Es gibt Geschäftsfelder, beispielsweise die EUV-Technologie oder die Generatorenproduktion von Trumpf Hüttinger in Freiburg, die waren überhaupt nicht in Kurzarbeit. In unserer Laserfertigung in Schramberg haben wir die Kurzarbeit beendet. Dagegen ist die Verwaltung hier in Ditzingen stärker betroffen.
Aber vermutlich werden sich die Arbeitsweisen dann bei Ihnen verändert haben. Schließlich arbeiten sehr viele Beschäftigte inzwischen im Homeoffice.
Zu den Erkenntnissen der Pandemie gehört, dass wir auch bei Trumpf anders miteinander arbeiten können. Es gibt fraglos Bereiche bei uns, in denen Homeoffice gut funktioniert. Dennoch sind Menschen soziale Wesen und wollen sich begegnen. Deshalb entsteht Kreativität oft im Austausch von Angesicht zu Angesicht – und weniger, wenn unsere Mitarbeiter allein zu Hause sitzen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will per Gesetz ein Recht auf Homeoffice festschreiben.
Ich sage mal kämpferisch: Es kommt überhaupt nicht infrage, dass Herr Heil festlegt, wer bei Trumpf wann wo arbeitet. Das kriegen wir selbst hin. Wir haben individuelle Arbeitszeitregelungen, da brauchen wir ein solches Gesetz nicht. Diese Erkenntnis scheint es seit dem Wochenende nun auch innerhalb der Koalition zu geben. Zumal wir die 24 Tage Homeoffice im Entwurf schon heute deutlich übertreffen durch unser Bündnis für Arbeit. Mir geht es aber um Grundsätzliches: die wachsenden staatlichen Eingriffe in die unternehmerische Freiheit, zumal bei inhabergeführten Unternehmen.
Sie bauen Trumpf gerade kräftig um. Sie gehen einerseits neue Kooperationen ein – etwa mit dem Rückversicherer Munich Re oder dem Sensorhersteller Sick – und haben aber gleichzeitig auch Sparprogramme aufgelegt. Überfordert das die Mitarbeiter nicht?
Das beschäftigt uns in der Geschäftsleitung auch sehr. Wir müssen aber beides leisten: einerseits Wachstum sichern durch neue Geschäftsmodelle, andererseits möglichst effizient arbeiten. Unser neues Programm „Operational Excellence“ etwa, mit dem wir in den nächsten Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag einsparen wollen, kann ohne Wachstum nicht funktionieren. Wir haben aber auch in der Vergangenheit mit unserem Programm „Koyer“ – das Wort leitet sich vom Küstenschutz und den friesischen Deichbauern ab – bereits in gleicher Höhe Kosten gesenkt.
Etwa 20 Prozent Ihres Umsatzes hängt an der Automobilwirtschaft. Wie stark spüren Sie die Schwierigkeiten in der Branche?
Wir sind als Unternehmen nicht in hohem Maße betroffen. Zudem ist die Lasertechnik, die für die Autoherstellung extrem wichtig ist, sehr vielseitig einsetzbar, etwa für das Zuschweißen von Brennstoffzellen oder Batterien. Die flexible Blechfertigung von Trumpf ist quasi wie gemacht für die Elektromobilität mit ihren noch geringen Stückzahlen. Als Baden-Württembergerin verfolge ich die Entwicklung aber schon mit Sorge.
Weil die Branche beim Übergang zur Elektromobilität zu langsam ist?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Hersteller und Zulieferer erfolgreich durch dieses Tal kommen. Hier im Südwesten gibt es so viel Substanz und Kraft! Aber es wäre sehr hilfreich, wenn politisch wirklich ergebnisoffen an Antriebskonzepten der Zukunft gearbeitet werden könnte und der Bund nicht einseitig die Elektromobilität fördern würde.
Also hatte Winfried Kretschmann mit seiner Forderung nach Kaufprämien auch für Verbrennungsmotoren recht?
