Die Russen sind sauer. Um die gestiegenen Preise für Lebensmittel zu kaschieren, werden einfach kleinere Verpackungen zum selben Preis verkauft. Die Regierung von Präsident Putin tut alles, um eine Armutsdebatte zu verhindern. Doch Internet-User machen ihr einen Strich durch die Rechnung.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Moskau - Ramil Charissow hatte es gemacht wie immer. Hatte ein Foto bei Twitter gepostet und ein paar Worte dazu geschrieben. Charissow, das selbsternannte Moskauer „Medien-Genie“ macht sich in seinen Beiträgen mal über steckengebliebene Schneeräum-Fahrzeuge lustig, mal über Straßennamen, die mit lateinischen Buchstaben als „Someshit“ wiedergegeben werden.

 

Dieses Mal aber war nichts wie immer. Sein Bild einer braunen Verpackung für zehn Eier macht in den sozialen Netzwerken die Runde. Auf der Packung steht: „9 Stück.“ Die Reaktion kam prompt: „Putin hat uns ein Ei geklaut“, heißt es spöttisch im Internet. „Ein Superangebot: Kauf' neun für den Preis von zehn.“ Der Eierkarton avancierte schnell zu einem traurigen Symbol für die sinkende Kaufkraft im Land. Ein Symbol, das viel über die Armut in Russland erzählt. Sie schleicht sich immer mehr ins Leben der Menschen ein, mögen die Hersteller die Neuner-Packung auch nur für einen Marketing-Effekt halten. Quadratisch, praktisch, gut, eben.

Das Kilo hat ausgedient

Gut finden die Russen die Tricksereien bei Verpackungen längst nicht mehr. Viele Milchpackungen sehen aus wie Ein-Liter-Flaschen, drin sind allerdings nur 867 Milliliter. Die Mayonnaise – kaum ein russischer Salat kommt ohne aus – gibt es fast nur noch in 220-Milliliter-Tuben, nicht mehr in der 250er-Größe. Den Buchweizen kauft man als 800-Gramm-Päckchen, genauso den Reis. Das Kilo hat ausgedient.

Und nun also auch noch die Eier. Nach Berechnungen der russischen Statistikbehörde sind sie das Produkt, das sich am meisten verteuert hat, nämlich um 26 Prozent innerhalb eines Jahres. Um die Teuerungen zu kaschieren, stehen in den Supermarktregalen kleinere Packungen. Dieser Lösungsansatz für die herrschende Rubelkrise wirkt wie Hohn. Neu ist die sogenannte Shrinkflation – Schrumpfflation also – für russische Verbraucher aber nicht. Die Verpackungen schrumpfen seit Jahren.

Dass der Neuner-Eierkarton gerade jetzt Aufregung auslöst, zeigt die wachsenden sozialen Sorgen der Russen. Erst im vergangenen Jahr hat Russlands Regierung das Renteneintrittsalter um fünf Jahre erhöht. Seit dem 1. Januar gilt auch die höhere Mehrwertsteuer von 20 Prozent, davor lag sie bei 18 Prozent. Das Leben hat sich quer durch das Land verteuert.

Putins Beliebtheit sinkt

Je mehr nun Ökonomen oder Politiker darauf verweisen, die Verpackungen hätten mit Verkaufsstrategien zu tun, und mit saisonaler Erhöhung der Preise, desto wütender reagieren die Menschen. Sie wissen es besser: Verglichen mit 2013 ist die Summe der Einkommen inflationsbereinigt um zehn Prozent gesunken. Seitdem wuchs auch die Zahl der Armen von 14 auf etwa 20 Millionen Menschen. Die Armutsgrenze in Russland liegt derzeit bei einem Monatseinkommen von umgerechnet 135 Euro.

Die Beliebtheitswerte für Präsident Wladimir Putin lässt das sinken. Die Regierung pflegt allerdings weiter ihr Mantra von Wachstum, steigender Nachfrage, höherer Produktion. Russland soll, so Putin, zur fünftgrößten Wirtschaftsnation der Welt aufsteigen (momentan liegt das Land laut Internationalem Währungsfonds auf Platz zwölf). Doch der Rubel fällt seit Monaten. Der Staat reagiert auf seine Weise: Er lässt die Anzeigentafeln vor den Wechselstuben abschrauben, schon ist der Werteverlust aus den Augen.