In „The Old Oak“ blickt der große Sozialkritiker und -romantiker Ken Loach auf die Flüchtlingsfrage – und träumt auf anrührende Weise von mehr Empathie.

Es gibt immer Hoffnung in den Filmen des britischen Regisseurs Ken Loach, so schlecht die Zeiten auch sein mögen für die sogenannten kleinen Leute, deren Schicksalen er sich widmet. Hochaktuell ist sein jüngstes Werk – auch wenn ihn die aus den Fugen geratene Gegenwart in atemberaubendem Tempo überholt hat.

 

Syrische Flüchtlingsfamilien kommen im Norden Englands an in einer früheren Minenstadt, deren Bewohner nicht mehr viel haben außer nostalgischen Stolz auf früher. Und nun beanspruchen Fremde einen Teil des Wenigen, das geblieben ist – so formulieren es in despektierlichen Worten die Stammgäste im einzigen verbliebenen, heruntergewirtschafteten Pub mit dem schönen Namen The Old Oak. Der Wirt TJ Ballantyne (Dave Turner) sagt dazu nichts – er gehört zu denen, die den Ankömmlingen helfen. Er freundet sich mit der viel jüngeren Yara (Ebla Mari) an, die Englisch spricht und mit großer Leidenschaft Menschen fotografiert – doch ein englischer Fremdenfeind beschädigt ihre Kamera. Um gemeinschaftliche Mittagessen von Briten und Syrern im lange geschlossenen Nebenraum des Pubs gibt es bald heftigen Streit – mit unschönen Folgen.

Anliegen, die auf der Seele brennen

Loach weiß genau, welche Knöpfe er wann drücken muss. Er lässt die Zuschauer spüren, wie sehr seine Anliegen ihm auf der Seele brennen – und wie sehr er sich mehr Empathie wünscht. Sein Dokumentarfilm „Which Side Are You on?“ (1985) über die Lieder und Gedichte des großen Minenarbeiterstreiks, der in „The Old Oak“ nachhallt, war auch einer über den erbitterten Kampf der Torys unter Margaret Thatcher um eine Entmachtung der Gewerkschaften. In „It’s a Free World“ (2007) verknüpfte Loach den existenziellen Kampf Unterprivilegierter mit dem Thema Leiharbeit. Für sein zutiefst anrührendes Arbeitslosen-Drama „Ich, Daniel Blake“ (2016) bekam er in Cannes die Goldene Palme.

Wenn Loach ratlos auf blinden Flüchtlingshass blickt, greift er ein verbreitetes Gefühl auf – die Projektion des eigenen Elends auf Fremde, die nur als Sündenböcke willkommen sind. Er zeigt verirrte junge Männer, die Kampfhunde nicht im Griff haben, Menschen mit Helfer-Gen, die sich bis zur Erschöpfung verausgaben. Um der Ratlosigkeit zu entkommen, sucht der Sozialkritiker Loach Zuflucht in der Sozialromantik: Kriegstraumatisierte Syrer und krisentraumatisierte britische Kleinstädter interessieren sich füreinander, erweisen einander Respekt mit rührenden Gesten. Dass daraus kein idealisierender Kitsch wird, sondern die Offenbarung einer realen Möglichkeit, ist die große Kunst des Briten – es könnte alles so einfach, friedlich, konstruktiv sein.

Ein gewichtige Stimme verstummt

Dies sei wohl sein letzter Film, kündigte der 87-Jährige an, als er 2023 der Einladung nach Cannes folgte. Dem „Guardian“ sagte er: „Mein Kurzzeitgedächtnis schwindet, und mein Sehvermögen ist nicht mehr, wie es mal war.“ Damit verstummt eine gewichtige Stimme; der kantige, unangepasste Menschenfreund mit dem großen Herzen hat sein Publikum im Kino regelmäßig daran erinnert, dass Menschen ein Gewissen haben und die Welt ein besserer Ort wäre, wenn sie gelegentlich darauf hören würden.

The Old Oak: GB 2023. Regie: Ken Loach. Mit Dave Turner, Ebla Mari. 110 Minuten, ab 12.