Havanna - Tausende Menschen auf den Straßen in Kuba rufen: „Nieder mit der Diktatur“ und „Wir haben keine Angst mehr“. Die Situation ist unübersichtlich. Die Amerikadirektorin von Amnesty International, Erika Guevara-Rosas, berichtet über Schüsse der Polizei auf Demonstranten, willkürliche Verhaftungen und Angriffe auf Journalisten. Der Amerikachef von Human Rights Watch, Jose Miguel Vivanco, kommentierte: Tausende Kubaner fordern ein besseres Leben und die Grundrechte, doch Präsident Miguel Diaz-Canel reagiere darauf wieder einmal nur mit Repression.
Hartes Vorgehen wird von Staatsführung propagiert
Tatsächlich rief der Nachfolger von Fidel und Raul Castro an der Spitze des Staates zu einem harten Vorgehen gegen die Sozialproteste auf: Der Befehl sei gegeben, Revolutionäre auf die Straße, zitierten kubanische Medien den Präsidenten. Das regierungskritische Portal „14ymedio“ wertet das als Aufruf zum Bürgerkrieg. Das klingt vor allem nach Methoden aus der Zeit der Ostblockstaaten, als auf Proteste aus der Bevölkerung erst einmal mit Verhaftungen, Repression und Niederschlagung reagiert wurde. Doch in Zeiten von Social Media ist das gefährlich. Schon jetzt machen Clips die Runde, die schießende Polizisten zeigen und Agenten der Staatssicherheit in Zivil, die bei den Protesten gezielt Menschen herausgreifen und festnehmen, um die Demonstranten einzuschüchtern.
Situation ist sei Monaten angespannt
Die Situation auf Kuba ist seit Monaten angespannt. Die Indizien, dass die Stimmung auf der Insel kippen könnte, mehrten sich. Zunächst einmal steigt wieder die Zahl der Flüchtlinge, die versuchen, die Insel mit selbst gebauten Flößen über das Meer zu verlassen. Dabei kommt es immer wieder zu tragischen Unfällen, ertrinken Flüchtlinge auf offener See.
Hinzu kommt ein schwelender Streit zwischen der unabhängigen Kunstszene und dem Staat, der seinen Anfang im Disput über ein Dekret nahm, mit dem die Regierung die totale Kontrolle über Auftritte und Inhalte der Künstler und ihrer Werke nehmen wollte. Zuletzt wurde der länger in Berlin tätige Künstler Hamlet Lavastida nach seiner Rückkehr festgenommen. Vorwurf: Aufruf zu Rebellion.
Rapper kreieren Hymne des Widerstands
Zur Hymne des Widerstands ist das Lied „Patria y Vida“ kubanischer Rapper geworden, deren Video in Kuba millionenfach geteilt wurde. Es zeigt die Repression des Staates, Armut und Widerstand – Tabuthemen über die das Einparteiensystem nicht diskutieren will. In dieser Gemengelage ist die Bewegung San Isidro entstanden: „Wir von San Isidro sind eine Gruppe von Künstlern, Journalisten und Intellektuellen, die sich gegründet hat, um die Rechte der Kultur und der Zivilgesellschaft, die Meinungs- und Pressefreiheit in Kuba friedlich zu verteidigen“, sagte Künstler Amaury Pacheco im Gespräch mit unserer Zeitung vor einigen Wochen.
Ein Dialog mit der Regierung scheiterte, stattdessen gewann die Bewegung weiteren Zulauf. Hinzu gesellen sich zwei weitere Faktoren: In den letzten Tagen sind die Coronazahlen auf Kuba geradezu explodiert, Krankenhäuser stehen vor dem Kollaps, ein Krankenpfleger, der über die Zustände in einem Hospital berichtete, wurde verhaftet. Das Thema ist deshalb so sensibel, weil die medizinische Versorgung auf der Insel von der Regierung und ihren Anhängern stets als vorbildlich bezeichnet wird. Hinzu kommen deutliche Preissteigerungen nach harten marktwirtschaftlichen Reformen, die zwingend notwendig waren, um die angeschlagene kubanische Wirtschaft zu reformieren. Den Preis dafür zahlt aber nun die arme Bevölkerung, die von den hohen Lebensmittelpreisen geradezu erschlagen wird. Kubas Tourismusindustrie, eine der wichtigsten Einnahmequellen, ist zudem durch die Coronakrise schwer gebeutelt.
Kubas Wirtschaft leidet schwer unter den Sanktionen
Kubas Regierung wirft den USA vor, das Land mit dem seit Jahrzehnten immer mal wieder verschärften oder gelockerten Handelsembargo gezielt schwächen zu wollen. Tatsächlich leidet Kubas Wirtschaft schwer unter den Sanktionen. Washington wiederum besteht auf freien Wahlen und der Zulassung von Oppositionsparteien.