Über ihre musikalischen Qualitäten kann man streiten. Aber Ina Müller ist ein Gesamtkunstwerk und begeistert darum ihr Publikum.

Stuttgart - Ina Müller kann man mit weniger netten Attributen treffend so beschreiben: laut, zotig, distanzlos, anstrengend. Solche Worte würden womöglich Leute wählen, die nichts anfangen können mit der Krawallschachtel, die sich laut und penetrant fröhlich durch ihre grimmepreisgekrönte Sendung „Inas Nacht“ schwatzt und singt. Wer aber den guten Seiten der Sängerin, Kabarettistin und Moderatorin Ina Müller etwas abgewinnen kann, findet sie eher so: liebenswürdig, authentisch, unverblümt, uneitel. Auf einen Nenner lässt sich dies bringen: Ina Müller ist lustig. Auch der größte Griesgram könnte sich bei ihrer speziellen Mischung aus Gossenhumor und Charmeoffensive ein Mundwinkelzucken kaum verkneifen. Nebst der Tatsache, dass sie eine veritable Sängerin ist, die ihr patentes Organ leidenschaftlich gern und im Überschwang strapaziert, hat sie sich vor allem um ihren Ruf als bemerkenswerte Entertainerin verdient gemacht. Sabbeln (wie sie selbst ihre unermüdliche Plapperei bezeichnet) und singen – beides kann Ina Müller hervorragend. Selbst wer Zoten, Witzen unter der Gürtellinie und wüsten Sprüchen so gar nichts abgewinnen kann – wenn sie Ina Müller reißt, kommt am Ende ein gelungener Witz dabei heraus.

 

Okay, nicht immer. Aber sie versteht sich aufs Beste, ihre oft dumpfen Platituden mit dem ihr eigenen gleichzeitig naiven wie abgezockten Charme zu versetzen, mit dem sie auch in der Hamburger Hafenkneipe Schellfischposten, dem Schauplatz der ARD-Sendung, erfolgreich ihre prominenten Gäste aus der Reserve lockt. Auch dort reißt sie nicht nur Sprüche, sondern auch das Mikro an sich, um zu singen oder zumindest mitzusingen. Ob der Künstler das gut findet oder nicht, das ist einer Rampensau wie Ina Müller völlig schnuppe.

Mancher Song könnte auch von Annett Louisan sein

Ihre Musik an sich ist nicht weiter der Rede wert, nettes Gedudel aus dem Bauchladen des Produzenten Frank Ramond, der auch Roger Cicero und Annett Louisan betreute. Manches Liedlein hätte durchaus die vor ein paar Jahren mit dem Ohrwurm „Ich will doch nur spielen“ bekannt gewordene Sängerin Louisan trällern können.

Eine versierte Band an Ina Müllers Seite saugt alles an Herzblut aus dem gefälligen Mix aus Country, Chanson, Blues und Reggae-Pop heraus, so dass die kompositorischen Untiefen nicht weiter auffallen. Die Texte vom aktuellen Album „Das wär’ dein Lied gewesen“ stammen zur Hälfte aus der Feder von Müller selbst. Es sind augenzwinkernde, unbequeme, manchmal wenig progressive Ansichten über das zeitgenössische Geschlechterverhältnis.

Und weil Letzteres neben dem Älterwerden („Auf halber Strecke“, „Orangenhaut“) ganz offensichtlich das große Lebensthema von Ina Müller ist, schafft sie es mühelos, ihre ohnehin schon mit Männlein-Weiblein-Realsatire voll gepackten Songs („Fremdgehen“, „Drei Männer her“, „Gleichberechtigung“) mit weiteren, spontanen Anekdoten aus ihrem reichhaltigen Beziehungsleben zu spicken. Leichtfüßig verwandelt sie Melodien in plappernden Sprechgesang. Sang sie eben noch schmachtend: „Mit Mitte 20 sind die Jungs noch süß, sind nicht so ranzig, nicht so feist und fies (. . .) Sie sind so schön anzuseh’n, wenn sie duschen gehen“, geht die eingängige Schlagernummer plötzlich über in eine komödiantisch-melodische Improvisation. Mit liebevoll verpackten Giftpfeilen zielt sie gegen alternde Männer: „Und die Mitte Zwanzigjährigen haben morgens gar nicht so klebrigen, fiesen Schlaf in den Augen. Die schlafen auch ganz leise und stören mich gar nicht.“ Am Ende des Stücks grinst sie diebisch in das ihr schon nach den ersten Sprüchen und Tönen ergebene Publikum: „Ich wollte eigentlich gar kein Lied für Mitte Zwanzigjährige machen, sondern für die alten Säcke, die über uns Frauen Mitte vierzig immer böse Witze machen.“ Dann erzählt sie auch schon einen: „Kommt der Mann nach Hause. Sagt die Frau: ‚Was machst du schon wieder für ein Gesicht?!‘ Sagt der Mann: ‚Wenn ich ein Gesicht machen könnte, hättest du längst ein neues.‘“ Da rumpelt es in der Witzeküche. Platt, rüde, feist. Und das vornehmlich weibliche Publikum jubelt.

Zu später Stunde werden die Witze immer derber

So derb und direkt Ina Müller ist, so wenig Probleme hat sie damit, sich auch mal von ihrer sensiblen Seite zu zeigen. Die vierte von fünf Schwestern, die auf einem Bauernhof im niedersächsischen Köhlern aufwuchs, kann auch leise. Vor allem, wenn sie auf Platt nostalgisch verklärt von ihrer Heimat singt. „Nees in Wind“ oder „Mama“ heißen die Stücke, in die sie mit ihrem kratzig-heißeren, souligen Timbre so dermaßen viel Gefühl hineinlegt, dass der Pathos in Strömen durch die Porsche-Arena fließt.