Eine Lehre aus der Inflation: „Esset und trinket, was euch schmeckt, uns isch schon zweimal s’Geld verreckt.“

Leonberg - Gegen den Stundenlohn eines Beschäftigten der Gemeinde Gebersheim hören sich die Vermögen von Microsoft-Gründer Bill Gates, Tesla-Chef Elon Musk oder US-Präsident Donald Trump wie Almosen an. Ein Tagelöhner in dem kleinen Dorf durfte nämlich nach einen zehnstündigen Einsatz 100 Milliarden Mark nach Hause tragen. Allerdings ist das am 8. November 1923 gewesen.

 

Dabei war der fleißige Gebersheimer Milliardär ein bettelarmer Mann, der mit dem Lohn seine Familie nicht ernähren konnte. Das Geld reichte für gut ein Pfund Brot, das 80 Milliarden Mark kostete. Fleisch war da schon ein Luxus, denn das Pfund wurde vor 95 Jahren, am 15. November 1923 für 900 Milliarden Mark gehandelt. Es war nicht einmal genug Geld, um den Kummer im Alkohol zu ertränken, denn für ein Glas Bier mussten 52 Milliarden Mark hingeblättert werden. Gut zwei Wochen später, am 1. Dezember wurde für ein Pfund Brot 260 Milliarden Mark verlangt, das Pfund Fleisch kostete 32 Billionen Mark und ein Dollar entsprach 4,2 Billionen Mark.

„Esset und trinket, was euch schmeckt, uns isch schon zweimal s’Geld verreckt“.

Ein Irrsinn, der mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges eingesetzt hatte, mit dem Abschlachten innerhalb von rund vier Jahren von mehr als 17 Millionen Menschen gipfelte, hatte nun auch zum völligen wirtschaftlichen Kollaps von Deutschland geführt. Die Hyperinflation, die sich bis heute als Schreckgespenst in das Bewusstsein der Deutschen eingebrannt hat, hatte irrwitzige Formen angenommen mit Geldbeträgen jenseits aller Vorstellungskraft. Und nach den Erfahrungen mit der Währungsreform aus dem Jahr 1948 hieß es hierzulande nicht von ungefähr unter den alten Leuten: „Esset und trinket, was euch schmeckt, uns isch schon zweimal s’Geld verreckt“.

Die einsetzende Teuerung ausgelöst von der Knappheit an Konsumgütern des alltäglichen Lebens machte sich bereits ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bemerkbar. In Gebersheim, und nicht nur dort, wurden die Löhne der Gemeindebediensteten um 50 Prozent erhöht, ein Jahr später um 100 Prozent.

Auch an Brennmaterial herrschte großer Mangel. Vorher undenkbar, wurde es 1919 den Bürgern erlaubt, im Gebersheimer Gemeindewald Stumpen von gefällten Bäumen auszugraben. Für die gesamte Winterbefeuerung 1920 wurden dem Ort lediglich 300 Zentner Koks, also 15 000 Kilogramm, zugestanden. Wen wundert es, dass sich zwischen Stuttgart und dem Bahnhof Leonberg 35 Zentner Koks „verflüchtigt“ hatten und die Gemeinde dafür gerade stehen musste?

Die Spirale der Geldentwertung

Wie die Spirale der Geldentwertung ihren Lauf nahm, zeigt die Lohnentwicklung des besagten Tagelöhners, der bei der Gemeinde Gebersheim beschäftigt war. Am 1. Januar 1920 wurde sein Stundenlohn von einer auf 1,50 Mark erhöht, am 15. Juni 1922 auf acht Mark, am 1. Juli auf zwölf Mark, am 1. Dezember 1922 auf 120 Mark, am 1. April 1923 auf 700 Mark. Am 1. Juli verdiente der Taglöhner 4000 Mark, am 1. Oktober schon 1,5 Millionen Mark, zwei Wochen später 30 Millionen Mark und schließlich am 8. November zehn Milliarden Mark.

Das Geld war nicht mal mehr das Papier wert, auf das es gedruckt wurde – deshalb wurde oft nur noch eine Seite bedruckt, oder alte Geldscheine mit neuen Nominalwerten versehen. Kommunen und selbst Firmen brachten Notgeld heraus. Um Sozialrentner, Erwerbslose oder andere Bedürftige zu unterstützen, aber auch um die Beamtengehälter auszahlen zu können, druckte auch das Oberamt Leonberg 20 000 Scheine zu je fünf Milliarden Mark Wert mit der Abbildung des Heimsheimer Schleglerschlosses und 20 000 Scheine zu je 20 Milliarden, verziert mit einer Zeichnung des Schlosses Solitude.

Der große Schnitt kam am 15. November

Aus den Unterlagen der Gewerbebank Leonberg, der Vorläuferin der Volksbank, bei der 1921 der legendäre „CeGe“, also Carl Gottlob Müller, als Kassier begann und der 1953 als Geschäftsführer verabschiedet wurde, geht hervor, dass eine oft abenteuerliche Flucht in Sachwerte einsetzte. Grundstücke, sofern überhaupt angeboten, Schmuck, Brillanten und vieles mehr wurde oft unbesehen erworben.

Doch dann kam mit der Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 der große Schnitt. Am 1. Januar 1924 schmolzen die utopischen Bilanzzahlen der Gewerbebank Leonberg von 250,57 Billionen Papiermark auf 250,057 Goldmark zusammen. Auf den Konten der Kunden lagen 2 788 790 000 000 000 Mark, das sind rund 2,8 Billiarden gewesen. Daraus wurden spärliche 2788,79 Mark. Die vielen Billionen auf den Sparbüchern sanken auf bloße 316,51 Goldmark zusammen. Und auch für den Gebersheimer Tagelöhner hieß es, neu zu rechnen – am 12. Januar 1924 bekam er 20 Pfennig für eine Arbeitsstunde.