Katholiken und Protestanten reduzieren die Zahl ihrer Kirchen in Stuttgart. Sie reagieren damit auf sinkende Mitgliederzahlen. In den meisten Gemeinden geht diese Entwicklung geräuschlos vonstatten. Doch in manchen regt sich Widerstand.
Stuttgart - Wenn alles nach Plan läuft, wird die katholische Kirche St. Peter in Bad Cannstatt im Sommer 2016 abgerissen. „Mit einem Gotteshaus sind viele Emotionen verbunden, dieser Trauer müssen wir Rechnung tragen“, sagt Martin Kneer. Der 70 Jahre alte Pfarrer selbst sieht den Schlusspunkt freilich als Chance, denn St. Peter wird neu gebaut, wenn auch deutlich kleiner als bisher. Die Kirche wird dann zwar nur noch hundert Plätze anstatt der bisherigen 400 haben, auch die Gemeinderäume werden kleiner ausfallen, mehr Platz bekommt aber der Kindergarten. Und auf dem Grundstück auf dem Memberg wird zudem eine Behinderteneinrichtung der Stiftung Liebenau entstehen. „Neben dem Gotteshaus werden Menschen Schutz finden, die Schutz brauchen“, sagt Kneer.
Der Priester sieht in den Neuerungen eine schiere Notwendigkeit in Zeiten, da die Kirchen Mitglieder verlieren und ihre Immobilien in die Jahre gekommen sind. „In den Gemeinderäumen hält sich die Kälte, obwohl wir die Fenster erneuert haben. Spätestens nach einer halben Stunde holen sich die Leute ihre Mäntel“, erzählt Kneer. Eine grundlegende Sanierung war angedacht, von Pfarrer und Kirchengemeinderat aber als zu teuer verworfen worden. Jetzt überlegen sie, wie eine Kirche der Zukunft aussehen kann. Kneer, der längst in den Ruhestand gehen könnte, will im Pfarramt bleiben, bis die neue Kirche steht. „Ich will den Prozess gut zu Ende bringen.“
Der Abriss ist Teil eines Plans namens „Aufbrechen“
Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche in Stuttgart sind dabei, ihre Gotteshäuser zu reduzieren. Während die Protestanten bereits vor neun Jahren sieben Gotteshäuser für verzichtbar erklärt haben, suchen die Katholiken im Rahmen ihres Projekts „Aufbrechen“ nach Lösungen, um Mitgliederzahl und Immobilienbestand wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Deswegen wird die katholische Kirche nicht nur St. Peter abreißen, sondern auch St. Johannes Vianney in Mönchfeld und die Pallotti-Kirche in Birkach. Während St. Peter und St. Johannes Vianney kleiner wiederaufgebaut werden, sollen auf dem Grundstück von St. Vinzenz Pallotti Wohnungen für Flüchtlinge und Studenten entstehen. Der katholische Kindergarten bleibt, zudem soll ein Versammlungsraum entstehen. Eine Lösung, die bei einer Gemeindeversammlung im Oktober viel Unmut hat aufkommen lassen und die der vor wenigen Tagen zurückgetretene Kirchengemeinderat Konrad Körte als unbefriedigend ansieht: „Die katholische Kirche zieht sich damit aus Birkach vollständig zurück.“
Gegenwind haben auch die Verantwortlichen der evangelischen Kirche in Feuerbach bekommen, die 2010 entschieden haben, zwei von vier Gotteshäusern aufzugeben. Inzwischen ist die Föhrichkirche an eine russisch-orthodoxe Gemeinde vermietet, in den Gemeinderäumen und den Wohnungen ist eine private Kindertagesstätte einquartiert. Die Verträge laufen über zehn Jahre, die Gemeinde hat sich aber ein Nutzungsrecht gesichert. Jeden Donnerstag findet jetzt ein Taizé-Gottesdienst in der Kirche statt.
Vermietung der Kirchen ist ein teil der Lösung
Vermietet ist auch ein großer Teil der Lutherkirche im Burgenlandzentrum. Dort stellen seit Anfang Dezember 25 behinderte Menschen Filztaschen und Stofftiere her. Das Behindertenzentrum hat einen Teil der Kirche umgebaut, den anderen nutzt weiter die Gemeinde. Getrennt sind Werkstatt und Kirche durch eine neu eingezogene Wand. „Das Gemeindeleben geht weiter, wenn auch eingeschränkt“, sagt der Kirchenpfleger Ralph Hägele. Er weiß, dass die Vermietung der Gotteshäuser einige Austritte provoziert hat, ist aber überzeugt: „In einer misslichen Lage haben wir für beide Kirchen die beste Lösung gefunden.“
Wieder anders sieht die Lösung im Fall der evangelischen Christophkirche im Norden aus. Kirche, Gemeinderäume und Wohnungen wurden im Erbbaurecht an die Evangelische Heimstiftung übergeben, die die eigentliche Kirche zwar stehen lässt, im nächsten Jahr die anderen kirchlichen Gebäude aber abreißen wird, um ein Pflegeheim zu bauen. „Die Gottesdienste können weiter in der Kirche stattfinden, das Gemeindeleben in Teilen in dem künftigen Pflegeheim“, sagt Christian Schwinge, der zweite Vorsitzende des Kirchengemeinderates der Nordgemeinde. Von der evangelischen Kirche für verzichtbar erklärt worden ist 2005 auch die Haigstkirche; deren Überleben aber sichert eine Stiftung. Aufgegeben werden sollen dagegen die Nikodemuskirche und das Gemeindehaus Fleckenwald in Botnang, das kirchliche Leben in dem Stadtbezirk soll in der Auferstehungskirche konzentriert werden.
Urnengräber sollen die Berger Kirche retten
Ein Kolumbarium soll die Rettung für die Berger Kirche bringen, deren Haupteingang seit Jahren nicht genutzt werden kann, weil der Turm marode ist und Steine herunterfallen könnten. Der Finanzchef der evangelischen Kirche, Hermann Beck, prüft daher, ob mit den Einnahmen aus der Vermietung von Urnengräbern die Sanierung der Kirche bestritten werden könnte. Den Einbau von 2000 Urnengräbern in die Kirche hält Beck für möglich, eine historische Anbindung sieht er auch, da das Gotteshaus früher von einem Friedhof umgeben war. „Wir haben im Fall der Berger Kirche viele Lösungen geprüft, auch nach Investoren gesucht, aber leider vergebens“, sagt Beck. Pfarrer Albrecht Hoch ist von der Idee eines Kolumbariums nicht begeistert: „Hurra schreit hier keiner, eine andere Möglichkeit wäre uns lieber.“
Bei der Berger Kirche ist eine Lösung immerhin in Sicht, bei der katholischen Kirche auf dem Frauenkopf nicht. Dort war eine äthiopische Gemeinde zu Gast. 2012 musste sie das marode Gotteshaus verlassen. Seither ist die Kirche geschlossen. „Wir haben viele Optionen geprüft, ohne Erfolg“, sagt Alexander Lahl vom katholischen Stadtdekanat. Ungenutzt ist seit Monaten auch die Kirche St. Stefan im Westen. Über deren Zukunft wird derzeit mit karitativen Trägern verhandelt.