Moment, ich denke marktwirtschaftlich. Ich bin gegen Kaufprämien, oder wenn es welche gibt, dann will ich sie für auch Trumpf haben. Aber die EU fordert der Automobilwirtschaft zu viel in zu kurzer Zeit ab, und Berlin hat zu wenig dagegen unternommen. Hersteller und Zulieferer haben, auch dank der technischen Weiterentwicklungen hier aus Baden-Württemberg, den Verbrennungsmotor so sauber gemacht, dass er als Übergangstechnologie auf jeden Fall noch gebraucht wird. Dies würde einen abrupten Technologiewechsel verhindern und Arbeitsplätze hier im Land sichern. Allerdings muss man auch sagen: Es gehört zu einer klugen Unternehmenspolitik, sich frühzeitig auf Veränderungen und neue Geschäftsmodelle einzustellen.
Wie beurteilen Sie ansonsten, wie die Bundesregierung die Transformation der Wirtschaft unterstützt? Das Konjunkturprogramm sieht ja zwei Milliarden Euro für die Quantentechnologie vor, in der auch Trumpf viel vorhat.
Bei der Quantentechnologie müsste die Bundesrepublik ehrlich gesagt einmal richtig ranklotzen und perspektivisch nicht zwei Milliarden Euro zur Verfügung stellen, sondern einen richtig großen Wurf wagen. Sie müsste im selben Zug auch alte Strukturen und Kompetenzrangeleien in der deutschen Forschungslandschaft aufbrechen. Generell finde ich die Corona-Unterstützungsmaßnahmen gut. Natürlich kann man sich bei dem astronomischen Schuldenberg, der dadurch entsteht, die Frage stellen, wann wir das jemals zurückzahlen können. Die Antwort kann ich allerdings auch schon mitliefern: durch eine florierende Wirtschaft! Ich finde es auch wichtig, dass das Programm der Bundesregierung so breit angelegt ist. Dass also nicht nur die Lufthansa unterstützt wird, sondern auch Künstler und Soloselbstständige, deren Lage bekanntlich besonders dramatisch ist.
Sie sind bekannt dafür, das Sie öffentlich nicht nur über Wirtschaft, sondern auch über Politik reden. Die nächste Bundesregierung wird nicht mehr von Angela Merkel geführt werden. Wer soll ihr nachfolgen?
Ein kluger Mensch mit viel Sachverstand, Durchsetzungsfähigkeit und Integrität, aber auch mit der Fähigkeit zum Ausgleich.
Ohne den Nachsatz würde man auf Friedrich Merz kommen.
Friedrich Merz ist ein kluger Mann, der sich mit der Wirtschaft gut auskennt. Wir brauchen aber in der Tat auch den Ausgleich. Und wir brauchen einen Menschen an der Spitze des Landes, der einen Sinn für die Belange der breiten Gesellschaft hat, deren Tonalität trifft.
Es gibt drei Männer, die sich um den CDU-Vorsitz bewerben. Für welchen der drei schlägt Ihr Herz?
Mein Herz schlägt für meinen Mann. Von den dreien wäre Friedrich Merz ein hervorragender Wirtschaftsminister, Herr Röttgen ein ausgezeichneter Außenminister, und Herr Laschet wäre ein guter Parteivorsitzender.
Und was halten Sie von Markus Söder?
Markus Söder hat doch mehrfach betont, dass sein Platz in Bayern ist. Da wollen wir ihn doch beim Wort nehmen.
Sie sind heute auf den Tag genau 15 Jahre an der Spitze von Trumpf. Wie haben Sie die vergangenen Jahre erlebt?
Wir hatten wie jedes andere Unternehmen Höhen und Tiefen. Im Geschäftsjahr 2008/2009 erlebten mein Bruder, mein Mann und ich noch das beste Geschäftsjahr in der Geschichte des Unternehmens. Dann kam die Lehman-Pleite, bei der unsere Aufträge um 40 Prozent eingebrochen sind. Das war eine herausfordernde Zeit. Und es gab auch schwierige Phasen während der Ablösung von meinem Vater, von dem ich die Geschäftsführung am 18. November 2005 übernommen hatte.
War es denn schwer, sich von Ihrem Vater zu lösen?
Ja, das war für uns beide schwer. Mir war allerdings stärker als ihm bewusst, dass es sein musste – und dass es richtig war, dass ich mich von ihm löse. Denn mir war klar, dass ich das Unternehmen auf meine Art führen werde und nicht auf seine. Für mich fühlte es sich brutal an, dass ich meinen Vater gewissermaßen „gewaltsam“ aus dem Unternehmen herauslösen musste, obwohl er einer der Menschen war, die ich am meisten liebte.
Was heißt gewaltsam?
Gewaltsam heißt gewaltsam: durch für ihn überraschende, unumkehrbare Entscheidungen. Aber durch profane Veränderungen im Unternehmensalltag, die symbolischen Charakter hatten. Ich kann ein Beispiel nennen: Mein Vater hatte ein sehr großes Büro und ich ein sehr kleines. Zwischen unseren Büros lag ein gemeinsames Besprechungszimmer, zu dem wir beide Zugang hatten. Wenn mein Vater etwas von mir wollte, ist er über dieses Zimmer einfach in mein Büro marschiert. Es war für ihn oft zweitrangig, ob ich gerade einen wichtigen Geschäftspartner zu Gast hatte oder aus anderen Gründen ungestört arbeiten wollte. Als wir einige Jahre später umgebaut haben, habe ich diese Tür entfernen lassen und meinem Vater auf diese Weise eine physische Grenze gesetzt. Ich musste meinem Vater auch verbieten, an Sitzungen der Geschäftsführung teilzunehmen, denen er als Gast weiterhin beiwohnen wollte.
Haben Sie auch unternehmerische Entscheidungen gegen den Willen Ihres Vaters getroffen?
Ja, um sie geht es weitaus mehr als um Symbolik. Dazu zählen harte Entscheidungen wie der Verkauf der Medizinsparte oder der Erwerb eines chinesischen Unternehmens, aber auch Entwicklungen in der Unternehmenskultur. Wir sind heute kein patriarchalisch geführtes Unternehmen mehr. Und ich hoffe: auch kein matriarchalisch geführtes. Wir sind offener und demokratischer geworden.
Und in welchen Momenten vermissen Sie Ihren Vater?
Mein Vater konnte sich fürchterlich aufregen über Kleinigkeiten. Bei wirklich bedrohlichen Krisenszenarien hingegen blieb er gelassen. Man kann fast sagen, je dramatischer sich eine Situation entwickelte, desto ruhiger wurde mein Vater. Ich weiß, dass er auch in dieser schwierigen Phase der Pandemie diese Ruhe und Sicherheit verströmt hätte. Er hätte uns darin bestärkt, dass uns etwas einfallen wird – und dass wir durch diese Krise hindurchkommen.
Bräuchten Sie ihn in dieser Phase jetzt?
Das Schöne ist, dass ich manches von meinem Vater geerbt habe. Jetzt bin ich die Person an der Spitze des Unternehmens, die – gestützt auf andere – ruhig und zuversichtlich ist.
Haben Sie die vergangenen Jahre an der Spitze eines Weltmarktführers als Person verändert?
Mein Mann würde sicher sagen, dass ich noch zackiger und ungeduldiger geworden bin. Gleichzeitig hat aber meine Selbstsicherheit zugenommen.
Was wünschen Sie sich – etwa auch für die Nachfolge?
Ich wünsche mir, dass das Unternehmen, wenn ich einmal weg bin, im Sinne der Familie weitergeführt wird. Es wäre schön, wenn ein Familienmitglied das Unternehmen fortführte, aber es gibt beispielsweise auch die Möglichkeit von Interimslösungen. Die Kinder meiner Geschwister und unsere eigenen sind ja noch nicht so alt. Sollte kein Kind aus unseren Familien an die Unternehmensspitze gelangen, wäre das aber auch kein Unglück. Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten für die Familienmitglieder, sich auch jenseits des operativen Geschäfts einzubringen. Wichtig ist, dass das Unternehmen gut geführt wird. Und am wichtigsten ist, dass alle Familienmitglieder glücklich sind in diesem einen Leben, das sie auf Erden haben.
Hätte Ihr Vater auch gesagt, dass das persönliche Glück der Kinder über das der Firma geht?
Nein. Mein Vater hätte gesagt, dass die Firma das Wichtigste ist im Leben. Und dass es ein großes Glück ist, dass uns die Verantwortung für diese Firma in die Hände gelegt wurde. Viele Familienunternehmer sehen das auch heute noch genauso. Die Kinder unserer Familien aber waren schon immer frei in der Wahl ihrer Studienfächer und ihrer gesamten Lebensgestaltung. Ich sage es noch mal: Wir haben nur dieses eine Leben.